Online-Gewalt gegen Reporter

Journalistinnen werden verstärkt Opfer von Hetze und Drohungen
WAZon-Redakteur
Von Katharina Moser, Windhoek

„Wenn ich mir anschaue, welche Folgen Gewalt online gegen Journalisten, vornehmlich Frauen haben, verstehe ich nicht, warum die Welt nicht in Panik ausbricht“, so Maria Ressa, philippinische Journalistin und Gesicht des Online-Magazins Rappler. Sie wurde am diesjährigen Internationalen Tag der Pressefreiheit in Windhoek mit dem Guillermo Cano/UNESCO-Preis für ihren kompromisslosen Journalismus – Drohungen und Klagen zum Trotz - geehrt. Die Corona-Pandemie hat ein Schlaglicht auf eine Entwicklung geworfen, die weltweit Medienvertretern und Menschenrechtlern Sorgenfalten auf die Stirn treibt: Online-Gewalt gegen Journalisten, vornehmlich weibliche, hat drastische Ausmaße angenommen und unabhängige Berichterstattung in ihren Grundfesten erschüttert.

Dieser Entwicklung liegen nun auch offizielle Zahlen zu Grunde. Eine Studie des Internationalen Zentrums für Journalisten (ICFJ), unter der Kommission der UNESCO, zeigt zum ersten Mal die statistischen Größenverhältnisse. Die globale Studie hat 901 Journalistinnen und Journalisten aus 125 Ländern befragt und 2,5 Millionen Facebook- und Twitter-Posts ausgewertet. Die Ergebnisse sind erschreckend: Die digitale Welt sei das neue Schlachtfeld für Frauenhass, Rassismus und Homophobie, verbunden mit Desinformation, Verschwörungstheorien und politischer Polarisierung.

Die Studie definiert Online-Gewalt gegen Journalisten als Drohungen, misogyne Beleidigungen, Eindringen in die Privatsphäre und Verletzung der persönlichen Sicherheit, sowie koordinierte Desinformationskampagnen. Charakteristisch ist inzwischen, dass derartige Gewalt organisiert und orchestriert, extrem in ihrer Form und weitreichend im betroffenen Personenkreis ist. Sie manifestiert sich in der Form von Hacking, Datenmanipulation, verbalen Angriffen und Todesdrohungen. Geprägt hat sich auch der Begriff des Doxxing: Angreifer veröffentlichen private und höchst intime Informationen und Bilder im Internet, um die Opfer bloßzustellen. Es geht um manipulierte Nacktbilder, Fehlinformationen, gestellte Textnachrichten.

Fast drei Viertel (73%) der weiblichen Studienteilnehmer haben Online-Gewalt erfahren. Viele unter ihnen haben Todesdrohungen oder Ankündigungen sexueller Gewalt erhalten. Ein bedeutsamer Teil der Opfer (13%), berichtet, dass sich die Drohungen auch an ihre Familienmitglieder, vor allem ihre Kinder, richteten. Die sozialen Medien fungieren als Plattform und Nährboden für koordinierte, anonyme Hasskampagnen gegen Journalistinnen. Facebook ist laut der Betroffenen die Hauptquelle, gefolgt von Twitter. Die Wissenschaftler bezeichnen dies als Plattform-Eroberung – Übeltäter machen die sozialen Medien effektiv zu ihren Waffen. Solche rein medienfokussierte Gewalt verschwimmt mit Rassismus, religiöser Intoleranz, Homophobie und politischem Extremismus. Die Studie hat gezeigt, dass, während Frauen das Hauptziel der Attacken sind, Schwarze, nicht Heterosexuelle, Indigene und Arabischstämmige überproportional betroffen sind. Die Online-Gewalt bleibt dabei nicht digital, sondern greift in die Realität über.

„Jeden Tag, bevor ich die Sendung begann, las ich die Mails in meinem Postfach, und jeden Tag fand ich eine Todesdrohung. Irgendwie war meine Mailadresse gehackt worden. Eine von ihnen, die ich niemals vergessen werde, lautete: Du wirst in die Kamera schauen, um zu deinen Zuhörern zu sprechen, und du wirst anfangen, den Text vor dir zu lesen. Und dann wirst du einen Waffenlauf sehen, und eine Kugel, die direkt auf dich zufliegt.“ So berichtet die libanesische Journalistin Ghada Oueiss, eine zentrale Figur bei Al Jazeera. „Dann fingen sie an, mir pornographische Mails zu schicken... Sie setzten meinen Kopf auf nackte Frauenkörper. Und schließlich schrieben sie Mails in meinem Namen und schickten diese Bilder an meine Kollegen.“

Caoilfhionn Gallagher QC wiederum repräsentiert zahlreiche Frauen des persischen Dienstes der BBC, die Opfer von Online-Gewalt geworden sind. Sie erzählt in der Studie, man habe von einer der Frauen ein Nacktbild gestellt und es ihrem 14 Jahre alten Sohn an seine Schule geschickt.

Auch Kimberly Halkett, die Korrespondentin für das Weiße Haus bei Al Jazeera, hat Erschreckendes im Rahmen ihrer Arbeit erleben müssen. „Sie wollten mich umbringen und sie waren hinter meiner Familie her. Meine Adresse wurde überall im Internet verbreitet. Aber das Schlimmste war, dass sie meine 15-jährige Tochter verfolgten. Sie kaperten ihren Instagram-Account, schrieben entsetzliche Dinge über sie und über mich... und dabei hat sie nichts getan, außer meine Tochter zu sein.“

Das Ziel der Angreifer ist es, die Frauen zum Schweigen zu bringen, einzuschüchtern, und zu diskreditieren. Die Folgen derartiger Gewalt sind fatal. Viele der Journalistinnen sahen sich gezwungen, verstärkte Sicherheitsmaßnahmen zu ergreifen oder gar umzusiedeln. Psychisch legen die Angriffe den Betroffenen große Lasten auf. Manche der Studienteilnehmer leiden unter posttraumatischen Belastungsstörungen, 12 Prozent haben medizinische oder psychologische Hilfe in Anspruch genommen. Während die persönlichen Konsequenzen erschreckend sind, ist die gesellschaftliche und politische Dimension indessen alarmierend. Fast ein Drittel der Betroffenen gab an, sich infolge der Angriffe auf sozialen Medien selbst zu zensieren. Journalisten werden eingeschränkt, frei und unabhängig zu berichten. Dies, so sind sich sowohl die Wissenschaftler der Studie, als auch Medienvertreter weltweit einig, ist eine ungeahnte Gefahr für Meinungsfreiheit, Informationsvermittlung und die Demokratie. Gerade auch politische Akteure fördern diese toxische Umwelt für Medienschaffende, um ihre politischen Ziele zu verwirklichen. Frauenhass ist die effektivste Waffe für jene, die Populismus und politischen Extremismus vorantreiben. Oftmals hat dies einen Schneeballeffekt, verstärkt von parteiischen Medieninstitutionen. „Die Menschen wissen nicht mehr, was sie glauben sollen und wer die Wahrheit berichtet. Wir sehen hier eine Entwicklung, die weltweit jegliches Vertrauen der Öffentlichkeit in Informationen untergräbt“, so Ressa. Auch die Direktorin der UNESCO, Audrey Azoulay, beobachtet eine wachsende Anfälligkeit der Menschen für Falschinformationen und Gerüchte.

Die Corona-Pandemie hat dies exponentiell verstärkt. Angesichts der stets wachsenden Fallzahlen könne man von einer Schattenpandemie sprechen, so die Autoren der Studie.

Die Reaktionen der Verantwortlichen zur Bekämpfung von Online-Gewalt gegen Journalisten halten sich bislang in Grenzen. Die meisten der Betroffenen haben die Angriffe ihren Arbeitgebern verschwiegen, bzw. erhielten wenig oder gar kein Gehör, wenn sie es taten. Teils werden sie selbst zu Schuldigen gemacht, oder angehalten, ihre Erlebnisse zu verschweigen. Nur sehr wenige haben sich an die Polizei gewandt, noch weniger rechtliche Schritte eingeleitet. Medieninstitutionen stehen den unbekannten Tätern im Netz zumeist machtlos gegenüber. Die Autoren der Studie fordern von den Betreibern sozialer Medien viel stärkere Bemühungen, Angriffe abzuwenden. Doch diese sind bisher daran gescheitert, die Online-Gewalt zu unterbinden. „Wir benötigen politische Reformen und neue rechtliche Initiativen.“ Auch Azoulay von der UNESCO ist sich im Klaren, dass digitale Plattformen und Algorithmen viel stärkerer Transparenz unterworfen sein müssen. „Die Verbreitung von Nachrichten über soziale Medien hat bewirkt, dass man nicht mehr feststellen kann, wo sie herkommen und wie sie sich verbreiten. Die Plattformen bereiten journalistischen Inhalt so auf, dass völlig unklar ist, wer für Fakten oder vermeintliche Fakten Rechenschaft ablegen muss.“

Eine der Journalistinnen, die sich dem Kampf gegen Attacken auf journalistische Freiheit verschrieben hat, ist Maria Ressa. „Was online passiert, bleibt nicht online. Wie es ein amerikanischer Wissenschaftler formulierte, wir stehen vor steinzeitlichen Emotionen, mittelalterlichen Institutionen und gottähnlichen Technologien.“ Ressa zufolge haben sich die Menschen zu Versuchskaninchen des technologischen Zeitalters gemacht. „Lügen und Hass verbreiten sich so viel schneller als schlichte Fakten. Soziale Medien sind voreingenommen gegenüber der Wahrheit und gegenüber Journalisten.“ Mit ihrem kompromisslosen Einsatz gegen Unwahrheiten und Versuche, sie zum Schweigen zu bringen, ist die Journalistin auch zu einer Aktivistin geworden. Doch die Konferenz zum Tag der Pressefreiheit hat gezeigt, dass es höchste Zeit ist, diesen Kampf zu führen. Denn wenn nicht, so Ressa, „ist unsere dystopische Gegenwart eure Zukunft.“

Kommentar

Allgemeine Zeitung 2024-05-04

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