Wahlen: Kenia steht erneut am Scheideweg
Schlimmer hätte es für Kenia nur wenige Tage vor seiner Parlaments- und Präsidentschaftswahl kaum kommen können: Nachdem der für das elektronische Zählsystem verantwortliche Experte Christopher Msando vor ein paar Tagen zunächst als vermisst gemeldet worden war, wurde in der vergangenen Woche in einem Leichenschauhaus der Hauptstadt Nairobi sein geschundener Körper gefunden - mit schweren Verletzungen an Kopf und Hals sowie einem abgerissenen Arm. „Es besteht kein Zweifel, dass Msando erst gefoltert und dann ermordet wurde“, erklärte der Chef der Wahlbehörde nach einem Blick auf den Leichnam. „Die einzige Frage ist: Wer hat ihn warum getötet? Und darauf brauchen wir dringend eine Antwort.“
Obwohl es diese Antwort auch zu den Wahlen noch immer nicht gibt, hat der Mord die ohnehin bereits angespannte Lage in Kenia im Vorwahlkampf weiter aufgeheizt - und Ängste vor blutigen Unruhen nach der Bekanntgabe des Resulats geschürt. In vielen Läden haben die Besitzer alle Regale leergeräumt, weil sie Plünderungen fürchten. Und immer mehr Kenianer haben aus Sorge vor schweren Auseinandersetzungen die Städte verlassen, um die Wahl bei ihren Verwandten auf dem Land auszusitzen.
Volksgruppe entscheidet
Mit Schrecken erinnern sich viele Kenianer noch immer an die heftigen Stammeskämpfe nach dem Urnengang vor zehn Jahren, als mehr als 1200 Menschen ums Leben kamen, Zehntausende vertrieben wurden und Kenia nur um Haaresbreite an einem Bürgerkrieg vorbeischrammte. Der Grund: Bei Wahlen sind in dem ostafrikanischen Land für gewöhnlich nicht politische Programme, sondern allein die jeweilige Volksgruppe der Kandidaten von Bedeutung. Seit der Unabhängigkeit des Landes vor über 50 Jahren konkurrieren in der kenianischen Politik fast ausschließlich die Vertreter der beiden größten Volksgruppen miteinander: der Kikuyu und Luo. Damals stritten sich noch die beiden Väter der heutigen Kontrahenten um die Macht - der Kikuyu Jomo Kenyatta auf der einen Seite und der Luo Jaramogi Odinga auf der anderen. Am Ende gewannen Kenyatta und seine Kikuyo - wie so oft in der jungen postkolonialen Geschichte des Landes.
Sein Sohn, der gegenwärtige Präsident Uhuru Kenyatta, war wegen der Auseinandersetzungen vor zehn Jahren sogar vom Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag angeklagt und beschuldigt worden, für die ethnisch motivierte Gewalt mitverantwortlich gewesen zu sein. Allerdings war er später aus einem Mangel an Beweisen freigesprochen worden - eine Entscheidung, die international auf viel Kritik stieß.
Ärger und Frust beim Volk
Bei dem gestrigen Urnengang standen sich, wie bereits vor fünf Jahren, erneut Kenyatta und Raila Odinga als Chef der oppositionellen National Super Alliance (Nasa) gegenüber. Umfragen zufolge ist der anfängliche Vorsprung Kenyattas stark geschmolzen: In der letzten Umfrage lag er bei 47 Prozent, während der 72-jährige Odinga, der bereits zum vierten Mal zu den Präsidentenwahlen antritt, bei 43 Prozent lag. Verärgert hat viele Kenianer vor allem die Gleichgültigkeit der Regierung Kenyatta gegenüber der jüngsten Dürre. Über Dreiviertel der Bevölkerung beklagten sich in einer Umfrage zuletzt darüber, dass sich ihre wirtschaftliche Lage seit Jahresbeginn stark verschlechtert habe.
Bedenklich stimmt zudem, dass Odinga bereits vor fünf Jahren nur ganze 8000 Stimmen von einer Stichwahl getrennt war. Obwohl er daraufhin massive Wahlfälschung beanstandet hatte, wurde die Klage vom Verfassungsgericht später abgewiesen. Schon wegen des knappen Wahlausgangs hätte eigentlich schon damals das elektronische Wahlsystem verwendet werden sollen, was dann aber nicht geschah. Vor dem Hintergrund des von Experten nun erneute erwarteten Kopf-an-Kopf-Rennens kommt dem Zählsystem, für das der ermordete Msando verantwortlich war, entsprechend große Bedeutung zu.
Hang zur Selbstbereicherung
Kenia erlebt derzeit zwar einen leichten Wirtschaftsaufschwung mit Wachstumsraten von rund fünf Prozent, doch gilt der ostafrikanische Staat noch immer als hochkorrupt und ethnisch tief gespalten: Viele Beobachter im Land werfen der politischen Elite vor, nicht dem Gemeinwohl, sondern allein der Selbstbereicherung verpflichtet zu sein. Weil der Wahlverlierer in Afrika fast immer mit leeren Händen ausgeht, sehen die meisten Politiker dort in Urnengängen ein Nullsummenspiel. „Man befürchtet, bei einer Niederlage von den staatlichen Ressourcen abgeschnitten zu werden, und unternimmt alles, dies unbedingt zu verhindern“, konstatiert der kenianische Publizist Koigi wa Wamwere.
Erschwerend kommt hinzu, dass die vermeintliche Wirtschaftslokomotive Kenia, immerhin Afrikas viertgrößte Volkswirtschaft nach Südafrika, Nigeria und Angola, in den vergangenen Jahren unter dem Druck des islamistischen Terrors geraten ist, der vor allem von der im benachbarten Somalia ansässigen Islamistenmiliz al-Shabaab ausgeht. In Erinnerung geblieben sind vor allem zwei Großanschläge: zum einen jener auf das Westgate-Einkaufszentrum in Nairobi, bei dem im September vor vier Jahren 67 Menschen starben. Vor zwei Jahren massakrierten Islamisten dann bei einem noch blutigeren Angriff auf eine Universität im Norden des Landes 147 Studenten. Dabei handelte es sich um den schwersten Terroranschlag in Kenia seit 1998, als bei der Detonation eines mit Sprengstoff beladenen Lieferwagens vor der US-Botschaft in Nairobi mehr als 200 Menschen starben.
Wahlausgang und Zukunft
Sollten nun auch noch die Wahlen aus dem Ruder laufen, käme dies für das Land einem Desaster gleich. Wenn Kenia weiter wachsen wolle, müsse es weit mehr als bislang tun, um gegen die tief verankerte Korruption, den Terrorismus aber vor allem das so zerstörerische Stammesdenken anzugehen, glaubt Samuel Nyademo, Ökonom an der Universität von Nairobi. Doch der Schaden ist in Kenia längst getan. Der extrem schrille Wahlkampf hat Kenia weiter polarisiert. Zudem lebt noch immer fast die Hälfte seiner rund 40 Millionen Menschen unter der Armutsgrenze, wobei vor allem die mehr als zehn Millionen arbeitslosen Jugendlichen für viel sozialen Sprengstoff sorgen.
Wolfgang Drechsler, Kapstadt
Obwohl es diese Antwort auch zu den Wahlen noch immer nicht gibt, hat der Mord die ohnehin bereits angespannte Lage in Kenia im Vorwahlkampf weiter aufgeheizt - und Ängste vor blutigen Unruhen nach der Bekanntgabe des Resulats geschürt. In vielen Läden haben die Besitzer alle Regale leergeräumt, weil sie Plünderungen fürchten. Und immer mehr Kenianer haben aus Sorge vor schweren Auseinandersetzungen die Städte verlassen, um die Wahl bei ihren Verwandten auf dem Land auszusitzen.
Volksgruppe entscheidet
Mit Schrecken erinnern sich viele Kenianer noch immer an die heftigen Stammeskämpfe nach dem Urnengang vor zehn Jahren, als mehr als 1200 Menschen ums Leben kamen, Zehntausende vertrieben wurden und Kenia nur um Haaresbreite an einem Bürgerkrieg vorbeischrammte. Der Grund: Bei Wahlen sind in dem ostafrikanischen Land für gewöhnlich nicht politische Programme, sondern allein die jeweilige Volksgruppe der Kandidaten von Bedeutung. Seit der Unabhängigkeit des Landes vor über 50 Jahren konkurrieren in der kenianischen Politik fast ausschließlich die Vertreter der beiden größten Volksgruppen miteinander: der Kikuyu und Luo. Damals stritten sich noch die beiden Väter der heutigen Kontrahenten um die Macht - der Kikuyu Jomo Kenyatta auf der einen Seite und der Luo Jaramogi Odinga auf der anderen. Am Ende gewannen Kenyatta und seine Kikuyo - wie so oft in der jungen postkolonialen Geschichte des Landes.
Sein Sohn, der gegenwärtige Präsident Uhuru Kenyatta, war wegen der Auseinandersetzungen vor zehn Jahren sogar vom Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag angeklagt und beschuldigt worden, für die ethnisch motivierte Gewalt mitverantwortlich gewesen zu sein. Allerdings war er später aus einem Mangel an Beweisen freigesprochen worden - eine Entscheidung, die international auf viel Kritik stieß.
Ärger und Frust beim Volk
Bei dem gestrigen Urnengang standen sich, wie bereits vor fünf Jahren, erneut Kenyatta und Raila Odinga als Chef der oppositionellen National Super Alliance (Nasa) gegenüber. Umfragen zufolge ist der anfängliche Vorsprung Kenyattas stark geschmolzen: In der letzten Umfrage lag er bei 47 Prozent, während der 72-jährige Odinga, der bereits zum vierten Mal zu den Präsidentenwahlen antritt, bei 43 Prozent lag. Verärgert hat viele Kenianer vor allem die Gleichgültigkeit der Regierung Kenyatta gegenüber der jüngsten Dürre. Über Dreiviertel der Bevölkerung beklagten sich in einer Umfrage zuletzt darüber, dass sich ihre wirtschaftliche Lage seit Jahresbeginn stark verschlechtert habe.
Bedenklich stimmt zudem, dass Odinga bereits vor fünf Jahren nur ganze 8000 Stimmen von einer Stichwahl getrennt war. Obwohl er daraufhin massive Wahlfälschung beanstandet hatte, wurde die Klage vom Verfassungsgericht später abgewiesen. Schon wegen des knappen Wahlausgangs hätte eigentlich schon damals das elektronische Wahlsystem verwendet werden sollen, was dann aber nicht geschah. Vor dem Hintergrund des von Experten nun erneute erwarteten Kopf-an-Kopf-Rennens kommt dem Zählsystem, für das der ermordete Msando verantwortlich war, entsprechend große Bedeutung zu.
Hang zur Selbstbereicherung
Kenia erlebt derzeit zwar einen leichten Wirtschaftsaufschwung mit Wachstumsraten von rund fünf Prozent, doch gilt der ostafrikanische Staat noch immer als hochkorrupt und ethnisch tief gespalten: Viele Beobachter im Land werfen der politischen Elite vor, nicht dem Gemeinwohl, sondern allein der Selbstbereicherung verpflichtet zu sein. Weil der Wahlverlierer in Afrika fast immer mit leeren Händen ausgeht, sehen die meisten Politiker dort in Urnengängen ein Nullsummenspiel. „Man befürchtet, bei einer Niederlage von den staatlichen Ressourcen abgeschnitten zu werden, und unternimmt alles, dies unbedingt zu verhindern“, konstatiert der kenianische Publizist Koigi wa Wamwere.
Erschwerend kommt hinzu, dass die vermeintliche Wirtschaftslokomotive Kenia, immerhin Afrikas viertgrößte Volkswirtschaft nach Südafrika, Nigeria und Angola, in den vergangenen Jahren unter dem Druck des islamistischen Terrors geraten ist, der vor allem von der im benachbarten Somalia ansässigen Islamistenmiliz al-Shabaab ausgeht. In Erinnerung geblieben sind vor allem zwei Großanschläge: zum einen jener auf das Westgate-Einkaufszentrum in Nairobi, bei dem im September vor vier Jahren 67 Menschen starben. Vor zwei Jahren massakrierten Islamisten dann bei einem noch blutigeren Angriff auf eine Universität im Norden des Landes 147 Studenten. Dabei handelte es sich um den schwersten Terroranschlag in Kenia seit 1998, als bei der Detonation eines mit Sprengstoff beladenen Lieferwagens vor der US-Botschaft in Nairobi mehr als 200 Menschen starben.
Wahlausgang und Zukunft
Sollten nun auch noch die Wahlen aus dem Ruder laufen, käme dies für das Land einem Desaster gleich. Wenn Kenia weiter wachsen wolle, müsse es weit mehr als bislang tun, um gegen die tief verankerte Korruption, den Terrorismus aber vor allem das so zerstörerische Stammesdenken anzugehen, glaubt Samuel Nyademo, Ökonom an der Universität von Nairobi. Doch der Schaden ist in Kenia längst getan. Der extrem schrille Wahlkampf hat Kenia weiter polarisiert. Zudem lebt noch immer fast die Hälfte seiner rund 40 Millionen Menschen unter der Armutsgrenze, wobei vor allem die mehr als zehn Millionen arbeitslosen Jugendlichen für viel sozialen Sprengstoff sorgen.
Wolfgang Drechsler, Kapstadt
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Allgemeine Zeitung
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