Kulinarisch verführt

Von Milena Schwoge, Windhoek

„Was hast du denn mit dem Löffel vor?“, ermahnt er den Koch mit der Nummer A02. Bei den Kochwettbewerben des Namibischen Kochverbands (NCA) wird jeder Teilnehmer zu Beginn mit einem Buchstaben und zwei Ziffern versehen, die sich auf den einzelnen Tellern wiederfinden. Die Anonymität ist wichtig, damit später keine Sympathien oder Abneigungen in die Bewertung einfließen. Nummer A02 blickt verlegen nach unten. Der Mann greift zum Löffel, den er zuvor zum Abschmecken seiner Vorspeise benutzt hat, und lässt ihn schnell im Waschbecken verschwinden. „Hygiene ist das oberste Gebot. Deshalb muss auch jeder Handschuhe tragen, wenn er mit rohen Zutaten arbeitet“, sagt Henn.

Neben der Sauberkeit des Arbeitsplatzes achtet der Küchenrichter auf eine effiziente Umsetzung des Arbeitsablaufes, den jeder Teilnehmer in ausgedruckter Form neben sich liegen hat. Zudem ist ihm so wenig Verlust wie möglich wichtig. „Ich prüfe, wie viel an Lebensmittelresten am Ende weggeworfen wird“, erklärt er. Insgesamt fließen seine Beobachtungen zu etwa 30 Prozent in die Gesamtbewertung ein.

Fünfzehn Minuten trennen die Gänge voneinander. Seit dem Mittag stecken die Köche in den Vorbereitungen. In der Mitte der Küche befindet sich ein Tisch, auf dem sich unterschiedliche Lebensmittel stapeln. „Hier darf sich jeder etwas nehmen. Die Hauptzutat für die Gänge werden aber vorgeschrieben“, erklärt Henn. Bei der Vorspeise sind die Teilnehmer dazu aufgefordert, Kingklip zu verwenden. Ihr Hauptgericht muss Wild enthalten und ihr Nachtisch Kaffee. Zudem gibt es Blätterteig als Überraschungszutat.

Hinter den Küchenmauern füllt sich währenddessen langsam der Saal. Etwa 15 Menschen haben sich in der Hotelschule der namibischen Universität NUST für eine Kostprobe der Senior-Köche eingefunden. Alle haben sie eines gemeinsam: Sie sind hungrig und voller Erwartung auf den Abend.

Seit den 1990er Jahren treten Köche jährlich beim „Koch des Jahres“-Wettbewerb des namibischen Kochverbands gegeneinander an. Gekocht wird in vier Kategorien: Junior, Senior, Gebäck und Amateure. Ein Koch zählt erst dann als Senior, wenn er mindestens fünf Jahre Berufserfahrung in einer Gewerbeküche gesammelt hat. Für Schüler hat die Vereinigung zudem noch eine eigene Rubrik ins Leben gerufen, wonach sie alleine oder im Zweierteam antreten können.

Bei einem Glas Wein werden im Saal die ersten Gespräche eröffnet. Testerin Lydia freut sich sichtlich auf das Essen. Wenn es nach ihr geht, kann die Verköstigung auch direkt mit dem Nachtisch beginnen. Ihr Tischnachbar Simao, der ursprünglich aus Portugal kommt, freut sich besonders auf exotische Speisen. Der Architekt experimentiert auch privat gerne in seiner Küche. Für Patricia ist der Gang nebensächlich, Hauptsache der Teller stammt von ihrem Liebsten. Ihr Freund Dawid Noabeb ist Chefkoch im Strand Hotel in Swakopmund. „Er hat vor lauter Aufregung die letzten zwei Tage gar nichts mehr gegessen“, sagt sie und schüttelt schmunzelnd den Kopf. Dabei ist es für ihren Freund nicht die erste Teilnahme an dem Kochwettbewerb. In den vergangenen Jahren konnte er bereits den zweiten und vierten Platz für sich entscheiden, doch der Titel steht noch aus. In diesem Jahr soll es klappen. „Meine Großmutter hat früher immer für Gastkinder gekocht. Sie hat mich inspiriert, so dass ich mich dazu entschied, in ihre Fußstapfen zu treten“, erklärt Noabeb später. Mit dabei ist auch ihr gemeinsamer zweijähriger Sohn Dawastino, der sich das Warten mit seinem Spielzeug-Traktor vertreibt.

Dann öffnet sich die Tür und zwei Kellner marschieren mit den ersten Tellern in den Saal. Jeweils zehn Vorspeisen, Hauptgerichte und Dessert erwarten die Tester. Lydia, Simao, Patricia und der kleine Dawastino stürzen sich auf die lang ersehnten Kreationen. Am Jurytisch von Yannick Schweighardt, Ralf Herrgott, Romeo Jantjies und Shaun Smith werden dagegen erst die Handys aus der Hosentasche gezückt, um die teils fast schon Kunstwerken ähnelnden Teller zu fotografieren. Auch nach dem kleinen Fotoshooting ruhen Gabel und Löffel weiter. Fachmännisch beäugen die Richter zunächst das Essen. Portionierung und Aufmachung werden besprochen. „Die Filetstücke sind nicht auf jedem Teller gleich groß“, bemerkt Smith. Dann greifen die Tester zum Besteck und überzeugen sich vom Geschmack. Jedem von ihnen steht ein Löffel zu, anhand dessen sie das Zusammenspiel der einzelnen Komponenten bewerten. „Wenn es außergewöhnlich lecker ist, nehmen wir auch schon mal einen kleinen Nachschlag“, gesteht Smith und lacht. Mehrfach verteilen sie den Inhalt in ihrem Mund und fordern die Geschmacksrezeptoren ihrer Zungen hinaus. „Interessant“, „Nicht schlecht“, grummeln sie vor sich hin. „Was ist denn das?“, fragt einer in die Runde. „Schmeckt wie Gurke?“, erwidert sein Gegenüber. „Oder vielleicht doch wie Spinat?“, grübelt der Dritte. Am Ende notiert jeder für sich die Punkte.

„Der Geschmack macht 50 Prozent der Wertung aus. Aussehen und Portionen zählen auch nochmal zu 20 Prozent“, erklärt Smith. Wie am Fließband trudeln die mit mariniertem Fisch, saftigen Wildfleisch und süßen Kaffeekreationen versehenen Teller ein. Während im Saal die Kostprobe ihren Lauf nimmt, machen in der Küche die ersten Teilnehmer schon ihren Arbeitsplatz sauber. Der 18-jährigen Caylynne Clarke steht die Erleichterung förmlich ins Gesicht geschrieben: „Eigentlich ist es sogar besser gelaufen als ich gedacht habe. Aber ich war zwischendurch so nervös, dass ich einige Sachen einfach vergessen habe“, sagt sie. So suchte die Jury den Kaffee in ihrem Nachtisch beispielsweise vergebens, auch bei ihrer Vorspeise fehlte der Fisch.

Doch von der Erfahrung der anderen lässt sich die Studentin der Silver Spoon-Akademie nicht einschüchtern. „Für mich ist es ein endloser Lernprozess. Das Schöne daran ist, dass der Beruf des Koches nie aussterben wird. Ich meine, wer liebt es nicht zu essen?“, sagt sie und lacht. Diese Ansicht teilt auch Noabeb. Wie er einen Tag später erfährt, hat er den Siegertitel erneut knapp verpasst. Er landete auf Platz drei. „Man ärgert sich über Fehler, aber man lernt auch aus ihnen“, sagt er. Sein größter und treuster Fan ist ohnehin Sohn Dawastino.