Missionarin ohne Heiligenschein (Teil 48)

Preisverleihung

Am folgenden Abend ist das vierstündige Spektakel ausverkauft. Jeder will dabei sein. Es ist eines der gesellschaftlichen Höhepunkte des Jahres. Nelson sieht großartig aus in seinem von seiner Frau selbst geschneiderten Anzug. Aber als Jackson den Raum betritt, verschlägt es mir die Sprache. Keine Spur mehr von dem in vergammelten Jeans und T-Shirt gekleideten, etwas schüchtern wirkenden Mann. Jackson trägt ein afrikanisches Outfit. Genau in dem Grünton, den ich ihm beschrieben habe. Seinen Bart hat er am Kinn geflochten. Er sieht umwerfend aus. Seine Aura ist unbeschreiblich. Er setzt sich zu mir. Er ist bis zu seinem Auftritt eher zurückhaltend, schweigsam und konzentriert. Ich bin nach ihm dran mit meiner Laudatio und froh, mich nicht zu verhaspeln und in meinen ungewohnt hohen Schuhen weder umzuknicken noch von der Bühne zu fallen. Vor reellem Publikum zu stehen, ist für mich viel herausfordernder als mich hinter einer Kamera einem großen Publikum zu präsentieren. Hier bekomme ich ja direkt die Reaktionen meiner Zuhörer mit. Mein Auftritt ist sicherlich nicht spektakulär. Die Gäste lachen zumindest und klatschen höflich.

Der Kinderchor gewinnt auch tatsächlich in der Kategorie „Bestes deutsches Chorlied”. Jeder Gewinner darf sich neben der Trophäe auch über 1000 Euro freuen.

Nelson gewinnt tatsächlich einen der begehrten Musikpreise. Ich bin sehr stolz auf ihn. Aber die Überraschung des Abends - zu mindestens für mich - ist definitiv Jackson. Auf der Bühne verwandelt er sich in einen anderen Menschen. Er ist selbstbewusst und unterhält das Publikum mit humorvollen, intelligenten Geschichten. Ich bin ebenso überrascht wie beeindruckt. Dieser Mann ist faszinierend. Und auch etwas geheimnisvoll. Leicht zu durchschauen ist er nicht, aber das macht ihn aus meiner Sicht nur noch interessanter. Nach den Feierlichkeiten verschwindet Jackson still und heimlich. Schade. Ich hätte mich noch gerne ein bisschen mit ihm unterhalten. Mit Nelson und seiner Frau feiern wir seinen Erfolg.

Wunder geschehen

Nach Erfolgen folgt oft auch eine Katastrophe. Warum das in meinem Leben immer so ist, weiß ich wirklich nicht. Vielleicht sollen sie mir ja helfen, “auf dem Teppich” zu bleiben. Meine Vermieterin kündigt mir meine Wohnung - ohne einen für mich ersichtlichen Grund. In einem Monat muss ich ausgezogen sein. Mieterschutzgesetze - was ist das? In Namibia ein Fremdwort. Besonders frustrierend ist, dass der Zeitraum nicht schlechter gewählt sein könnte. Die Sommerferien fangen an. Da ist Windhoek wie ausgestorben. Kein Mensch zieht zu so einem Zeitpunkt um. Aber ich habe keine andere Wahl. Meine Vermieterin lässt sich nicht erweichen, mir eine längere Frist zuzugestehen.

Ich schaue mir mehrere Wohnungen an, die leider alle nicht bezahlbar sind. Jedenfalls nicht bei meinem Gehalt. Eine Straße weiter ist eine Zwei-Zimmer-Wohnung frei, die für den Stadtteil Ludwigsdorf einmalig günstig ist. Die Wohnung sagt mir sofort zu. Leider entscheidet sich die Eigentümerin dafür, einem Pärchen den Zuschlag zu geben. Ich bin frustriert. Was soll ich bloß machen? Wenn das so weitergeht, sitze ich in zwei Wochen mit meinem Hab und Gut auf der Straße. So eine Situation hatte ich in meinem Leben auch noch nicht. Hinzu kommt, dass die Wohnung auch noch Maria gefallen muss, mit der ich seit einigen Wochen zusammen wohne.