Khoekhoegowab - Alte Sprache neu erlebt
Ein großes Wörterbuch kann den Grundstein dafür legen, dass Khoegowab (Nama/Damara) zwischen Namibia und Südafrika eine Renaissance erlebt - wenn es die Sprecher tatsächlich wollen. Tanja Stein befragte Prof. Wilfrid Haacke von der Universität von Namibia über die Entstehung des Wörterbuchs und die Stellung von Khoekhoegowab in der vielsprachigen Gesellschaft Namibias.
AZ: Herr Professor Haacke, die AZ hat in der Mitteilung über die Vorstellung des Khoekhoegowab Dictionary with an English-Khoekhoegowab Index am 21. Februar 2003 von einem Lebenswerk gesprochen. War unsere Wortwahl berechtigt?
Haacke: Ja, da ich in diesem Leben wahrscheinlich nicht noch einmal über 21 Jahre an einem Projekt arbeiten werde. Allerdings möchte ich dazu auch sagen, dass es dabei nicht nur um die Fertigstellung des Wörterbuchs als solchem geht. Das war ein Projekt, das 1981 anlief, wofür ich mich bereits seit 1979 um Gelder beworben hatte. Aus diesem Projekt sind schließlich mehrere Publikationen hervorgegangen. Das Wörterbuch ist zwar das Wichtigste und das ursprüngliche Endziel, aber nicht die
einzige Publikation. Als ein Vorläufer dieses Wörterbuchs kam zum Beispiel das Khoekhoegowab-English/ English-Khoekhoegowab Glossary heraus. Mein Kollege Pastor Eiseb hatte mich im Laufe der Arbeit davon überzeugt, dass das Wörterbuch zu kompliziert würde für den Khoekhoegowab sprechenden Normalverbraucher, besonders auch für die Oberstufe der Schule und Lehrer, weil da auch Tonzeichen drin sind. Er sagte, die würden die Leute verwirren und abschrecken. Ich habe mich
davon überzeugen lassen und wir haben ein vereinfachtes Glossarium in der Form einer Wortliste herausgebracht. Hier muss man wissen, dass viele Autoren in Namibia ihre Nachschlagewerke als Wörterbücher bezeichnen, es sich aber eigentlich um Glossarien handelt, da sie aus reinen Wortlisten ohne Anwendungshilfen bestehen.
Unser Glossarium wurde 1999 für Schulzwecke herausgegeben und befindet
sich inzwischen in der 2. Auflage. Ein weiteres Buch - es erschien in Deutschland - war meine Doktorarbeit, eine systematische Untersuchung der Tonologie des Khoekhoegowab. Diese Sprache ist eine Tonsprache; das heißt, Wörter werden durch Tonhöhen unterschieden. Dieses Werk ist die vollständigste tonologische Untersuchung einer Khoesan Sprache bisher. Weiterhin sind wir jetzt verpflichtet, dieses Khoekhoegowab-English Glossary umzuarbeiten in ein Khoekhoegowab-Afrikaans Glossarium. Der Pan South African Language Board hat uns vertraglich verpflichtet, das Buch für die Khoe Nachfahren in Südafrika zu erstellen, die jetzt wieder zu ihrer Muttersprache zurückfinden wollen. Damit sind unter anderem die
Korana und die Nama in Südafrika gemeint. Diese Menschen, besonders die
Korana und Xrikwa, sind heute alle zum Afrikaans übergewechselt. Darum muss das Glossarium Afrikaans gebrauchen, denn diese Leute können kaum Englisch. Dieses Teilprojekt muss noch abgehandelt werden und zwar bis zum Ende diesen Jahres, laut Kontrakt. Außerdem hatten wir vor mehreren Jahren eine Dialektuntersuchung angestellt . Ein Projekt, das eigentlich nebenbei lief aber voll integriert ist. Es geht hier um die verschiedenen Dialekte im sogenannten Nama/Damara oder Khoekhoegowab. Die zentrale Frage war eben, ob "Nama" und "Damara" Dialekte einer Sprache sind oder autonome Sprachen sind. Die Untersuchung erschien in einer wissenschaftlichen Serie, die ich unter dem Namen "Namibian African Studies" herausgebe. Des weiteren haben wir eine elektronische Datenbasis, die wir zwecks eventueller Revisionen laufend erweitern wollen, für weitere Auflagen des Wörterbuches oder für andere Projekte. Das Wichtigste daran ist, dass die Datenbasis eine Suchmaschine ist. Man hat damit ein starkes Forschungswerkzeug, um gewisse Daten zu suchen - seien sie von semantischer Art, oder dass man zum Beispiel Lehnwörter suchen will oder Metaphern, oder auch phonologische Kombinationen. Die Dienste dieser Suchmaschine stehen auch der internationalen Khoesanistik zur Verfügung. Wenn Wissenschaftler mich mit gewissen Zielsetzungen um Daten bitten, kann ich sie ausdrucken, wenn die Kriterien erfassbar sind. Insofern ist dieses Projekt noch nicht abgeschlossen und bleibt daher ein Lebenswerk.
AZ: Gibt es eine oder andere einheimische Sprachen, deren Wortschatz
ebenso gut dokumentiert ist?
Haacke: Ob eine ebenso "gut" dokumentiert ist, sei dahingestellt. Das müssen andere beurteilen. Aber so vollständig dokumentiert ist keine andere namibische Sprache. Rein quantitativ haben wir sehr viel mehr Eintragungen als andere Wörterbücher. Vergleichsweise hat das Nama Wörterbuch von Friedrich Rust etwas über 7000 Stichwörter. Unser Buch hat 24 500 Eintragungen, davon muss man allerdings 2700 abziehen, weil es sich hierbei um Anwendungsbeispiele handelt. Insgesamt sind es also knappe 22 000 Stichwörter. Man geht davon aus, dass eine sich entwickelnde Sprache etwa 18 000 Wörter hat. Keine andere Sprache in Namibia ist derart dokumentiert worden, denn viele der Wörterbücher sind von Missionaren unter sehr schwierigen Bedingungen erstellt worden - natürlich ohne Computer. Heute werden oft Glossarien im Schnellverfahren erstellt, die nach 2 - 3 Jahren auf dem Markt sein sollen. Die sind somit nicht sehr gründlich und tiefgehend.
AZ: Zur Namensgebung der Sprache und zur Begriffserläuterung - Seit
wann will sich die Bezeichnung Khoekhoegowab gegen Nama/Damara (oder
Nama/Dama, wie man es auch liest) durchsetzen?
Haacke: Hier muss ich vorausschicken, dass das Wort "Khoekhoegowab" keine Neuschöpfung ist wie "Khoesan", sondern eine Wiederbelebung des
ursprünglichen Namens für die Sprache. Jan van Riebeeck hat ein paar
Monate nachdem er am Kap ankam, im Januar 1653, schon zum ersten Mal in
seinem Tagebuch von den Khoekhoe gesprochen. Die sogenannten "Hottentotten", wie sie damals hießen - aber das Wort gebraucht man heute nicht mehr - nannten sich selbst Khoekhoe. "Khoe" heißt Mensch, und "Khoekhoe" sind sozusagen, die typischen, die wirklichen Menschen. Das Wort "gowab" heisst Sprache, "Khoekhoegowab" also Khoekhoe-Sprache. "Khoekhoegowab" war auch in Namibia noch gebräuchlich als die Missionare im frühen 19. Jahrhundert hier ankamen. Sie kamen durch den Süden, von Kapstadt. Zuerst haben sie im 19. Jahrhundert fast nur unter den Nama im Süden gearbeitet, nicht unter den Damara. Krönlein hat 26 Jahre in Berseba gearbeitet. Das war der Mann, der im 19. Jahrhundert am meisten
für die Sprache getan hat. Und er hat 1889 sein berühmtes Wörterbuch
herausgebracht unter dem Titel "Wortschatz der Khoi-khoin (Namaqua-Hottentotten". Damit deutete er an, dass das Nama ein spezieller Dialekt des Khoekhoegowab sei und dass es aber auch noch etwas anderes gebe. Das war ihm sehr klar. Missionar Friedrich Rust hat dieses Buch überarbeitet. Es erschien 1969 und heißt inzwischen "Nama Wörterbuch". Das Wort Khoekhoegowab verschwand um die Jahrhundertwende, also zum Anfang des 20. Jahrhunderts, aus der Literatur. Das geht darauf zurück, dass die Missionare sich auf die Nama konzentriert hatten, weil
sie an den Gehöften von Nama-Häuptlingen oder Chefs ansässig waren, wo sie mehr Menschen antrafen.
Die Damara verfügten nicht über ein solch politisch stark strukturiertes System.
Sie lebten in kleinen Gruppen durchs Land verteilt. Erst Vedder hat sich um
etwa 1930 mit der Sprache und Kultur der Damara schriftlich befasst.
Bis dahin war der Name Khoekhoegowab aber verschwunden und man nannte die
Sprache Nama. Die Damara waren sehr verärgert darüber und haben
behauptet, sie sprächen "Damara". Die Frage, ob das ein Dialekt oder
eine eigene Sprache ist, war sowieso ein Streitpunkt für Wissenschaftler. Denn es sind hier keine klaren Grenzen oder Kriterien anzubringen, wann ein Dialekt als Sprache anzusehen ist. Es gibt zwischen Nama und Damara eine sehr polemische Debatte, die noch jetzt in der Presse geführt wird. Die Behörden haben als Kompromiss vorgeschlagen, die Sprache "Nama/Damara" zu nennen. Die damalige
Southwest African Broadcasting Corporation hat daraus "Damara/Nama"
gemacht. Schon daran kann man eine Zwistigkeit ausmachen. Pastor Eiseb,
mit dem ich das Wörterbuch gemacht habe, hat sich lange dafür
eingesetzt, dass das abgeschafft wird. Das war genauso unsinnig, wie
"Südwestafrika/Namibia". Er konnte sich daran erinnern, dass seine
Großmutter von Khoekhoegowab gesprochen hat, und so hat er diesen Namen
wieder vorgeschlagen. Ich habe von der archivarischen Seite die Belege
dazugebracht. Diese Debatte wurde vor der Unabhängigkeit in dem
sogenannten Nama/Damara Language Committee der Erziehungsbehörde
geführt und damals lief die Meinung der Mehrheit dahin, dass man das
akzeptieren würde. In der Versammlung habe Ich mich als Außenstehender vollkommen aus der Debatte herausgehalten. Aber letzten Endes nahm ein sehr
prominentes Nama Mitglied Stellung: die Geschichte habe sie gelehrt,
dass sie durch Kompromisse nur immer verloren hätten. "Ich spreche
Nama. Ob ihr Khoekhoegowab oder was auch sprecht, ich spreche Nama." Damit
war die Debatte für zehn Jahre vom Tisch. Und nach der Unabhängigkeit wurde
das Thema wieder von Pastor Eiseb aufgebracht, und der Name
Khoekhoegowab wurde akzeptiert, denn der besagte Herr war nicht mehr
Mitglied. Das heißt, der Name "Khoekhoegowab" ist also nur
wiederbelebt worden. Es war ein historischer Fehler, der umständehalber durch die
Arbeit der Missionare entstanden ist, dass die Sprache "Nama" genannt
wurde. Das ist eigentlich ein Dialekt-Name, der zum Sprachnamen erhoben
worden war.
AZ: Ihr Einstieg in afrikanische Sprachen geschah über Otjiherero. Was
hat den Anstoß gegeben, dass Sie sich derart intensiv mit Khoekhoegowab
befassen?
Haacke: Reine berufliche Umstände. Mir fiel die Berufswahl schwer, weil ich mir
zwei grundsätzliche Bedingungen gestellt hatte. Das eine war, dass ich
mir eine gemeinnützige Aufgabe im Beruf stellen wollte. Außerdem wollte
ich zurückkehren nach Namibia - ich bin gebürtiger Namibier - und ich
wusste nicht, was ich studieren sollte und hatte in Kapstadt mit
Germanistik angefangen. Ich verdanke meine Berufswahl Frau Karin
Lubisch. Sie war damals Buchhändlerin bei der ehemaligen Buchhandlung
John Meinert, die heutige Central News Agency. Ich hatte da einen
Ferienjob in meinen ersten Studentenferien und sie brachte mich auf die
Idee: Warum nicht namibische Sprachen? Ich habe mich mit Prof. Ernst
Westphal an der Universität Kapstadt in Verbindung gesetzt. Er war dort
Professor für afrikanische Sprachen. Er hat mir Sonderregelungen
eingeräumt mit dem Segen des Senats, dass ich unter seiner Aufsicht
autodidaktisch Otjiherero machen dürfte. Autodidaktisch, denn damals
wurden namibische Sprachen noch an keiner Universität gelehrt. Erstmal
musste ich eine andere, südafrikanische Bantu-Sprache belegen, die sie
dort unten regulär anbieten. Später konnte ich dann ins Otjiherero
einsteigen. Als ich dann nach einem Gaststudium in Marburg zurück kam
und in Namibia auf einen Job hoffte - es gab damals landesweit nur
einen Posten für jede Sprache, in dem sogenannten Sprachbüro, wo Schulbücher
geschrieben wurden - da war der Posten für Otjiherero besetzt. Man bot
mir aber den Posten für "Nama/Damara" - wie es damals hieß - an. Der
war schon zwei Jahre unbesetzt, da man niemanden dafür finden konnte. Ich
konnte die Sprache damals gar nicht sprechen. Wir, d.h. mein
Nama-Damara Kollege und ich, haben damals im Tandem gearbeitet. Das war sehr
effektiv; das tut man heute leider nicht mehr. Man hatte in dem Büro
pro Sprache einen linguistisch Vorgebildeten - das waren damals Weiße - mit
einem Muttersprachler zusammen angestellt, die gemeinsam Schulbücher
schrieben. Ich hatte also einen Khoekhoe sprechenden Kollegen, Herrn
Johannes Boois. Man gab mir ein Jahr Zeit, mich in die Sprache
einzuarbeiten, bevor wir anfangen mussten, Schulbücher zu produzieren.
So bin ich aus dem Otjiherero ganz rausgekommen. Ich habe in diesem
Sprachkomitee zwar noch ein paar Jahre gedient, aber nie praktisch mit
dieser Sprache gearbeitet. Außer dass ich jetzt über die Linguistik
einiger Bantu-Sprachen wieder Vorlesungen halten muss. Ansonsten ich
bin vollkommen auf das Khoekhoegowab umgestiegen und habe mich darauf
spezialisiert.
AZ: Khoekhoegowab wird als Muttersprache bis zur Klasse 10 gelehrt, wie
eine Presseerklärung des Erziehungsministeriums besagt. Bei der
Vorstellung des Wörterbuchs war von 176 000 Khoekhoegowab-Sprechern
Namibias die Rede. Wie erklären Sie sich die niedrige Schülerzahl - 425
- die im Jahr 2002 das Fach noch in der Klasse 10 belegt hat?
Haacke: Offensichtlich ist diese Presseerklärung aus dem Jahr 2002. Obwohl es
stimmt, dass das Interesse an dem Fach bedrohlich mangelhaft ist, ist
die Erklärung aber etwas hinterher. Denn inzwischen wird in der
Sekundarstufe II die Sprache langsam eingeführt, wenn auch sehr
schleppend. Es gibt jetzt erst fünf Schulen landesweit, die
Khoekhoegowab bis zur Klasse 12 anbieten. Das fing 1998 an. Da wurde an
der Oberschule in Khorixas zum ersten Mal das Klasse 12-Examen in
Khoekhoegowab für HIGSCE abgelegt. Dann kamen weitere Schulen hinzu, in
Keetmanshoop, Omaruru und Gibeon. Im letzten Jahr kam noch Rehoboth
dazu. Das sind die einzigen Schulen, die Khoekhoegowab bisher in Klasse
12 anbieten, das heißt, es werden bisher landesweit erst fünf Lehrer
benötigt. Und das ist eben der Grund, worauf das Problem hauptsächlich
zurück geht. Es besteht auf dem Arbeitsmarkt keine ausdrückliche
Nachfrage nach geschulten Khoekhoegowab-Sprechern. Das heißt, es winkt
kein materieller Lohn für Studenten, die sich auf Khoekhoegowab
spezialisieren, denn man kann die Sprache sowieso höchstens als Lehrer
im Staatsdienst anwenden. Und da gibt es eben zu wenig Schulen, wo sie
benötigt wird, denn ein Universitätsgrad wird zum Unterrichten nur für
die Sekundarstufe II benötigt. Bis Klasse 10 dürfen Lehrer mit einer
College-Ausbildung unterrichten.
Außerdem leidet Khoekhoegowab besonders unter dem Unabhängigkeitssyndrom, dass man sich von den afrikanischen Muttersprachen trennt und sich einer ehemaligen Kolonialsprache zuwendet, in unserem Falle Englisch. Man meint, das sei der Schlüssel zum sozialen und wirtschaftlichen Aufstieg. Die Khoekhoe haben noch den besonderen Ruf, dass sich die Sprecher mehr als in irgendeinem anderen Volk von ihrer Sprache abwenden. Das ist auch der Grund, warum die Khoe-Sprachen in Südafrika ausgestorben sind, weil die Khoe sich schnell dem Kap-Holländischen bezw. Afrikaans zugewendet haben. Den ersten Schulstreik über Sprachprobleme hatten wir in Namibia nicht unlängst in den 70er Jahren, sondern 1844 in Bethanien, wo man nicht wollte, das Khoekhoegowab in den Schulen gelehrt wurde, sondern Holländisch. Denn das war die Sprache der Händler. Auch schon dort bestimmten Wirtschaftserwägungen Fragen der Spracherhaltung und Sprachpolitik.
Khoekhoegowab war die erste Sprache, die in Namibia auf Universitätsebene eingeführt wurde. Das war 1984, als ich an der Academy for Tertiary Education angestellt wurde, um das Departement for African Languages einzurichten. Wir haben in der ganzen Zeit nur zwei Studenten ausbilden können, die mit Khoekhoegowab als Hauptfach abgeschlossen haben. Das ist mein jetziger Kollege, den wir damals zum Grundstudium anwarben, der jetzt in Kanada seinen Doktor macht. Der andere ist jetzt Schulleiter. Ansonsten haben wir nur Studenten, die
ein, zwei Jahre die Sprache als Nebenfach belegt haben. 1986 wurde der Zwang aufgehoben, dass in der Unterstufe die Muttersprache als Unterrichtssprache gebraucht werden muss. Bis dahin hatten wir etwa 20 Studenten im Jahr. Nach dem Beschluss fielen die Studentenzahlen sofort drastisch. Wir haben in diesem Jahr nicht einen Studenten, der Khoekhoegowab belegt.
AZ: Wie kommt das?
Haacke: Kein Interesse. Außerdem hat das Ministry of Higher Education die afrikanischen Sprachen bei der Zuteilung von Studiendarlehen auf niedrigste Priorität gesetzt. Erst wenn die Bewerber aller anderen Fächer bedient sind, werden Darlehen für das Studium von afrikanische Sprachen vergeben. An der Ausführung unserer eigentlich sinnvollen Sprachpolitik hapert es hier. Generell sind die Studentenzahlen für afrikanische Sprachen drastisch gefallen. 1990 hatten wir noch über 100
Studenten. Dann begannen die Zahlen so zu fallen, dass im Jahr 2000 die
Arbeitsverträge unserer beiden ausländischen Professoren nicht erneuert
wurden. Das Departement kann seitdem auch nicht mehr das volle Programm
anbieten. Khoekoegowab und Otjiherero sind von dem Desinteresse am
schlimmsten betroffen, abgesehen von Silozi.
AZ: Prof. Haacke, Sie unterscheiden in Ihrem Vortrag über Linguistic
Evidence in the Study of Origins: The Case of the Namibian Khoekhoe-Speakers zwischen acht Dialektgruppen. Kann man in der Zuordnung dieser Gruppen zueinander Vergleiche der engen und ferneren Sprachverwandtschaft anstellen, so wie es zwischen näheren Sprachverwandten (Holländer und Buren) und entfernteren Verwandten (Ovambo und Herero) möglich ist?
Haacke: Ja, das kann man, obwohl der Vergleich mit dem Holländischen wegen der
historischen Entwicklung nicht ganz zutreffend ist. Das sind die
Untersuchungen, über die wir zuerst in dem Buch Namibian Languages:
Reports and Papers berichtet haben. Worauf Sie hinweisen, ist meine
Antrittsvorlesung, sehr viele Jahre verspätet gegeben, da die
Fertigstellung des Wörtebuchs wichtiger war. Da habe ich die Ergebnisse
für ein breites Publikum populär dargestellt. Wir haben damals eine
Methode gebraucht - sie nennt sich Dialektometrie - mit der man mit
einem Computerprogramm die Daten statistisch auswerten kann und die
Distanz zwischen zwei Dialekten mit einem numerischen Wert darstellen
kann. Dieses Programm wurde in Zusammenarbeit der Universität Köln und
der Sorbonne entworfen und uns hier auch zur Verfügung gestellt.
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass der Damara Dialekt im
zentralen Namibia sich von dem Nama Dialekt im nahen Süden kaum unterscheidet und beide Dialekte eindeutig zu derselben Sprache, eben Khoekhoegowab,
gehören. Das wichtigste Ergebnis war der unverhoffte Beweis, dass die
Damara - entgegen aller volkstümlichen Behauptungen - ihre jetzige
Sprache nicht von den Nama erlernt haben können, da in den von den Nama
relativ unberührten Damara Dialekten des hohen Nordens (Hai//om) und
des Westens (Sesfontein) alte Formen des Khoekhoegowab erhalten sind, die
die Nama nicht haben. Die Damara müssen also schon Khoekhoe-Sprecher
gewesen sein, als sie mit den von Süden einwandernden Nama in Berührung
kamen.
AZ: Wie eng oder wie fern ist zum Beispiel die Khwe-Minderheit des
Westcaprivi mit der Khoekhoegowab-Familie verwandt?
Haacke: Rein erfahrungsmäßig kann festgestellt werden, dass Khwe und Khoekhoe
sich nicht verstehen können; es handelt sich um verschiedene Sprachen,
die allerdings beide zum Zentral-Khoesan gehören. Dialektometrisch hat
unsere spezifische Wortliste eine dialektale Nähe von nur etwa 20% und
14% zwischen Khwe und dem zentralen Damara, bezw. zentralem Nama
ergeben. Diese Zahlen sollten jedoch eher relativ, nicht absolut
verstanden werden. Vergleichsweise hat das Naro aus Botswana eine Nähe
von 24%, bezw. 22% zum zentralen Damara und Nama. Die dialektale Nähe
des nördlich gelegenen Hai//om zum geographisch abgelegenen Naro
beläuft sich auf 34%, zum Khwe dagegen aber nur 24%. Diese Verhältnisse sind
durch die vorgeschichtlichen Verwandtschaftsverhältnisse und Migrationen aus Botswana bedingt.
AZ: Drohen für den Fortbestand der Sprache Gefahren?
Haacke: Ja. Rein zahlenmäßig würde man Khoekhoegowab nicht unter die bedrohten
Sprachen zählen. Diese Zahl von 176 000 Sprechern geht auf 1990 zurück.
Inzwischen sind es noch mehr geworden und es ist immerhin mit 12 Prozent
die zweitgrößte Sprachengruppe in Namibia. Aber wenn man die Haltung
der Sprecher zu ihrer Muttersprache in Betracht zieht, auch die Vorgeschichte der in Südafrika schon ausgestorbenen Khoekhoe-Sprachen, dann würden wir Khoekhoegowab als gefährdet ansehen. Die Gefahr liegt in der eigenen Haltung der Khoekhoe-Sprecher zu Ihrer Sprache.
AZ: Gibt es in Namibia Khoekhoegowab-Sprachkurse für Anfänger oder
Quereinsteiger?
Haacke: Prinzipiell, ja. Bei uns in Departement angefangen, diese Kurse stehen
im Vorlesungsverzeichnis. Tatsächlich haben wir sie aber noch nie
angeboten, weil sich höchsten ein Interessent im Jahr meldet, und für
eine Person können wir keinen neuen Kurs einrichten. Auch im Language
Centre der Unam wird Khoekhoegowab aufgeführt. Meistens laufen die
Kurse aber auch nicht wegen mangelnder Nachfrage. Früher konnte man auch
Kurse am Polytechnikum nehmen. Ob jetzt tatsächlich ein Kurs angeboten wird,
weiß ich nicht. An der ehemaligen Akademie haben wir einen
Anfängerkurs angeboten, der von den Prinzipien der Lozanov-Methode
Gebrauch machte. Dieser Kurs erfreute sich guten Zuspruchs.
AZ: Könnte vom Wörterbuch der Khoekhoegowab-Sprecher eine Neubesinnung
ausgehen, vor allem im Hinblick auf die eigene und unverwechselbare
namibische Identität?
Haacke: Das ist sehr zu erhoffen, aber nicht unbedingt zu erwarten. Pastor
Eiseb und ich haben das Buch dem Erhalt des Khoekhoegowab gewidmet.
Besonders für Pastor Eiseb war dieser Beitrag zum Spracherhalt eine Lebensaufgabe. Wir haben uns mit diesem Buch bemüht, - und das war unser Hauptanliegen - die Sprache und den Wortschatz der Khoekhoe-Sprache zu dokumentieren, bevor sie sich noch weiter zurückbildet. Zum einen, um den Wortschatz zu erhalten und, wenn möglich, zu den Leuten zurück zu führen; und auch, um für sie den Bezug zur Landessprache Englisch zu erstellen. Darum haben wir auch viele englische Alternativen gegeben. Es ist ja auch immer die Frage, für
welchen Sprachbenutzer man ein Wörterbuch schreibt und und in welcher Richtung das Buch hauptsächlich benutzt werden soll. Unser Wörterbuch wurde in erster Hinsicht für die Khoekhoe geplant. Wir haben zum Beispiel auch antiquierte Begriffe aufgenommen, die dabei sind, in Vergessenheit zu geraten, damit sie eventuell vor dem endgültigen Untergang bewahrt werden können. Wir haben das Wörterbuch als
Sprachwerkzeug geliefert. Nun liegt es bei den Sprechern, ob sie das Buch als eine Aufwertung der Sprache verstehen und die Gelegenheit zur Neubesinnung ergreifen.
AZ: Danke für das Gespräch.
AZ: Herr Professor Haacke, die AZ hat in der Mitteilung über die Vorstellung des Khoekhoegowab Dictionary with an English-Khoekhoegowab Index am 21. Februar 2003 von einem Lebenswerk gesprochen. War unsere Wortwahl berechtigt?
Haacke: Ja, da ich in diesem Leben wahrscheinlich nicht noch einmal über 21 Jahre an einem Projekt arbeiten werde. Allerdings möchte ich dazu auch sagen, dass es dabei nicht nur um die Fertigstellung des Wörterbuchs als solchem geht. Das war ein Projekt, das 1981 anlief, wofür ich mich bereits seit 1979 um Gelder beworben hatte. Aus diesem Projekt sind schließlich mehrere Publikationen hervorgegangen. Das Wörterbuch ist zwar das Wichtigste und das ursprüngliche Endziel, aber nicht die
einzige Publikation. Als ein Vorläufer dieses Wörterbuchs kam zum Beispiel das Khoekhoegowab-English/ English-Khoekhoegowab Glossary heraus. Mein Kollege Pastor Eiseb hatte mich im Laufe der Arbeit davon überzeugt, dass das Wörterbuch zu kompliziert würde für den Khoekhoegowab sprechenden Normalverbraucher, besonders auch für die Oberstufe der Schule und Lehrer, weil da auch Tonzeichen drin sind. Er sagte, die würden die Leute verwirren und abschrecken. Ich habe mich
davon überzeugen lassen und wir haben ein vereinfachtes Glossarium in der Form einer Wortliste herausgebracht. Hier muss man wissen, dass viele Autoren in Namibia ihre Nachschlagewerke als Wörterbücher bezeichnen, es sich aber eigentlich um Glossarien handelt, da sie aus reinen Wortlisten ohne Anwendungshilfen bestehen.
Unser Glossarium wurde 1999 für Schulzwecke herausgegeben und befindet
sich inzwischen in der 2. Auflage. Ein weiteres Buch - es erschien in Deutschland - war meine Doktorarbeit, eine systematische Untersuchung der Tonologie des Khoekhoegowab. Diese Sprache ist eine Tonsprache; das heißt, Wörter werden durch Tonhöhen unterschieden. Dieses Werk ist die vollständigste tonologische Untersuchung einer Khoesan Sprache bisher. Weiterhin sind wir jetzt verpflichtet, dieses Khoekhoegowab-English Glossary umzuarbeiten in ein Khoekhoegowab-Afrikaans Glossarium. Der Pan South African Language Board hat uns vertraglich verpflichtet, das Buch für die Khoe Nachfahren in Südafrika zu erstellen, die jetzt wieder zu ihrer Muttersprache zurückfinden wollen. Damit sind unter anderem die
Korana und die Nama in Südafrika gemeint. Diese Menschen, besonders die
Korana und Xrikwa, sind heute alle zum Afrikaans übergewechselt. Darum muss das Glossarium Afrikaans gebrauchen, denn diese Leute können kaum Englisch. Dieses Teilprojekt muss noch abgehandelt werden und zwar bis zum Ende diesen Jahres, laut Kontrakt. Außerdem hatten wir vor mehreren Jahren eine Dialektuntersuchung angestellt . Ein Projekt, das eigentlich nebenbei lief aber voll integriert ist. Es geht hier um die verschiedenen Dialekte im sogenannten Nama/Damara oder Khoekhoegowab. Die zentrale Frage war eben, ob "Nama" und "Damara" Dialekte einer Sprache sind oder autonome Sprachen sind. Die Untersuchung erschien in einer wissenschaftlichen Serie, die ich unter dem Namen "Namibian African Studies" herausgebe. Des weiteren haben wir eine elektronische Datenbasis, die wir zwecks eventueller Revisionen laufend erweitern wollen, für weitere Auflagen des Wörterbuches oder für andere Projekte. Das Wichtigste daran ist, dass die Datenbasis eine Suchmaschine ist. Man hat damit ein starkes Forschungswerkzeug, um gewisse Daten zu suchen - seien sie von semantischer Art, oder dass man zum Beispiel Lehnwörter suchen will oder Metaphern, oder auch phonologische Kombinationen. Die Dienste dieser Suchmaschine stehen auch der internationalen Khoesanistik zur Verfügung. Wenn Wissenschaftler mich mit gewissen Zielsetzungen um Daten bitten, kann ich sie ausdrucken, wenn die Kriterien erfassbar sind. Insofern ist dieses Projekt noch nicht abgeschlossen und bleibt daher ein Lebenswerk.
AZ: Gibt es eine oder andere einheimische Sprachen, deren Wortschatz
ebenso gut dokumentiert ist?
Haacke: Ob eine ebenso "gut" dokumentiert ist, sei dahingestellt. Das müssen andere beurteilen. Aber so vollständig dokumentiert ist keine andere namibische Sprache. Rein quantitativ haben wir sehr viel mehr Eintragungen als andere Wörterbücher. Vergleichsweise hat das Nama Wörterbuch von Friedrich Rust etwas über 7000 Stichwörter. Unser Buch hat 24 500 Eintragungen, davon muss man allerdings 2700 abziehen, weil es sich hierbei um Anwendungsbeispiele handelt. Insgesamt sind es also knappe 22 000 Stichwörter. Man geht davon aus, dass eine sich entwickelnde Sprache etwa 18 000 Wörter hat. Keine andere Sprache in Namibia ist derart dokumentiert worden, denn viele der Wörterbücher sind von Missionaren unter sehr schwierigen Bedingungen erstellt worden - natürlich ohne Computer. Heute werden oft Glossarien im Schnellverfahren erstellt, die nach 2 - 3 Jahren auf dem Markt sein sollen. Die sind somit nicht sehr gründlich und tiefgehend.
AZ: Zur Namensgebung der Sprache und zur Begriffserläuterung - Seit
wann will sich die Bezeichnung Khoekhoegowab gegen Nama/Damara (oder
Nama/Dama, wie man es auch liest) durchsetzen?
Haacke: Hier muss ich vorausschicken, dass das Wort "Khoekhoegowab" keine Neuschöpfung ist wie "Khoesan", sondern eine Wiederbelebung des
ursprünglichen Namens für die Sprache. Jan van Riebeeck hat ein paar
Monate nachdem er am Kap ankam, im Januar 1653, schon zum ersten Mal in
seinem Tagebuch von den Khoekhoe gesprochen. Die sogenannten "Hottentotten", wie sie damals hießen - aber das Wort gebraucht man heute nicht mehr - nannten sich selbst Khoekhoe. "Khoe" heißt Mensch, und "Khoekhoe" sind sozusagen, die typischen, die wirklichen Menschen. Das Wort "gowab" heisst Sprache, "Khoekhoegowab" also Khoekhoe-Sprache. "Khoekhoegowab" war auch in Namibia noch gebräuchlich als die Missionare im frühen 19. Jahrhundert hier ankamen. Sie kamen durch den Süden, von Kapstadt. Zuerst haben sie im 19. Jahrhundert fast nur unter den Nama im Süden gearbeitet, nicht unter den Damara. Krönlein hat 26 Jahre in Berseba gearbeitet. Das war der Mann, der im 19. Jahrhundert am meisten
für die Sprache getan hat. Und er hat 1889 sein berühmtes Wörterbuch
herausgebracht unter dem Titel "Wortschatz der Khoi-khoin (Namaqua-Hottentotten". Damit deutete er an, dass das Nama ein spezieller Dialekt des Khoekhoegowab sei und dass es aber auch noch etwas anderes gebe. Das war ihm sehr klar. Missionar Friedrich Rust hat dieses Buch überarbeitet. Es erschien 1969 und heißt inzwischen "Nama Wörterbuch". Das Wort Khoekhoegowab verschwand um die Jahrhundertwende, also zum Anfang des 20. Jahrhunderts, aus der Literatur. Das geht darauf zurück, dass die Missionare sich auf die Nama konzentriert hatten, weil
sie an den Gehöften von Nama-Häuptlingen oder Chefs ansässig waren, wo sie mehr Menschen antrafen.
Die Damara verfügten nicht über ein solch politisch stark strukturiertes System.
Sie lebten in kleinen Gruppen durchs Land verteilt. Erst Vedder hat sich um
etwa 1930 mit der Sprache und Kultur der Damara schriftlich befasst.
Bis dahin war der Name Khoekhoegowab aber verschwunden und man nannte die
Sprache Nama. Die Damara waren sehr verärgert darüber und haben
behauptet, sie sprächen "Damara". Die Frage, ob das ein Dialekt oder
eine eigene Sprache ist, war sowieso ein Streitpunkt für Wissenschaftler. Denn es sind hier keine klaren Grenzen oder Kriterien anzubringen, wann ein Dialekt als Sprache anzusehen ist. Es gibt zwischen Nama und Damara eine sehr polemische Debatte, die noch jetzt in der Presse geführt wird. Die Behörden haben als Kompromiss vorgeschlagen, die Sprache "Nama/Damara" zu nennen. Die damalige
Southwest African Broadcasting Corporation hat daraus "Damara/Nama"
gemacht. Schon daran kann man eine Zwistigkeit ausmachen. Pastor Eiseb,
mit dem ich das Wörterbuch gemacht habe, hat sich lange dafür
eingesetzt, dass das abgeschafft wird. Das war genauso unsinnig, wie
"Südwestafrika/Namibia". Er konnte sich daran erinnern, dass seine
Großmutter von Khoekhoegowab gesprochen hat, und so hat er diesen Namen
wieder vorgeschlagen. Ich habe von der archivarischen Seite die Belege
dazugebracht. Diese Debatte wurde vor der Unabhängigkeit in dem
sogenannten Nama/Damara Language Committee der Erziehungsbehörde
geführt und damals lief die Meinung der Mehrheit dahin, dass man das
akzeptieren würde. In der Versammlung habe Ich mich als Außenstehender vollkommen aus der Debatte herausgehalten. Aber letzten Endes nahm ein sehr
prominentes Nama Mitglied Stellung: die Geschichte habe sie gelehrt,
dass sie durch Kompromisse nur immer verloren hätten. "Ich spreche
Nama. Ob ihr Khoekhoegowab oder was auch sprecht, ich spreche Nama." Damit
war die Debatte für zehn Jahre vom Tisch. Und nach der Unabhängigkeit wurde
das Thema wieder von Pastor Eiseb aufgebracht, und der Name
Khoekhoegowab wurde akzeptiert, denn der besagte Herr war nicht mehr
Mitglied. Das heißt, der Name "Khoekhoegowab" ist also nur
wiederbelebt worden. Es war ein historischer Fehler, der umständehalber durch die
Arbeit der Missionare entstanden ist, dass die Sprache "Nama" genannt
wurde. Das ist eigentlich ein Dialekt-Name, der zum Sprachnamen erhoben
worden war.
AZ: Ihr Einstieg in afrikanische Sprachen geschah über Otjiherero. Was
hat den Anstoß gegeben, dass Sie sich derart intensiv mit Khoekhoegowab
befassen?
Haacke: Reine berufliche Umstände. Mir fiel die Berufswahl schwer, weil ich mir
zwei grundsätzliche Bedingungen gestellt hatte. Das eine war, dass ich
mir eine gemeinnützige Aufgabe im Beruf stellen wollte. Außerdem wollte
ich zurückkehren nach Namibia - ich bin gebürtiger Namibier - und ich
wusste nicht, was ich studieren sollte und hatte in Kapstadt mit
Germanistik angefangen. Ich verdanke meine Berufswahl Frau Karin
Lubisch. Sie war damals Buchhändlerin bei der ehemaligen Buchhandlung
John Meinert, die heutige Central News Agency. Ich hatte da einen
Ferienjob in meinen ersten Studentenferien und sie brachte mich auf die
Idee: Warum nicht namibische Sprachen? Ich habe mich mit Prof. Ernst
Westphal an der Universität Kapstadt in Verbindung gesetzt. Er war dort
Professor für afrikanische Sprachen. Er hat mir Sonderregelungen
eingeräumt mit dem Segen des Senats, dass ich unter seiner Aufsicht
autodidaktisch Otjiherero machen dürfte. Autodidaktisch, denn damals
wurden namibische Sprachen noch an keiner Universität gelehrt. Erstmal
musste ich eine andere, südafrikanische Bantu-Sprache belegen, die sie
dort unten regulär anbieten. Später konnte ich dann ins Otjiherero
einsteigen. Als ich dann nach einem Gaststudium in Marburg zurück kam
und in Namibia auf einen Job hoffte - es gab damals landesweit nur
einen Posten für jede Sprache, in dem sogenannten Sprachbüro, wo Schulbücher
geschrieben wurden - da war der Posten für Otjiherero besetzt. Man bot
mir aber den Posten für "Nama/Damara" - wie es damals hieß - an. Der
war schon zwei Jahre unbesetzt, da man niemanden dafür finden konnte. Ich
konnte die Sprache damals gar nicht sprechen. Wir, d.h. mein
Nama-Damara Kollege und ich, haben damals im Tandem gearbeitet. Das war sehr
effektiv; das tut man heute leider nicht mehr. Man hatte in dem Büro
pro Sprache einen linguistisch Vorgebildeten - das waren damals Weiße - mit
einem Muttersprachler zusammen angestellt, die gemeinsam Schulbücher
schrieben. Ich hatte also einen Khoekhoe sprechenden Kollegen, Herrn
Johannes Boois. Man gab mir ein Jahr Zeit, mich in die Sprache
einzuarbeiten, bevor wir anfangen mussten, Schulbücher zu produzieren.
So bin ich aus dem Otjiherero ganz rausgekommen. Ich habe in diesem
Sprachkomitee zwar noch ein paar Jahre gedient, aber nie praktisch mit
dieser Sprache gearbeitet. Außer dass ich jetzt über die Linguistik
einiger Bantu-Sprachen wieder Vorlesungen halten muss. Ansonsten ich
bin vollkommen auf das Khoekhoegowab umgestiegen und habe mich darauf
spezialisiert.
AZ: Khoekhoegowab wird als Muttersprache bis zur Klasse 10 gelehrt, wie
eine Presseerklärung des Erziehungsministeriums besagt. Bei der
Vorstellung des Wörterbuchs war von 176 000 Khoekhoegowab-Sprechern
Namibias die Rede. Wie erklären Sie sich die niedrige Schülerzahl - 425
- die im Jahr 2002 das Fach noch in der Klasse 10 belegt hat?
Haacke: Offensichtlich ist diese Presseerklärung aus dem Jahr 2002. Obwohl es
stimmt, dass das Interesse an dem Fach bedrohlich mangelhaft ist, ist
die Erklärung aber etwas hinterher. Denn inzwischen wird in der
Sekundarstufe II die Sprache langsam eingeführt, wenn auch sehr
schleppend. Es gibt jetzt erst fünf Schulen landesweit, die
Khoekhoegowab bis zur Klasse 12 anbieten. Das fing 1998 an. Da wurde an
der Oberschule in Khorixas zum ersten Mal das Klasse 12-Examen in
Khoekhoegowab für HIGSCE abgelegt. Dann kamen weitere Schulen hinzu, in
Keetmanshoop, Omaruru und Gibeon. Im letzten Jahr kam noch Rehoboth
dazu. Das sind die einzigen Schulen, die Khoekhoegowab bisher in Klasse
12 anbieten, das heißt, es werden bisher landesweit erst fünf Lehrer
benötigt. Und das ist eben der Grund, worauf das Problem hauptsächlich
zurück geht. Es besteht auf dem Arbeitsmarkt keine ausdrückliche
Nachfrage nach geschulten Khoekhoegowab-Sprechern. Das heißt, es winkt
kein materieller Lohn für Studenten, die sich auf Khoekhoegowab
spezialisieren, denn man kann die Sprache sowieso höchstens als Lehrer
im Staatsdienst anwenden. Und da gibt es eben zu wenig Schulen, wo sie
benötigt wird, denn ein Universitätsgrad wird zum Unterrichten nur für
die Sekundarstufe II benötigt. Bis Klasse 10 dürfen Lehrer mit einer
College-Ausbildung unterrichten.
Außerdem leidet Khoekhoegowab besonders unter dem Unabhängigkeitssyndrom, dass man sich von den afrikanischen Muttersprachen trennt und sich einer ehemaligen Kolonialsprache zuwendet, in unserem Falle Englisch. Man meint, das sei der Schlüssel zum sozialen und wirtschaftlichen Aufstieg. Die Khoekhoe haben noch den besonderen Ruf, dass sich die Sprecher mehr als in irgendeinem anderen Volk von ihrer Sprache abwenden. Das ist auch der Grund, warum die Khoe-Sprachen in Südafrika ausgestorben sind, weil die Khoe sich schnell dem Kap-Holländischen bezw. Afrikaans zugewendet haben. Den ersten Schulstreik über Sprachprobleme hatten wir in Namibia nicht unlängst in den 70er Jahren, sondern 1844 in Bethanien, wo man nicht wollte, das Khoekhoegowab in den Schulen gelehrt wurde, sondern Holländisch. Denn das war die Sprache der Händler. Auch schon dort bestimmten Wirtschaftserwägungen Fragen der Spracherhaltung und Sprachpolitik.
Khoekhoegowab war die erste Sprache, die in Namibia auf Universitätsebene eingeführt wurde. Das war 1984, als ich an der Academy for Tertiary Education angestellt wurde, um das Departement for African Languages einzurichten. Wir haben in der ganzen Zeit nur zwei Studenten ausbilden können, die mit Khoekhoegowab als Hauptfach abgeschlossen haben. Das ist mein jetziger Kollege, den wir damals zum Grundstudium anwarben, der jetzt in Kanada seinen Doktor macht. Der andere ist jetzt Schulleiter. Ansonsten haben wir nur Studenten, die
ein, zwei Jahre die Sprache als Nebenfach belegt haben. 1986 wurde der Zwang aufgehoben, dass in der Unterstufe die Muttersprache als Unterrichtssprache gebraucht werden muss. Bis dahin hatten wir etwa 20 Studenten im Jahr. Nach dem Beschluss fielen die Studentenzahlen sofort drastisch. Wir haben in diesem Jahr nicht einen Studenten, der Khoekhoegowab belegt.
AZ: Wie kommt das?
Haacke: Kein Interesse. Außerdem hat das Ministry of Higher Education die afrikanischen Sprachen bei der Zuteilung von Studiendarlehen auf niedrigste Priorität gesetzt. Erst wenn die Bewerber aller anderen Fächer bedient sind, werden Darlehen für das Studium von afrikanische Sprachen vergeben. An der Ausführung unserer eigentlich sinnvollen Sprachpolitik hapert es hier. Generell sind die Studentenzahlen für afrikanische Sprachen drastisch gefallen. 1990 hatten wir noch über 100
Studenten. Dann begannen die Zahlen so zu fallen, dass im Jahr 2000 die
Arbeitsverträge unserer beiden ausländischen Professoren nicht erneuert
wurden. Das Departement kann seitdem auch nicht mehr das volle Programm
anbieten. Khoekoegowab und Otjiherero sind von dem Desinteresse am
schlimmsten betroffen, abgesehen von Silozi.
AZ: Prof. Haacke, Sie unterscheiden in Ihrem Vortrag über Linguistic
Evidence in the Study of Origins: The Case of the Namibian Khoekhoe-Speakers zwischen acht Dialektgruppen. Kann man in der Zuordnung dieser Gruppen zueinander Vergleiche der engen und ferneren Sprachverwandtschaft anstellen, so wie es zwischen näheren Sprachverwandten (Holländer und Buren) und entfernteren Verwandten (Ovambo und Herero) möglich ist?
Haacke: Ja, das kann man, obwohl der Vergleich mit dem Holländischen wegen der
historischen Entwicklung nicht ganz zutreffend ist. Das sind die
Untersuchungen, über die wir zuerst in dem Buch Namibian Languages:
Reports and Papers berichtet haben. Worauf Sie hinweisen, ist meine
Antrittsvorlesung, sehr viele Jahre verspätet gegeben, da die
Fertigstellung des Wörtebuchs wichtiger war. Da habe ich die Ergebnisse
für ein breites Publikum populär dargestellt. Wir haben damals eine
Methode gebraucht - sie nennt sich Dialektometrie - mit der man mit
einem Computerprogramm die Daten statistisch auswerten kann und die
Distanz zwischen zwei Dialekten mit einem numerischen Wert darstellen
kann. Dieses Programm wurde in Zusammenarbeit der Universität Köln und
der Sorbonne entworfen und uns hier auch zur Verfügung gestellt.
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass der Damara Dialekt im
zentralen Namibia sich von dem Nama Dialekt im nahen Süden kaum unterscheidet und beide Dialekte eindeutig zu derselben Sprache, eben Khoekhoegowab,
gehören. Das wichtigste Ergebnis war der unverhoffte Beweis, dass die
Damara - entgegen aller volkstümlichen Behauptungen - ihre jetzige
Sprache nicht von den Nama erlernt haben können, da in den von den Nama
relativ unberührten Damara Dialekten des hohen Nordens (Hai//om) und
des Westens (Sesfontein) alte Formen des Khoekhoegowab erhalten sind, die
die Nama nicht haben. Die Damara müssen also schon Khoekhoe-Sprecher
gewesen sein, als sie mit den von Süden einwandernden Nama in Berührung
kamen.
AZ: Wie eng oder wie fern ist zum Beispiel die Khwe-Minderheit des
Westcaprivi mit der Khoekhoegowab-Familie verwandt?
Haacke: Rein erfahrungsmäßig kann festgestellt werden, dass Khwe und Khoekhoe
sich nicht verstehen können; es handelt sich um verschiedene Sprachen,
die allerdings beide zum Zentral-Khoesan gehören. Dialektometrisch hat
unsere spezifische Wortliste eine dialektale Nähe von nur etwa 20% und
14% zwischen Khwe und dem zentralen Damara, bezw. zentralem Nama
ergeben. Diese Zahlen sollten jedoch eher relativ, nicht absolut
verstanden werden. Vergleichsweise hat das Naro aus Botswana eine Nähe
von 24%, bezw. 22% zum zentralen Damara und Nama. Die dialektale Nähe
des nördlich gelegenen Hai//om zum geographisch abgelegenen Naro
beläuft sich auf 34%, zum Khwe dagegen aber nur 24%. Diese Verhältnisse sind
durch die vorgeschichtlichen Verwandtschaftsverhältnisse und Migrationen aus Botswana bedingt.
AZ: Drohen für den Fortbestand der Sprache Gefahren?
Haacke: Ja. Rein zahlenmäßig würde man Khoekhoegowab nicht unter die bedrohten
Sprachen zählen. Diese Zahl von 176 000 Sprechern geht auf 1990 zurück.
Inzwischen sind es noch mehr geworden und es ist immerhin mit 12 Prozent
die zweitgrößte Sprachengruppe in Namibia. Aber wenn man die Haltung
der Sprecher zu ihrer Muttersprache in Betracht zieht, auch die Vorgeschichte der in Südafrika schon ausgestorbenen Khoekhoe-Sprachen, dann würden wir Khoekhoegowab als gefährdet ansehen. Die Gefahr liegt in der eigenen Haltung der Khoekhoe-Sprecher zu Ihrer Sprache.
AZ: Gibt es in Namibia Khoekhoegowab-Sprachkurse für Anfänger oder
Quereinsteiger?
Haacke: Prinzipiell, ja. Bei uns in Departement angefangen, diese Kurse stehen
im Vorlesungsverzeichnis. Tatsächlich haben wir sie aber noch nie
angeboten, weil sich höchsten ein Interessent im Jahr meldet, und für
eine Person können wir keinen neuen Kurs einrichten. Auch im Language
Centre der Unam wird Khoekhoegowab aufgeführt. Meistens laufen die
Kurse aber auch nicht wegen mangelnder Nachfrage. Früher konnte man auch
Kurse am Polytechnikum nehmen. Ob jetzt tatsächlich ein Kurs angeboten wird,
weiß ich nicht. An der ehemaligen Akademie haben wir einen
Anfängerkurs angeboten, der von den Prinzipien der Lozanov-Methode
Gebrauch machte. Dieser Kurs erfreute sich guten Zuspruchs.
AZ: Könnte vom Wörterbuch der Khoekhoegowab-Sprecher eine Neubesinnung
ausgehen, vor allem im Hinblick auf die eigene und unverwechselbare
namibische Identität?
Haacke: Das ist sehr zu erhoffen, aber nicht unbedingt zu erwarten. Pastor
Eiseb und ich haben das Buch dem Erhalt des Khoekhoegowab gewidmet.
Besonders für Pastor Eiseb war dieser Beitrag zum Spracherhalt eine Lebensaufgabe. Wir haben uns mit diesem Buch bemüht, - und das war unser Hauptanliegen - die Sprache und den Wortschatz der Khoekhoe-Sprache zu dokumentieren, bevor sie sich noch weiter zurückbildet. Zum einen, um den Wortschatz zu erhalten und, wenn möglich, zu den Leuten zurück zu führen; und auch, um für sie den Bezug zur Landessprache Englisch zu erstellen. Darum haben wir auch viele englische Alternativen gegeben. Es ist ja auch immer die Frage, für
welchen Sprachbenutzer man ein Wörterbuch schreibt und und in welcher Richtung das Buch hauptsächlich benutzt werden soll. Unser Wörterbuch wurde in erster Hinsicht für die Khoekhoe geplant. Wir haben zum Beispiel auch antiquierte Begriffe aufgenommen, die dabei sind, in Vergessenheit zu geraten, damit sie eventuell vor dem endgültigen Untergang bewahrt werden können. Wir haben das Wörterbuch als
Sprachwerkzeug geliefert. Nun liegt es bei den Sprechern, ob sie das Buch als eine Aufwertung der Sprache verstehen und die Gelegenheit zur Neubesinnung ergreifen.
AZ: Danke für das Gespräch.
Kommentar
Allgemeine Zeitung
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