Missionarin ohne Heiligenschein

Frieden finden

Zwei Tage später findet die Beerdigung in Ovitoto statt. Ernst Herma, der frühere Leiter des Warehouses, in dem Jackson so viele Konzerte gegeben hat, nimmt mich und einige Musiker mit. Die Begräbnisstelle ist so abgelegen, dass ich sie niemals alleine finden würde.

Hunderte von Menschen nehmen an der Totenfeier statt. Besonders gerührt bin ich, dass der Schwiegervater von Jackson Junior extra aus Norwegen angereist ist, um Jackson die letzte Ehre zu erweisen. Es werden viele Ansprachen gehalten. Auf Herero. Stundenlang. Zwischendurch Blasmusik. Es ist brütend heiß. Jacksons Sohn beendet das Reden schwingen. Er regt sich auf, dass diese Wertschätzung früher hätte stattfinden müssen. Ich finde zwar den Zeitpunkt unangemessen, aber ich gebe ihm im Herzen Recht. Endlich wird der Sarg über Stock und Stein zur endgültigen Ruhestätte getragen. Jackson hat gut gewählt. Die Grabstelle befindet sich ganz abgelegen auf einem Hügel mit Blick auf die wunderschöne Landschaft. Seine Vorfahren haben hier auch ihre ewige Ruhe gefunden. Viele Menschen haben gefordert, dass Jackson auf dem Heldenfriedhof beerdigt wird. Auch ein wunderschönes Fleckchen Erde. Sehr friedvoll. Aber Jackson hat sich ganz klar dagegen entschieden. Er hat mich noch bei unserem letzten Gespräch ausdrücklich darum gebeten, dafür zu sorgen, dass sein Wille an dem Punkt respektiert wird. Es wird wochenlang für Schlagzeilen und Diskussionen in den Zeitungen und Radioshows sorgen.

Sein Bruder, der Councillor der Ovitoto-Region ist, spricht mich auf dem Weg zum Grab an. Er will wissen, ob er den Koffer behalten darf, der mir gehört und den ich Jackson für den Plot geliehen hatte. Schon wieder einmal möchte die Familie etwas von mir haben. NBC filmt das Begräbnis, was dem ganzen Ereignis irgendwie die Würde nimmt. Ich bleibe bis das Grab zugeschaufelt ist. Dann lege ich mein in Herzform gearbeitetes Trauergesteck, bestehend aus roten Rosen, Perlhuhnfedern und Stachelschweinstacheln als letzten Gruß aufs frische Grab. Ich bin Ernst sehr dankbar, dass er solange auf mich wartet. Alle anderen Gäste sind bereits auf dem Weg zum Leichenschmaus. Es wird frisch geschlachtetes Rind geben. Zuvor möchte ich mir allerdings noch den Plot ansehen, den Jackson mir erst zeigen wollte, wenn er mit den Bauarbeiten fertig war. Vor meinem geistigen Auge sehe ich Jacksons Traum von einer kleinen Burg vor mir. Seit er einmal mit dem Zug den Rhein entlang gefahren ist und dabei die vielen Burgen und Schlösser gesehen hat, schwärmt er davon, eine Miniversion von einer Burg auf seinem Plot zu bauen. Es wäre schön geworden. Aber manche Träume bleiben Träume. Ich hatte von einem langen, gemeinsamen Leben mit Jackson geträumt. HIV hat diesen Traum beendet.

Es geht zurück nach Windhoek. Auf der Midgard Lodge lädt Ernst uns noch auf ein paar Drinks ein. Endlich etwas zu trinken! Die Gesellschaft seiner Musikerfreunde tut mir gut. Spätabends komme ich zu Hause an, dass so lange unser gemeinsames Heim war. Mir fehlen Jacksons Lachen, unsere Gespräche, seine Nähe.

Das Leben wandelt sich

Nun umgibt mich Stille, die am frühen Morgen der Wecker viel zu früh durchbricht. Es ist Sonntag und ich muss mich aufraffen, um die Jugendlichen 400 km zur Farm zu fahren. Es tut gut, abgelenkt zu sein. Sobald ich wieder Zuhause bin, überfällt mich eine tiefe Depression. Sie wird wochenlang anhalten. Die Freude ist weg. Ich sitze weinend oder apathisch in meinen vier Wänden herum. Dass ich es noch schaffe zu arbeiten, wundert mich im nachhinein. Irgendwann kapiere ich, dass mich die Trauer nicht verlässt, sondern täglich kränker macht. Ich suche mir Hilfe bei einer Psychologin. Sie führt mit mir eine Aufstellung durch. Dabei spüre ich den Frieden, den Jackson jetzt hat. Es gelingt in der Sitzung, mich ein Stück weit von Jackson zu lösen und die Trauer verliert an Schärfe. Ich weiß, dass ich raus muss, Freunde treffen, Sport treiben und wieder irgendwelchen Freizeitaktivitäten nachgehen muss. Ich zwinge mich dazu.

Lichtblicke und Ausblicke

Mit Sharon van Rooi, einer befreundeten Musikerin, produziere ich noch einmal ein Musikvideo. Das reißt mich endgültig aus meiner Lethargie. Meine Kreativität ist gefragt. Das Video drehen wir auf der Lapa Lange Lodge in Mariental. Ich genieße die Arbeit, die wunderschöne Landschaft und die Kreativität des Teams. Anschließend gönne ich mir noch ein paar Tage Urlaub auf der Lodge FestInn Fels. Die Lodge hat Roland erbaut, ein Freund den ich einmal bei der Post kennengelernt habe. Die Lodge liegt im Süden des Landes in den Tirasbergen. Sie ist ein kleines Wunderwerk in atemberaubend schöner Landschaft. Leider gibt es dann mehrere Rückschläge arbeitsmäßiger und gesundheitlicher Natur. Es wird deutlich, dass Phoenix Namibia seine Tore schließen muss. Die Regierung nimmt Anstoß an dem Projekt, das fast ausschließlich deutschen Jugendlichen zugute kommt. Zudem hat Phoenix es in den vergangenen Jahren versäumt, mit der Regierung zusammen zu arbeiten. Das wird nicht gerne gesehen.

Ich bin froh, dass ich mich seit langem beim Gesundheitsministerium als Sozialpädagogin beworben habe. Dort bekomme ich nun auch endlich eine Zusage, und kann am 1. April 2011 anfangen zu arbeiten.

Nach sieben überstandenen Blaseninfektionen in diesem Jahr, greift kein Antibiotikum mehr. Ein Test ergibt, dass ich resistente Keime in der Blase habe. Ich brauche eine Infusionstherapie. Außerdem habe ich wieder massive Darmblutung. Ich will mich dieses Mal aber in Deutschland untersuchen und behandeln lassen. Gott sei Dank kann ich die Unfallkasse des Bundes von der Notwendigkeit überzeugen. Sie übernehmen alle Kosten und so fliege ich kurzentschlossen Anfang Januar 2011 nach Deutschland. Einen Monat möchte ich in meiner alten Heimat bleiben. Aber es kommt mal wieder alles ganz anders als geplant.

Ich bleibe zweieinhalb Monate. Und mein Leben wird erneut auf den Kopf gestellt. Nach meiner Ankunft am Frankfurter Flughafen fahre ich gleich in ein christlich geführtes Hotel in Siegen, wo ich 14 Tage verbringen werde. Ich kann mit Ausnahme einer Nacht, im Hotel statt im Krankenhaus, übernachten. Bis auf ein paar Zysten im Magen, die gleich entfernt werden, sind alle anderen Befunde recht positiv. Eine Chemotherapie gegen die Würmchen ist dieses Mal nicht notwendig und es zeigen sich auch keine Tumore in Darm und Blase. Man vermutet, dass den Blutungen eher ein gynäkologisches Problem zugrunde liegt. Die angeblich resistenten Keime in der Blase sind auch auf „geheimnisvolle“ Weise verschwunden, so dass auch keine langwierige Infusions-Antibiotikatherapie notwendig ist. Gott sei Dank!

Im Jung-Stilling-Krankenhaus, wo ich vor 23 Jahren meine Ausbildung zur Krankenschwester gemacht habe, treffe ich viele alte Kollegen und sogar drei Mitschülerinnen aus meinem alten Kursus wieder. Da gibt es ein großes Hallo. Und der Krankenhausaufenthalt gestaltet sich somit eher wie eine Wiedersehensfeier.