Vogelfrei

Kaum ist genug Platz im Hauptquartier, dem Buccaneers Squash Club, für all die Vogelfreunde, Naturschützer und freiwilligen Helfer, die sich mit robusten Hosen, Shirts mit Vogelprint, Sonnenhüten und Fotoapparaten für die Zählung ausgerüstet haben. Studenten der Universität, alteingesessene Vogelexperten und interessierte Neulinge lauschen einträchtig den Ausführungen des Organisators Bridgeford, der die Teilnehmer nun in acht Gruppen einteilt. Aufbruch zur Lagune!
Vögel zählen und beobachten – das ist nicht nur eine beliebte Freizeitveranstaltung. Die Zahlen einer jeden Vogelzählung gehen an offizielle Stellen und Forschungseinrichtungen, wo jeder gesichtete Sichelstrandläufer, Rosapelikan und Flamingo in die Statistik einfließt und Teil des großen Zugvogelpuzzles wird. Warum gerade die Vogelzahlen so interessant für die internationale Forschung sind, weiß Vogelexperte des Umweltministeriums Holger Kolberg: „Vögel sind mit die besten Indikatoren für umgebungsverwandte Themen, weil sie sehr schnell auf veränderte Umstände reagieren. Hier muss man nach den verschiedenen Familien schauen, da sie alle verschiedene Gewohnheiten, Futter, Brutumstände usw. haben.“
Verantwortlich für die Speicherung der Daten ist das Ministerium für Umwelt und Tourismus, dazu gehen die Zahlen an Wetlands International, eine Organisation, die aus weltweit gesammelten Daten wichtige Erkenntnisse über den Zustand der Meere und Küstengebiete sowie der Vogelbestände zieht. Alle drei Jahre werden die Zahlen aus Walvis Bay zudem an Waterbird Population Estimate gesendet, wo sie in der Konferenz zur globalen Ramsar-Konvention (Ramsar ist eine Stadt im Iran) auf dem Tisch liegen - auch hier beeinflussen die Vogelzähler aus Walvis Bay international bedeutsame Entscheidungen. Im von der UNESCO verwahrten Ramsar-Abkommen wurde 1971 das „Übereinkommen über den Schutz von Feuchtgebieten" beschlossen, es gehört zu den frühesten internationalen Abkommen zum Naturschutz. Bis heute sind der Konvention ganze 164 Staaten beigetreten, zu denen auch Namibia gehört: 1995 hat Namibia das Abkommen ratifiziert und besitzt bislang fünf Ramsar-Gebiete, in denen Wasservogelarten und deren Lebensraum geschützt werden. Zuletzt wurde in 2014 ein Teil des Okawango, an den der Bwabwata-Nationalpark grenzt, in die Liste mit aufgenommen. Die Deutsche UNESCO-Kommission schreibt: „Die zentrale Botschaft der Ramsar-Konvention ist der Erhalt [ ] aller Feuchtgebiete durch Maßnahmen im Land und in internationaler Zusammenarbeit. [ ] Der Schwerpunkt der Konvention hat sich in den letzten Jahren vom Erhalt und der nachhaltigen Nutzung von Feuchtgebieten – vor allem als Lebensraum von Wasser- und Watvögeln – mehr und mehr in Richtung eines ganzheitlichen Schutzes der Ökosysteme und ihrer Funktionen entwickelt.“


Die Konvention betrachtet als „Feuchtgebiete“ neben Moor- und Sumpfgebieten, Flüssen, Seen und sämtlichen Küstengebieten auch vom Menschen geschaffene Feuchtgebiete wie Abwasserbehandlungs- und Speicherbecken. Mit dem Beitritt zur Konvention verpflichten sich die Vertragsstaaten, mindestens ein Feuchtgebiet innerhalb ihres Hoheitsgebietes als „Feuchtgebiet internationaler Bedeutung" zu benennen und dessen Erhalt zu sichern – ein Ramsar-Gebiet. Die Vertragsstaaten müssen für die Gebiete Managementpläne aufstellen und den ökologischen Zustand überwachen. Dazu sind sie angehalten, mit anderen regionalen und globalen Institutionen zusammenzuarbeiten, Öffentlichkeitsarbeit zu betreiben und die Bevölkerung einzubeziehen. Alle drei Jahre müssen die Staaten auf der Vertragsstaatenkonferenz Bericht erstatten. Das ist wieder in diesem Sommer der Fall.
Wetlands International hat seinen Hauptsitz in England – wundert es da, dass Helen Pooley und Paul Gascoigne extra von dort zur Vogelzählung angereist sind? „Wir planen unseren Jahresurlaub jedes Mal um die Zählung im namibischen Sommer herum“ erzählt Paul auf der Fahrt zur Lagune. „Wir sind auch in England in der Vogelszene aktiv, aber unsere hiesigen Freunde und die wundervolle Lagune machen die Zählung in Walvis Bay zu etwas ganz Besonderem.“
Mittlerweile sind die Gruppen an ihren Zählplätzen angekommen. Genau eingeteilt sind die Bereiche, so dass auch kein Vogel doppelt gezählt wird. Gibt es Zweifel, wo die eigene Bereichsgrenze endet, wird schnell zum Funkgerät gegriffen, mit dem jede Gruppe ausgerüstet ist. Der Nachbar wird es wissen. Wenn nicht, wird man sich einig.
Die Schülerinnen Shipindo Rauha Zadok und Jona Iviya Ndeshi sind zum ersten Mal dabei. In ihren grünen T-Shirts der Universität von Namibia stehen sie mit Ferngläsern bewaffnet neben ihrem Gruppenleiter Richard Niddrie und folgen aufmerksam seinen Anweisungen: „Wir zählen die Sichelstrandläufer in Zehnergruppen. Von den Pelikanen haben wir weniger, die lassen sich auch einzeln gut zählen.“ Majestätisch segelt einer der genannten Riesenvögel über die kleine Gruppe. Rosaflamingos und Zwergflamingos staksen durch die Lagune, sogar ein paar der afrikanischen Austernfischer sind darunter.
Beim anschließenden Braai im verglasten Beobachtungsposten, der von seiner Aussichtsplattform einen umwerfenden Blick über die Lagune und die riesigen Salzpfannen bietet, geht Peter Bridgeford auf die lokalen Gegebenheiten ein: „Die Vögel sind für uns ein Indikator für den Zustand der Walvis Bayer-Bucht und der darin liegenden Lagune. Außerdem erhalten wir durch die Zählung wichtige Informationen über den Bestand unserer schützenswerten Vogelarten – wenn etwa hier weniger gebrütet wird, kann das Problem sonstwo liegen.“ Ergänzend erklärt Holger Kolberg, dass sich die Lagune über die Jahre hinweg sehr verändert hat. Sie sei nicht mehr das, was sie vor 40 bis 50 Jahren war: „Dies ist teilweise ein natürliches Phänomen, aber auch der Entwicklung von Walvis Bay zuzuschreiben. Die Errichtung der Mauer, um die Fluten des Kuiseb aus der Stadt zu halten, hatte garantiert einen Einfluss. Natürliche Umstände wie der Dünensand, der vom Wind in die Lagune geblasen wird, tragen auch dazu bei, dass die Lagune nicht mehr so groß und tief ist wie früher. Was für einen Einfluss der neue Containerhafen haben wird, kann keiner Voraus sagen – dazu bräuchte man lange Studien, Modelle usw.“


Die gespannt erwarteten Zahlen der zweitägigen Vogelzählung sendet Peter Bridgeford ein paar Tage später an alle Beteiligten. 148 475 Vögel wurden von den 70 Zählern insgesamt gesichtet, davon 85 584 Flamingos beider Arten – das ist deren höchste Anzahl seit fünf Jahren. Was auch daran liegt, dass in diesem Jahr die Etoscha-Pfanne nicht mit Wasser gefüllt ist. Auch die hübschen Sichelstrandläufer legten mit ihrer Gesamtzahl von 44 270 beachtlich zu – bei der letzten Erhebung waren „lediglich“ 31 000 der braunen Schnepfenvögel gezählt worden. Pelikane hingegen wurden mit einer Gesamtzahl von 500 deutlich weniger gesichtet als im Februar 2014, als 1281 Pelikane gezählt wurden. Besonders auffällig ist laut Bridgeford die geringe Zahl an Kapenten und Schwarzhalstauchern.


Wetlands International und die Ramsar-Mitglieder werden mit den Zahlen dieser Walvis Bayer Vogelzählung ein neues, noch genaueres Bild der Vogelbestände, der Umweltbedingungen an der südwestafrikanischen Küste sowie der globalen Klimaentwicklungen zeichnen, das wiederum internationale Entscheidungen zur Klimapolitik in die richtige Richtung lenkt.


Wer Vögel zählt, der schützt die Welt - So leicht wie 1 – 2 – 3!



Auch Sie haben Lust, die internationale Klimaforschung zu unterstützen? Termine zu kommenden Vogelzählungen erhalten Sie von Peter Bridgeford unter der Rufnummer 081 260 7375 oder per E-Mail an [email protected]. Wer sich weiterbilden möchte, findet umfassende Informationen zu Klimaschutz, Ozeanen, Meeresvögeln und entsprechenden Daten auf www.wetlands.org, www.ramsar.org, www.nabu.de, www.greenpeace.de und www.bund.net.