Träume von einem anderen Swakopmund

Swakopmund im Jahr 2016. Die Sam Nujoma Avenue ist eine Einbahnstraße und nur noch halb so breit wie einst. Dafür hat sich der Bürgersteig auf der windgeschützten Sonnenseite der Straße verdoppelt. Ein Café reiht sich an das nächste, zwischen Straßenmarktständen wuselt fröhlich das Leben und ein alter Mann wienert das durchgelaufene Schuhwerk der Fußgänger.

Utopie? Keinesfalls, findet Erhard Roxin. Wenn es nach dem Swakopmunder Architekten geht, dann hat sich das Stadtbild des Küstenortes in zehn Jahren grundlegend verändert. Fußgängerfreundlicher ist es, die Autos sind aus dem Zentrum weitgehend verbannt. Die Fassaden der alten Häuser stehen noch, aber innen prunken sie mit modernem Komfort.

Aber vielleicht ist das alles doch noch reines Wunschdenken, denn bisher sind Roxins Vorschläge an die Swakopmunder Stadtverwaltung auf taube Ohren gestoßen. Es sei noch nicht Zeit dafür, hieß es, und Roxin konterte: Wenn wir es uns schon ausdenken können, dann ist es höchste Zeit.

Es gibt zwei Typen Architekten, schreibt Ayn Rand in ihrem philosophischen Roman "The Fountainhead" (1943): den Realisten und den Träumer. Der Realist baut vor allem zweckdienlich und verdient sich eine goldene Nase. Beispiele seiner Bauwerke sieht Roxin in Neuentwicklungen wie etwa dem geplanten "Klotz" an der Mole, der Schwimmbad und Lighthouse-Restaurant ersetzen soll. Oder in den neuen Feriensiedlungen nördlich von Swakopmund. "Urban Sprawl ist eine Krankheit", sagt Roxin dazu. Man müsse die Stadt verdichten, statt sie weiter auszudehnen. Das schütze vor Wind und Wetter und sei das Urprinzip einer Wüstenstadt. "Wir haben hier so viele Quadratkilometer Wüste um uns herum, aber jeder Meter Wüste, der dem Menschen weichen muss, ist einer zu viel."

Dann ist da noch der Träumer, in Ayn Rands Roman in Gestalt des Architekten Howard Roark. Er träumt davon, das beste Hochhaus aller Zeiten zu bauen. Roark scheitert an seinem Idealismus, er scheitert daran, dass er seiner Zeit voraus ist und die Menschen seine Ideen nicht verstehen.

Er selbst habe etwas von beiden, findet Roxin, vom Träumer und vom Idealisten. Architektur ist für ihn Arbeit und Hobby zugleich, vor allem aber eines: Kunst. Und soziale Verantwortung. "Unsere Hauptaufgabe sollte sein, die Umgebung des Menschen zu verbessern und zu verschönern", findet er.

Oberstes Prinzip für den Architekten ist dabei: das Alte mit dem Neuen verbinden, und zwar so, dass sich das Endprodukt harmonisch in seine Umgebung eingliedert. Swakopmund sei "ein ganz spezielles Pflaster", findet der in Pretoria studierte Architekt, der das Stadtbild von Swakopmund während seiner 20-jährigen Schaffenszeit im Küstenort entscheidend mitgeprägt hat. Seine Liebe zu alten Gemäuern war es, die ihn bewog, in die ruhige Stadt am Atlantik zu ziehen. Entwickelt hatte sie sich während seiner dreijährigen Mitarbeit an Renovierungen am 500 Jahre alten Castle von Cape Town und einigen fast genauso betagten Kaphöllindischen Häusern. "Ich habe Respekt vor der alten Materie bekommen. Man fragt sich: Wie kann man die alte Großmutter wieder fit machen?"

Bauten wie das Hansa Hotel, der Kultursaal der Namib Grundschule oder die Apartements anliegend am Hohenzollernhaus sind Beispiele seiner stilgerechten Anpassungsarchitektur. Roxins Büro hatte u.a. das Bank-Windhoek-Gebäude in der Hauptstraße nach einem Brand nach alten Fotos wieder originalgetreu aufgebaut. An der Ecke Tobias Hainyeko-Straße zum Amphitheater und Holzmarkt renovierte er das Dekomax/Swabou-Gebäude, verlängerte die Fassade zur Promenade hin und schuf im Hinterhof einen mehrstöckigen Wohnungsblock, der sich in seinem Erscheinungsbild ganz dem pittoresken Kolonialstil des ursprünglichen Gebäudes anpasst.

Neuestes Vorzeigeprojekt von Erhard Roxin Architects ist der sich gerade in der Endphase befindende Umbau der First National Bank im Stadtzentrum. Am äußeren Erscheinungsbild des 1910 erbauten Hauses, aus dem zur Kolonialzeit die Deutsche Afrikabank operierte, hat sich nicht viel geändert. Nur der Anstrich ist neu. Aber hinten, dort wo eine Arkade zum Neubau "Stadtmitte" führt, schmiegt sich ein moderner Bau an das alte historische Haus. Gekachelte Mauern, eine Ballustrade aus rostfreiem Stahl, und ein frei schwebender Balken ragt als Schmuckstück über den Köpfen der Zuschauer ins Leere. "Wie ein Finger, der nur durch ganz leichte Berührung das Alte mit dem Neuen verbindet", erklärt Roxin.

Von innen präsentiert sich das Bankhaus hochmodern: eine weitläufige Eingangshalle, gefliest mit schwarzem und weiter hinten, in den niedrigeren, intimeren Räumen, mit hellerem Namib-Granit. Die Halle gibt den Blick frei nach oben bis ins alte Dachgeschoss des dreistöckigen Gebäudes. Dort oben sind die geschwärzten, uralten Dachbalken zu sehen. Sie liegen das erste Mal seit 95 Jahren frei. Früher wurde das Dachgeschoss als Lagerhalle und Rumpelkammer genutzt, heute können dort die Bankmanager mit ihren Kunden Kaffee trinken und dabei auf das Treiben in der großen Eingangshalle hinunterschauen. Dass sie das noch nicht tun, stimmt Roxin traurig. Er hatte sich das so schön vorgestellt: der Besuch bei der Bank als Event, als soziales Erlebnis - wie Shoppen oder Baden gehen. "Social banking" nennt er sein Konzept, doch an die Idee müsse das Finanzinstitut sich wohl noch gewöhnen.

Der Architekt träumt trotzdem weiter. Von einem klimagerechten Wohnen beispielsweise, das den speziellen Umweltbedingungen an der Küste angepasst ist. Mit einer Jahresdurchschnittstemperatur von 15,2 "°C - selbst das verregnete Kapstadt ist um ein Grad wärmer - "müssen wir überall die Sonne reinkriegen", sagt Roxin. Seine Lösung lautet: Innenhöfe oder hufeisenförmige Häuser, nach Norden hin offen. Da können der kalte Südwester oder der staubige Ostwind noch so sehr wehen, die Hauseigentümer haben trotzdem die Möglichkeit, (fast) das ganze Jahr über in der Sonne zu sitzen. "Mir gefällt, dass wir keine Klimaanlagen brauchen", freut sich Roxin. "Man kann alles mit natürlicher Ventilation machen. Und natürlicher Beleuchtung. Sowas sieht man von außen nicht. Aber man erlebt es drinnen."

Erleben tut Roxin das täglich: in seinem eigenes Heim in der Strandstraße, einem komplex verschachtelten und originell befensterten Haus, für das ihm das Architekturinstitut Namibias 1995 den bisher überhaupt nur zwei Mal verliehenen "Award of Excellence" ausstellte. Doch seine Vision ist in erster Linie nicht, das private Wohnen zu revolutionieren, verrät Roxin, sondern das Leben auf den Straßen, in öffentlichen Gebäuden, in der Stadt. Deshalb plädiert er dafür, jedes neue Projekt zuerst als einen Wettbewerb unter Architekten auszuschreiben - und die Städteplanung zu einem Anliegen von Jedermann zu machen. Bevor ein Projekt fertig geplant ist und dann der Öffentlichkeit als fait accompli vorgestellt wird, sollte die Bevölkerung Gelegenheit haben, ihre Meinung einzubringen. "Wir sollten über Architektur sprechen, so wie man sich übers Wetter unterhält", wünscht er sich.

Dass der Einfluss von Otto Normalverbraucher bei der Städteplanung keine Utopie sein muss, hat der Architekt schon vor Jahren bewiesen: Als Swakopmund damals seine Salzstraßen teerte und Bürgersteige baute, da schob das Ehepaar Roxin seinen Nachwuchs noch im Kinderwagen herum. Des Hochhebens der Kinderwagen auf die Bürgersteige müde, rief der Architekt bei der Stadtverwaltung an. Sein Vorschlag, an den Straßenecken Rampen anzubringen, wurde daraufhin in die Tat umgesetzt.