Tötemeyer - eine politische Odyssee zwischen Regimen, Ländern

In diesem Jahr ist er 80 Jahre alt geworden und betrachtet sich als Person im (Un)Ruhestand: mit vollem Titel Prof. Dr. Gerhard Tötemeyer. Nach seinem Austritt aus der aktiven Politik im Jahr 2004 hat er weiter als Autor politischer Analysen und Bücher gewirkt, vor allem zum Thema Versöhnung, und wurde aufgrund seines praktischen Fachwissens von Wahlsystemen mehrfach in internationale Wahlbeobachterteams der SADC (Staatengemeinschaft des Südlichen Afrika) berufen. Nun liegt seine Autobiographie vor, Zeugnis einer packenden persönlichen und politischen Odyssee. Gerhard Tötemeyer stammt aus einem streng geführten Missionarshaushalt als einer von sechs Geschwistern. Fast seine gesamte akademische und Berufslaufbahn hat sich formal im Rahmen der afrikaansen und englischen Sprachmedien entfalte, mit Ausnahme eines Stipendiatenaufenthaltes in Freiburg, Deutschland. Es ist erfreulich, dass er die Autobiographie zuerst in seiner Muttersprache Deutsch anbietet, denn der Brückenschlag zwischen dem deutschsprachigen Kulturkreis und dem multikulturellen, vielsprachigen südafrikanischen und namibischen Umfeld gewinnt somit mehr Tiefe und Unmittelbarkeit. Eine englische Version dürfte wahrscheinlich sein, allein schon wegen der vielen geistigen und politischen Ereignisse, die er als akademischer Akteur erfahren, mitgestaltet und abgerundet hat. Dabei nimmt Tötemeyer den Leser direkt in den von Umständen und von eigener Wertvorstellung bedingten Wandel seiner eigenen politischen Anschauung hinein. Das ist eine aufregende Schilderung, in der insbesondere andere deutschsprachige Namibier kritische Wiedererkennungsmomente vorfinden, ganz gleich ob sie des Autoren Überzeugung teilen oder nicht. Es ist der Weg aus der von der Rassenpolitik geprägten aber ansonsten abgeschirmten weißen Gesellschaft Südwestafrikas der fünfziger Jahre über die Apartheidsära in Südafrika, wo er einige Jahre als Jugendführer der weißen Nationalen Partei fungierte, bis ins politische und rebellische Erwachen hinein, das von Kritik und Selbstkritik geprägt ist. Er erinnert sich an die Opfer- und Kollektenbüchse auf dem Schreibtisch seines Vaters in Keetmanshoop. Beim Einwurf einer Münze in den Schlitz nickt zum Dank die Figur eines Negerleins (eine solche Opferbüchse gab es auch im Kindergottesdienst in Tsumeb). Im Handelsladen in Keetmanshoop, wo er Kaufmannslehrling war, zeigte ein schwarzer Kunde mit den Worten auf einen Beutel „Black and White Tobacco“: „Der obere und größere Teil des Beutels ist ganz schwarz und der untere kleine Teil weiß. So wird es auch eines Tages in der Südwester Politik sein …“ In Rondebosch/Newlands hat er einmal bei einer Geselligkeit den angetrunkenen P.W. Botha (damals noch als Parteiführer der Nationalen Partei im Kapland) bei einem „Tobsuchtanfall“ erlebt. Der Autor illustriert jede Zeitphase mit einprägsamen Milieustücken und kommt immer wieder auf ein Grundanliegen zurück, Brückenbauer, Katalysator und Vermittler zu sein, Hilfestellung im oft komplexen Geflecht menschlicher Beziehungen zwischen Kultur-, Sprach- und Rassengruppen zu verleihen, irrationale Ressentiments zu entschärfen. Damit hat er sich als „Rebell“ bewusst von der vorherrschenden Tagespoliik distanziert, wurde vom südafrikanischen Sicherheitsapparat bespitzelt und ist auch bei der Regierung der SWAPO zuweilen angeeckt. Die Autobiographie enthält derart viele zeitgeschichtliche und historische, lebhaft belegte Momente, dass eine englische Übersetzung und eine mögliche zweite deutsche Auflage unbedingt mit einem Sachregister versehen werden sollten. Manch Leser oder Student möchte später noch zu einer Textstelle zurückkehren, um sich zu vergewissern: „wie war das nochmal?“ Wie hat Tötemeyer das interpretiert? Wo der Autor aus Erfahrung und als persönlicher Zeitzeuge berichtet und aufklärt, ist es spannend und aufschlussreich wie die Episoden mit der Aktionsgruppe NPP 435. Wo er jedoch nur gängige Lagermeinung reproduziert, fehlt es an Glaubwürdigkeit und Quellen wie bei der Beurteilung des Gefechts von Cuito Cuanavale. Tötemeyer resümiert am Ende der politischen Laufbahn, dass die Versöhnung in Namibia immer noch eine Baustelle ist: „Mir wurde deutlich, dass es noch ein langer und mühsamer Weg ist bis zu einem Vertrauensverhältnis ohne Theaterspiel und bis zur echten Versöhnung. Und das gilt für Schwarz zu Weiß, Weiß zu Schwarz, Schwarz zu Schwarz und Weiß zu Weiß.“ Manch Leser mag die theoretischen Erwägungen des Autoren zu gegebenen Abschnitten als mühsam empfinden, aber die Autobiographie unterscheidet sich darin, dass sie zu vielen brisanten Themen wie Versöhnung und die Selbsteinschätzung z.B. der deutschsprachigen Namibier, kritische Interpretationshilfen anbietet. So liegt ein beachtliches Werk zu besserem Verständnis der Zeitgeschichte Namibias und gleichzeitig über prägende Aspekte deutsch-namibischer Herkunft und Bindungen vor. Eberhard Hofmann Lebensstationen Gerhard Tötemeyer wurde am 21. Mai 1935 in Gibeon (!oregu ra abes: Tränke der Zebras), heute Region Hardap, geboren. Jugend- und Schuljahre verbrachte er während des 2. Weltkriegs zwischen Gelsenkirchen im schwer zerbombten Ruhrgebiet und dem Erzgebirge in Sachsen. Es folgte die Rückkehr nach Namibia Ende der 40-er Jahre. Es folgte eine Kaufmannslehre in Keetmanshoop, dann Studium in Stellenbosch, Journalist bei der Zeitung „Burger“ in Kapstadt, Lehrer an der Windhoek High School. Dann weitere Studien, auch als Stipendiat in Deutschland, Dozent in Stellenbosch, Kapstadt und in der damaligen Transkei und schließlich Dozent an der Vorstufe der namibischen Universität in Windhoek, an der Akademie für Hochschulbildung Ende der 80-er Jahre, schließlich an der jungen Universität von Namibia wirkte er als Ordinarius für Politische Wissenschaft und Verwaltungslehre. Von hier wurde er zum Leiter der Abgrenzungskommission für namibische Wahlkreise sowie als Landeswahlleiter berufen und avancierte auf politischer Ebene in die Nationalversammlung und ins Kabinett im Rang des Vizeministers für Regional- und Kommunalverwaltung sowie ländliche Entwicklung bis zu seiner formalen Pensionierung 2004. Das Werden und Wirken eines Rebellen – Autobiographische und historische Notizen eines Deutsch-Namibiers von Gerhard Tötemeyer. Kuiseb-Verlag, Druck: John Meinert Printing, Windhoek, 2015. Broschürter, illlustrierter Band, 410 Seiten. ISBN Namibia: 978-99945-76-35-7. ISBN Deutschland: 978-3-941602-89-2. Unverbindlicher Richtpreis: 260 N$