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Rechtsstaat Namibia: quo vadis?

Ist Namibia ein Rechtsstaat? Geht man von der juristischen Definition aus, d.h. nimmt man die Verfassung der Republik Namibia, Art. 1, als Maßstab, dann muss die Frage schon einschränkend mit de jure ja beantwortet werden. De facto wird der Rechtsstaat von Personen und Institutionen ausgehöhlt, die ihn eigentlich schützen und dienen sollten. Es ist keine Futilität mehr. Hierzu einige Beispiele:

1. Herr Koch sitzt seit nunmehr 41 Monaten in Auslieferungshaft. Straftaten innerhalb von Namibia hat er nicht begangen, eine Freilassung auf Kaution wird abgelehnt. Der Vorwurf des mutmaßlichen Millionenbetruges wird von einem ausländischen Staat erhoben und kann unmöglich eine solange Auslieferungshaft rechtfertigen. Wenn Herr Koch dann expliziert "die Advokaten Botes und Cohrssen können mir nicht erklären, anhand welcher Gesetze ich im Gefängnis bin", dann müssen Fragen erlaubt sein, z.B.: Wird am namibischen Recht vorbei ein Mensch zu Unrecht eingesperrt und durch was wird die Isolationshaft gerechtfertigt?

Weiterhin gibt die Behandlung, beim Transport nach Windhoek, falls sie war wie geschildert, Anlass zur Sorge. Sie war importun und es stellt sich die Frage, in welcher Zeit und welchem Land leben wir eigentlich, wenn auf den Körper eines mutmaßlichen Betrügers acht AK 47 gerichtet werden? Nicht auszudenken, wenn sich ein Schuss gelöst hätte. Kontakte zu Anwälten wurden unterbunden, ein Grundrecht in einem "zivilisierten Rechtsstaat". Es geht hier nicht um Schuld oder Unschuld, es geht ausschließlich um Rechtstaatlichkeit und die Einhaltung des formalen Rechts, welches nicht nur in diesem Fall verletzt wurde. Hier sollte schnell ein Paradigmenwechsel erfolgen.

Betrachtet man nur die strafrechtliche, nicht die vermögensrechtliche Seite, so kann auf Betrug eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren, in besonders schweren Fällen bis zu zehn Jahren in Deutschland verhängt werden. Nach "§ 450 StPO ist auf die zu vollstreckende Freiheitsstrafe unverkürzt die Untersuchungshaft anzurechnen. Da es unwahrscheinlich ist, dass das volle Strafmaß verhängt wird, wird unter strafrechtlichen Gesichtspunkten es bald nicht mehr eine juristische, sondern eine mathematische Frage sein, ob eine freiwillige Rückkehr nach Deutschland nicht der bessere Weg ist.

2. Am 20.1. berichtet die AZ über einen tödlich verlaufenden Jagdunfall. Die Polizei erhebt Mordanklage. Nach der Verhaftung wurde der vermutliche Todesschütze, Prof. Kuno von Plocki, gegen Zahlung einer Kaution von N$ 3000 freigelassen. Obwohl dies nicht der erste Zwischenfall war und Herr von Plocki von dem Defekt seiner Waffe wusste, was Fahrlässigkeit vermutlich ausschließt, wird er auf Kaution freigelassen. Am 27.01.06 wird die Kaution laut Staatsankläger Brain Uirab um N$ 17000 erhöht und der vermutliche Todesschütze erhält seinen Pass zurück und darf ausreisen. Ist dies rechtsstaatlich und verhältnismäßig?

3. Im Januar wird der deutsche Staatsbürger Günter Berndt aufgrund der Anzeige eines 21-Jährigen verhaftet. Abgesehen davon, dass der Verdacht besteht, dass der jugendliche Kläger seiner sexuellen Selbstbestimmung beraubt wurde und dadurch ein seelischer und/oder psychischer Schaden entstanden sein könnte, falls sich der Verdacht bestätigt, ist ihm kein Leid geschehen. Bei der Verhaftung und Tatortbesichtigung wurde Herrn Berndt ein Rechtsbeistand verwehrt, das ist ein Verstoß gegen geltendes Recht. Am 23.1. kommt es nicht zu einem Kautionsantrag, da Richter Gibson Iimbili über Unwohlsein klagt - das ist leichtfertiger Umgang mit den Freiheitsrechten des Beschuldigten. Drei Tage später ein erneuter Gerichtstermin, der damit abgeschlossen wird, dass der Richter nochmals eine Nacht über den Fall nachdenken muss.

Am folgenden Tag wird entschieden, dass ein Kautionsantrag frühestens am 10.2. gestellt werden könne, vorausgesetzt, die Ermittlungsarbeiten sind abgeschlossen - schleppende und nicht sachgerechte Ermittlungsarbeit bisher. Nächste Station, 13.2.: erneute Ablehnung des Kautionsantrages "im Interesse der Justiz". Neuer Termin, 17.2.: Der Richter war nicht fähig, eine Entscheidung zu treffen. Am 15.2. erklärt der Richter: "Ich bin gedanklich heute nicht bei dem Fall und kann deshalb keine Entscheidung treffen." Klar war zu diesem Zeitpunkt, dass Berndt nicht vorbestraft ist. Unsachgemäße Entscheidung, da Konzentrationsmängel nicht zum Nachteil eines Beschuldigten gehen dürfen. 17.2.: Richter Iimbili lehnt erneut einen Kautionsantrag ab und vertagt den Fall, wegen seines Urlaubs, auf den 6. April. Begründung: "Es sei nicht im Interesse der Öffentlichkeit, den Angeklagten auf Kaution freizulassen." Das öffentliche Interesse ist ein unbestimmter Rechtsbegriff und kann somit als "Totschlagargument" verwendet werden. Persönliche Gründe eines Richters, z.B. Urlaub, rechtfertigen keinen Freiheitsentzug. Das Obergericht entscheidet, dass Berndt für N$ 12000 auf freien Fuß kommt. Warum nicht gleich so?

Zwei Männer müssen für den Diebstahl vierer Schafe für 30 Jahre in Haft. Dieses erschreckende Urteil wurde am 16. Januar gesprochen. Geht man einmal von der deutschen Rechtssprechung aus, die ich allerdings nicht auf Namibia übertragen will, so wird Mord mit einer lebenslangen Freiheitsstrafe bestraft, doch wird regelmäßig nach 15 Jahren geprüft, ob der Verurteilte zurück in die Gesellschaft entlassen werden kann.

Ein Viehdiebstahl ist ohne wenn und aber zu ahnden, es sollte allerdings gerecht zugehen und die Strafe muss in einem angemessenen Verhältnis zur Tat stehen. Anhänger von Vergeltungs- oder Generalpräventionen sollten sich einmal mit der Geschichte des Strafrechts auseinandersetzen. Sie werden schnell feststellen, dass übertriebene Strafen absolut nichts gebracht haben, dafür die Kosten des Strafvollzuges in die Höhe getrieben und nach 30 Jahren kaputte Menschen auf die Gesellschaft losgelassen werden, die nicht mehr resozialisierungsfähig sind und mit großer Probabilität, aus Not, erneut straffällig werden, da es nichts mehr zu verlieren gibt, was auch Menschenleben bedeuten könnte. Wie gut eine Generalprävention funktioniert, kann man daran sehen, dass täglich Tausende von neuen Straftaten begangen werden. Deshalb sollte sich eine humane Gesellschaft im 21. Jahrhundert mit solchen Urteilen kein Testimonium paupertatis ausstellen.

Zurück zur Ausgangsfrage: Alle geschilderten Fälle haben wenig mit Rechtstaatlichkeit zu tun und es bleibt die Frage: Wohin treibt dieser Staat? Verliert der Bürger sein Vertrauen, dann wird es weitreichende und über die Landesgrenzen hinaus gehende Folgen haben. Wer jetzt glaubt, dies alles ginge ihn nichts an, der darf sich nicht wundern, wenn er irgendwann auf der Verliererseite steht. So wie sich H. Dietz aus Omaruru zu Recht darüber aufregt, dass ein "Schwangeres Muttertier gemeuchelt" (Leserbrief in der AZ, 7. April 2006) wurde, so sehr wünsche ich mir, dass sich die Bürger gegen Verletzungen unserer Verfassung durch Judikative und Vollzugsorgane engagieren.

Nach der momentanen Lage könnte es jeden treffen. Mehr als 80000 Verfahren schiebt das System vor sich her. Es muss zurückgeführt werden auf Rechtstaatlichkeit und Effektivität. Es muss kalkulierbar werden und den Verdacht der Willkür abschütteln, es muss modern, d.h. zeitgemäß sein, um den Menschen zu dienen. Dekadenz und Anarchie sind das Letzte was wir brauchen.

Klaus Eick, Windhoek

Kommentar

Allgemeine Zeitung 2025-06-02

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