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Von den Ausgestorbenen zurück

Der Schattenwolf ist wieder da
Ein US-Unternehmen hat durch genetische Veränderungen am Grauen Wolf drei Schattenwölfe gezüchtet. Die weiße, majestätische Wolfsart ist seit über 12 000 Jahren ausgestorben. Was bedeutet das für den Artenschutz?
Von Katharina Moser, Windhoek

„Das Wollmammut noch einmal über die Tundra donnern sehen. Die Wirtschaft der Biologie und der Heilung durch Genetik voranzubringen. Um die Menschheit menschlicher zu machen. Und um die verlorene Wildnis der Erde wiederzuerwecken“ – das ist das selbsternannte Ziel von Colossal Biosciences, eine US-amerikanische Firma, die sich die sogenannte „De-Extinction“ ausgestorbener Arten vorgenommen und eigenen Angaben zufolge unlängst die Wolfsart Canis dirus (Dire Wolf) zurück unter die Lebenden gebracht hat.

Canis Dirus, vor allem unter „Game of Thrones”-Fans auch als Schreckenswolf bekannt, starb vor 12 500 Jahren aus – und ist laut der in Dallas ansässigen Firma die erste Spezies weltweit, deren Aussterben nun rückgängig gemacht worden sein soll. Drei junge Wölfe der ausgestorbenen Art, getauft Romulus, Remus und Khaleesi, leben nun auf einem etwa 800 Hektar großen Wildreservat in den USA, dessen genauer Standort nicht öffentlich gemacht wird.

Wie Time Magazine, dessen Autoren Romulus und Remus vor Ort besucht haben und dessen Aufmerksamkeit erregendes Titelblatt vergangene Woche ein großer, weißer Schattenwolf zierte, in seiner großen Reportage über das Projekt verständlich macht, bedürfe es erstaunlich weniger genetischer Veränderungen, um den Unterschied zwischen einer lebenden und einer ausgestorbenen Art auszumachen. Wie andere Caniden habe auch der Wolf etwa 19 000 Gene. Die Erschaffung der Schattenwölfe habe nur 20 Änderungen in 14 Genen des gewöhnlichen Grauen Wolfs erfordert, aber diese Änderungen hätten zu einer Vielzahl von Unterschieden geführt, darunter das weiße Fell von Romulus und Remus, die größere Größe, die kräftigeren Schultern, der breitere Kopf, die größeren Zähne und Kiefer, die muskulöseren Beine und das charakteristische Heulen. Um das Genom des Schattenwolfes zu analysieren, untersuchten die Forscher demnach Proben von zwei gefundenen Knochenresten – einem 13 000 Jahre alten Zahn eines Schattenwolfes, der in Sheridan Pit, Ohio, gefunden wurde, und einem 72 000 Jahre alten Ohrknochen, in American Falls, Idaho, ausgegraben.

Gene des Grauen Wolfs umgeschrieben

Beim Klonen eines Lebewesens werde in der Regel eine Gewebeprobe von einem Spendertier entnommen und dann eine einzelne Zelle isoliert, erklärt Time Magazine. Der Zellkern dieser Zelle – der die gesamte DNA des Tieres enthält – werde extrahiert und in eine Eizelle eingesetzt, deren Kern entfernt wurde. Diese Eizelle könne sich zu einem Embryo entwickeln und werde dann in die Gebärmutter einer Leihmutter eingepflanzt. Das daraus entstehende Baby ist ein exaktes genetisches Duplikat des ursprünglichen Spendertieres. Auf diese Weise wurde 1996 das erste geklonte Tier, das Schaf Dolly, erzeugt, erinnert die Zeitschrift.

Bei der Arbeit mit Grauen Wölfen habe Colossal aber einen weniger invasiven Ansatz gewählt und Zellen nicht aus einer Gewebeprobe eines Spenderwolfs isoliert, sondern aus dessen Blut. Die Wissenschaftler schrieben dann die 14 Schlüsselgene im Zellkern so um, dass sie mit denen des Grauen Wolfs übereinstimmen; es wurde keine alte Schattenwolf-DNA in das Genom des Grauen Wolfs eingespleißt. Der veränderte Zellkern wurde dann in eine entkernte Eizelle übertragen, berichtet Time Magazine. Die Wissenschaftler hätten 45 manipulierte Eizellen produziert, die sich im Labor zu Embryonen entwickeln konnten. Diese Embryonen wurden in die Gebärmutter von zwei Leihmüttern von Hundemischlingen eingesetzt, die vor allem wegen ihrer allgemeinen Gesundheit und nicht zuletzt wegen ihrer Größe ausgewählt wurden, da sie schließlich ungewöhnlich große Welpen zur Welt bringen würden. In jeder Mutter habe sich ein Embryo eingenistet und eine Schwangerschaft vollzogen. Am 1. Oktober 2024 brachte die Leihmütter Romulus und Remus zur Welt. Einige Monate später wiederholte Colossal die Prozedur mit weiteren Embryonen und einer weiteren Leihmutter. Am 30. Januar 2025 brachte diese Hündin Khaleesi zur Welt.

Kein echter Schattenwolf

Somit sind die drei Wolfsjungen genau genommen keine zurückgekehrten Schattenwölfe, sondern gewöhnliche Graue Wölfe, die genetisch so verändert wurden, dass sie der verlorenen Art ähneln. Experten wiesen auf wichtige biologische Unterschiede zwischen dem Wolf auf dem Titelbild von „Time“ und dem Schattenwolf hin, der während der letzten Eiszeit lebte, berichtet BBC News. „Was Colossal also hervorgebracht hat, ist ein Grauer Wolf, der jedoch einige wolfsähnliche Merkmale wie einen größeren Schädel und weißes Fell aufweist“, stellt Paläogenetiker Dr. Nic Rawlence von der Universität Otago klar. „Es ist ein Hybrid.“ Dr. Beth Shapiro, Biologin bei Colossal Biosciences, weist zurück, dass es sich doch genau dabei um „De-Extinction“ handele, d. h. um die Wiederherstellung von Tieren mit denselben Merkmalen. „Ein Grauer Wolf ist der engste lebende Verwandte eines Schattenwolfs – sie sind sich genetisch sehr ähnlich – also haben wir gezielt DNA-Sequenzen gesucht, die zu den Merkmalen eines Schattenwolfs führen, und dann Graue Wolfszellen bearbeitet... dann haben wir diese Zellen geklont und unsere Schattenwölfe geschaffen“, argumentiert sie. Dr. Rawlence hingegen wendet ein, dass sich die Schattenwölfe vor 2,5 bis sechs Millionen Jahren von den Grauen Wölfen abgespalten hätten. „Sie gehören zu einer völlig anderen Gattung als Graue Wölfe“, sagte er.

Colossal behauptet derweil, mit diesem Schritt sei man nicht zur Wiederbelebung der verloren Spezies des Schattenwolfes näher, sondern auch bei der Rettung der noch bestehenden, aber bedrohten Wolfsarten heute. „Den Schattenwolf zurückzubringen, ist bahnbrechend und läutet eine völlig neue Ära des menschlichen Umgangs mit dem Leben ein", sagte Dr. Christopher Mason, wissenschaftlicher Berater und Mitglied des Beobachtergremiums von Colossal. „Dieselben Technologien, die unsere drei Schattenwölfe hervorgebracht haben, können direkt dazu beitragen, gefährdete Wölfe, Säugetiere und andere Arten zu retten. Dies ist ein außerordentlicher technologischer Sprung in der Gentechnik, sowohl für die Wissenschaft als auch für den Naturschutz und die Erhaltung des Lebens, und ein wunderbares Beispiel für die Macht der Biotechnologie zum Schutz von Arten, sowohl von lebenden als auch von ausgestorbenen.“

Artenaussterben aufhalten?

„Wir sind an diesem Punkt eine evolutionäre Kraft“, sagt auch Beth Shapiro, die wissenschaftliche Leiterin von Colossal, über die Menschheit gegenüber Time Magazine. „Wir entscheiden darüber, wie die Zukunft dieser Arten aussehen wird.“ Das Center for Biological Diversity geht davon aus, dass bis 2050 30 % der genetischen Vielfalt auf unserem Planeten verloren gehen werden, und laut Shapiro und Ben Lamm, CEO von Colossal, ist Gentechnik ein wichtiges Instrument, um diese Entwicklung umzukehren.

Der Schattenwolf ist nur eine Tierart auf der ehrgeizigen Liste von Colossal, die Pläne haben, unter anderem auch das Wollmammut und den Tasmanischen Tiger zurückzubringen. Die Rückkehr des Mammuts gestaltet sich wohl schwieriger als die des Schattenwolfes: Wie bei den gefährlichen Wölfen werde keine uralte Mammut-DNA in das Genom des Elefanten eingepflanzt, sondern die Gene des Elefanten würden umgeschrieben, damit sie mit denen des Mammuts übereinstimmten, so Time Magazine. Das Unternehmen sagt, es habe bisher 25 dieser Gene bearbeitet und sei „auf dem besten Weg, dass unsere Embryonen bis Ende 2026 zur Einpflanzung bereit sind“, um das Ziel zu erreichen, dass im Jahr 2028 ein Kalb geboren wird.

Die Frage, ob Romulus und Remus tatsächlich Schattenwölfe sind, ist derweil nicht die einzige Kritik, die das Unternehmen zu hören bekommt. Die Haltung von drei Schattenwölfen in einem kleinen Reservat – ohne die Sozialstruktur eines Rudels, ohne eigene Jagd und in der Enge der Reservatgrenzen – ist Kritikern zufolge keine lebenswerte Haltungsform für die hünenhaften, wilden Jäger – ebenso wenig wäre es die Haltung einzelner Mammuts ohne Herde in Gehegen. „Ich bin der Meinung, dass es keine gute Idee ist, ein oder gar fünf Wollmammuts zurückzubringen“, sagt Stephen Latham, Direktor des Interdisziplinären Zentrums für Bioethik an der Universität Yale, gegenüber Time Magazine.

Eingriffe mit Risiko

Zudem hat die Vergangenheit gezeigt, dass gewichtige Eingriffe des Menschen in fragile Ökosysteme katastrophale Folgen für das Gleichgewicht zwischen Spezies haben kann, selbst bei guten Absichten – man erinnere sich nur an die Agakröte in Australien. Weiter kritisieren viele, dass es von größerer Bedeutung sei, die vom Aussterben bedrohte Art des Roten Wolfs zu erhalten, anstatt mit ausgestorbenen Arten zu experimentieren. Colossal beteiligt sich nach eigenen Angaben am Erhalt des Roten Wolfes und gewinnt durch sein „De-Extinction“-Projekt, sagt es, wichtige Erkenntnisse über dessen Artensicherung. Zusammen mit der Nachricht über die Schattenwölfe gab das Unternehmen auch bekannt, dass es vier rote Wölfe geklont habe.

Dem Unternehmen, so stellt es klar, liegt die Rettung akut gefährdeter Arten ebenso wie die Wiedergutmachung bereits erfolgter Fehler am Herzen. Colossal ist dabei ein kommerzielles Unternehmen mit einem Marktwert von 10,2 Milliarden Dollar und hat laut Time Magazine Decacorn-Status erreicht. Auch wenn es nicht einfach sei, ein Mammut, ein Dodo oder einen Wolfswelpen zu vermarkten, sieht Colossal-CEO Lamm in den Technologien, die sein wissenschaftliches Team entwickelt, großes kommerzielles Potenzial. Colossal hat bisher zwei neue Unternehmen ausgegründet. „Breaking“ verwendet künstlich hergestellte Mikroben und Enzyme, um Plastikmüll abzubauen. „Form Bio“ bietet KI und computergestützte Biologieplattformen für die Arzneimittelentwicklung an. Nichts davon berühre die Kernkompetenz von Colossal in der Zell- und Gentechnik, die unzählige Anwendungen im biomedizinischen Bereich habe, darunter die Behandlung und Vorbeugung von Krankheiten, berichtet Time Magazine. „Allein diese Genom-Engineering-Technologien sind Dutzende von Milliarden Dollar wert“, sagt Colossal-CEO Lamm.

Vielen von Colossal unabhängigen Wissenschaftlern ist derweil die Unterscheidung zwischen den echten, ausgestorbenen Schattenwölfen, und den von Colossal gezüchteten Tieren wichtig – „weil Aussterben immer noch unumkehrbar ist“, so Dr. Rawlence gegenüber BBC News. „Wenn wir das Aussterben einer Art nicht mehr anerkennen, wie sollen wir dann aus unseren Fehlern lernen? Ist die Botschaft nun, dass wir die Umwelt zerstören können und Tiere aussterben lassen können, weil wir sie ja ohnehin zurückholen können?“

Kommentar

Allgemeine Zeitung 2025-05-15

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