Nächster Halt: Wüste
Spätestens seit „Hummeldumm“ ist die Gruppenreise das Schreckgespenst des Namibia-Urlaubers. Über Stunden ist ein Dutzend Personen gezwungen, in einem Kleinbus auszuharren. Eingekeilt zwischen Rucksäcken und einem Vorrat an Lebensmitteln, der ein afrikanisches Dorf mehrere Monate lang ernähren könnte. Unter den Gefährten finden sich die kuriosesten Charaktere, welche ihre Eigenheiten im Laufe der Reise nach und nach zur Schau stellen – wenn sie sich nicht schon bei der Abfahrt von ihrer ganz besonderen Seite gezeigt haben.
Der Tourguide schielt mit gut gelaunter Mine in den Rückspiegel und motiviert seine Gruppe: „Dann wollen wir mal los, in die Wüste.“ So rumpelt der weiße Toyota-Van mit Anhänger zunächst über die Bodenschwellen der Hauptstadt, bis die Infrastruktur nach wenigen Kilometern immer karger wird. In Rehobot bietet der Sparmarkt letzte Gelegenheit, sich mit den wichtigsten Errungenschaften der Zivilisation zu versorgen. Der ohnehin schon überladene Bus ächzt nun zusätzlich unter dem Gewicht von mehreren Kanistern Wasser, zahlreichen Chipstüten und Süßkram, der unter der Wüstensonne früher oder später dahin schmelzen wird.
Endlich auf Pad zeigt sich, wer tatsächlich Namibia entdecken will und wer sich lediglich einen unterhaltsamen Gruppenausflug erhofft. Die Hälfte der Mitreisenden schläft, einige können vom Alltag nicht loslassen und tippen ununterbrochen auf Smartphones und Tablets, während nur die wenigsten Abenteuer am Fenster kleben und die vorbeiziehende Szenerie aufsaugen. Ob auch der Philosoph Arthur Schopenhauer solch eine Reise unternahm, als er schlussfolgerte: „Bei gleicher Umgebung lebt doch jeder in einer anderen Welt“?
Benimm-Pionier Adolph Freiherr von Knigge hätte eine Gruppenreise am ehesten gemeistert, hatte er doch für Reisende eine lebenswichtige Verhaltensregel aufgestellt: „Zum Reisen gehört Geduld, Mut, guter Humor, Vergessenheit aller häuslichen Sorgen, und dass man sich durch widrige Zufälle, Schwierigkeiten, böses Wetter, schlechte Kost und dergleichen nicht niederschlagen lässt.“
Aber Hand aufs Herz, haben geführte Ausflüge nicht auch ihre guten Seiten? Wer findet schon allein die Motivation, um 4:30 Uhr Morgens aufzustehen, um die 170 Meter hohe Düne 45 vor Sonnenaufgang zu besteigen? Bei jedem Schritt muss der Fuß über nachgebenden Sand balancieren. Jeder Schritt fühlt sich an, wie ein Lauf durch zähen Wackelpudding. Bei der Rückkehr zum Parkplatz wartet der Tourguide bereits mit gekochten Eiern, Brot, Salat und frisch gebrühtem Kaffee auf die Gipfelstürmer.
Auf der anschließenden Fahrt geht es dann zum Sesriem-Canyon, bis der Bus schlagartig auf der Schotterpiste anhält und ein lautes „Kudu“ durch die Kabine hallt. Ausnahmslos alle Mitfahrer sind erstaunt darüber, wie der Guide mit festem Blick die unbefestigte Straße nach Hindernissen absucht und gleichzeitig Ausschau nach wilden Tieren hält. Solch schlagartige Unterbrechungen kommen auf den abgelegenen Straßen noch öfter vor, nur der Ruf wechselt zwischen „Oryx“, „Strauß“ und „Giraffe“. In diesem Moment sollten Kameras eingeschaltet und abschussbereit auf dem Schoß liegen, ansonsten ist die Zeit für ein Foto knapp, wenn sich das Fahrzeug wieder in Bewegung setzt .
In dem 30 Meter tiefen Canyon ist der Guide ebenfalls der Erste aus der Gruppe, der eine junge Puffotter zwischen großen Kieselsteinen entdeckt. Zu jedem Tier und jeder Pflanze informiert er seine Gäste. „Guten Kaffee machen die Einheimischen aus den Samen des Kameldornbaumes“, berichtet der Guide, als er eine helle Schote, ähnlich einer großen Teigtasche am Boden entdeckt. „Die Samen sind in den Schoten versteckt, welche getrocknet und aufgebrochen werden“.
Abends folgt der Höhepunkt der Tour: Zelten in der Wüste. Gut, eigentlich werden die Zelte auf einem Campingplatz aufgeschlagen. Aber Parzellen oder Golfcaddys, die Touristen über das Areal transportieren, gibt es hier nicht. Der Platz besteht lediglich aus einer Bar mit kleinem Supermarkt, Restaurant und einem weitläufigen Areal, auf dem vereinzelte Bäume stehen. Darunter werden die Zelte aufgeschlagen. Dabei muss die ganze Gruppe mithelfen – und der gemeinsame Einsatz schweißt zusammen. Sanitäranlagen sind von allen Zeltplätzen gut erreichbar und mit dem Schwimmbecken ist für ein bisschen Luxus gesorgt.
Und was die Mitfahrer angeht, ist es letztlich so, wie Mark Twain einst sagte: „Es gibt kein sichereres Mittel festzustellen, ob man einen Menschen mag oder nicht, als mit ihm auf Reisen zu gehen.“ Hat doch jeder Gruppe ihre Pappenheimer und der eine ist mehr oder weniger sympathisch. Und mit den angenehmen Charakteren ergeben sich nach so einer Reise oft Freundschaften für lange Jahre.
Von Benjamin Linsner
Kommentar
Allgemeine Zeitung
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