G20: Realismus für Afrika fehlt
Aktuelle UNO-Prognosen gehen davon aus, dass sich die Zahl der Menschen im Afrika südlich der Sahara bis zum Jahr 2050 verdoppeln wird - von derzeit knapp über einer Milliarde auf dann mindestens 2,2 Milliarden! Ob diese Menschen eines Tages tatsächlich emsige Konsumenten und Produzenten werden oder stattdessen vor allem sozialen Zündstoff liefern, wird sich in der nächsten Generation entscheiden. Noch ist völlig unklar, woher all die Schulen, Krankenhäuser und vor allem die Millionen an Jobs für die vielen jungen Afrikaner kommen sollen.
Zahl der Migranten steigt
Erste Anzeichen dessen, was sich in Afrika zusammenbraut, sind dieser Tage in Italien zu sehen. Kein Tag vergeht, an dem nicht Hunderte von Migranten in seinen überlasteten Häfen anlanden. Bis zum Jahresende werden es wohl 300000 Neuankömmlinge sein, die allein über die Mittelmeerroute via der Staatsruine Libyen nach Norden kommen - mehr als je zuvor.
Groß ist deshalb in Europa die Sorge, die Migration aus dem Süden könne aus dem Ruder laufen und seine Länder überlasten. Schiere Panik hatte die deutsche Bundeskanzlerin auch dazu bewogen, den Nachbarkontinent zu einem Schwerpunkt des G20-Gipfels am vergangenen Wochenende in Hamburg zu machen. Dass nun trotzdem kaum mehr als ein paar Gemeinplätze in der Abschlusserklärung stehen, ist sicherlich auch den vielen anderen globalen Krisenherden geschuldet. Daneben sind die meisten G20-Staaten, darunter auch China, Indien oder Brasilien, anders als die meisten Europäer keine direkten Zielländer des Zustroms an Migranten - und entsprechend weniger alarmiert.
Ein Thema bleibt tabu
Immerhin ging es in Hamburg anders als bei früheren Gipfeln diesmal nicht um eine Aufstockung der klassischen Entwicklungshilfe. Ob es jedoch reichen wird, wenn die G20-Staaten wie nun geplant eine Reihe von Wirtschafts-Patenschaften mit ohnehin bereits besser regierten Ländern in Afrika eingehen, aber darüber Schlüsselländer wie den Kongo, das kranke Herz Afrikas, ignorieren, darf nach den Erfahrungen der Vergangenheit bezweifelt werden. Fast völlig unerwähnt blieb zudem wieder die Bevölkerungsexplosion südlich der Sahara, obwohl sie mehr als alles andere einer Genesung Afrikas entgegensteht, schon weil der stete Zuwachs an Menschen jeden noch so kleinen Fortschritt gleich wieder zunichte macht.
Geldgeschenke bremsen
Auch ist seit langem bekannt, dass durch den steten Geldzufluss eine echte Eigendynamik in Afrika eher verhindert denn befördert wird. Der Bundesverband der Deutschen Industrie hat in einem Positionspapier zum G20-Gipfel zu Recht zudem noch einmal ausdrücklich daran erinnert, dass für mehr Investitionen der Privatwirtschaft vor allem „veränderte politische und soziale Rahmenbedingungen“ in Afrika selbst notwendig wären. Viele Investitionshemmnisse wie etwa die gesellschaftlich oft geduldete Korruption oder die tief verwurzelte Vetternwirtschaft seien vorwiegend politischer Natur und könnten weder finanziell noch technisch gelöst werden. Kein Wunder, dass sich westliche Unternehmen mit Investitionen in Subsahara-Afrika seit Jahrzehnten extrem zurückhalten und die allermeisten seiner 49 Länder in den Statistiken gar nicht erst auftauchen.
Trendwende verpasst
Mehr Realismus gegenüber Afrika wäre vor allem jenen Politikern zu wünschen, die wie die deutsche Bundeskanzlerin und ihr Entwicklungsminister noch immer glauben, man könne Afrika vor allem von außen zum ersehnten Wirtschaftsboom a la Asien verhelfen. Doch das wird schon deshalb nicht gelingen, weil es nach all der verschenkten Zeit für eine rasche Trendwende nun zu spät ist. Die alten Denkschablonen werden erst dann zerplatzen, wenn sich Afrika nicht länger hinter der kolonialen Vergangenheit verschanzt und begreift, dass es seine Entwicklung nicht an den Westen oder auch China auslagern kann, sondern selbst die Verantwortung für sein Schicksal übernehmen muss.
Wolfgang Drechsler, Kapstadt
Zahl der Migranten steigt
Erste Anzeichen dessen, was sich in Afrika zusammenbraut, sind dieser Tage in Italien zu sehen. Kein Tag vergeht, an dem nicht Hunderte von Migranten in seinen überlasteten Häfen anlanden. Bis zum Jahresende werden es wohl 300000 Neuankömmlinge sein, die allein über die Mittelmeerroute via der Staatsruine Libyen nach Norden kommen - mehr als je zuvor.
Groß ist deshalb in Europa die Sorge, die Migration aus dem Süden könne aus dem Ruder laufen und seine Länder überlasten. Schiere Panik hatte die deutsche Bundeskanzlerin auch dazu bewogen, den Nachbarkontinent zu einem Schwerpunkt des G20-Gipfels am vergangenen Wochenende in Hamburg zu machen. Dass nun trotzdem kaum mehr als ein paar Gemeinplätze in der Abschlusserklärung stehen, ist sicherlich auch den vielen anderen globalen Krisenherden geschuldet. Daneben sind die meisten G20-Staaten, darunter auch China, Indien oder Brasilien, anders als die meisten Europäer keine direkten Zielländer des Zustroms an Migranten - und entsprechend weniger alarmiert.
Ein Thema bleibt tabu
Immerhin ging es in Hamburg anders als bei früheren Gipfeln diesmal nicht um eine Aufstockung der klassischen Entwicklungshilfe. Ob es jedoch reichen wird, wenn die G20-Staaten wie nun geplant eine Reihe von Wirtschafts-Patenschaften mit ohnehin bereits besser regierten Ländern in Afrika eingehen, aber darüber Schlüsselländer wie den Kongo, das kranke Herz Afrikas, ignorieren, darf nach den Erfahrungen der Vergangenheit bezweifelt werden. Fast völlig unerwähnt blieb zudem wieder die Bevölkerungsexplosion südlich der Sahara, obwohl sie mehr als alles andere einer Genesung Afrikas entgegensteht, schon weil der stete Zuwachs an Menschen jeden noch so kleinen Fortschritt gleich wieder zunichte macht.
Geldgeschenke bremsen
Auch ist seit langem bekannt, dass durch den steten Geldzufluss eine echte Eigendynamik in Afrika eher verhindert denn befördert wird. Der Bundesverband der Deutschen Industrie hat in einem Positionspapier zum G20-Gipfel zu Recht zudem noch einmal ausdrücklich daran erinnert, dass für mehr Investitionen der Privatwirtschaft vor allem „veränderte politische und soziale Rahmenbedingungen“ in Afrika selbst notwendig wären. Viele Investitionshemmnisse wie etwa die gesellschaftlich oft geduldete Korruption oder die tief verwurzelte Vetternwirtschaft seien vorwiegend politischer Natur und könnten weder finanziell noch technisch gelöst werden. Kein Wunder, dass sich westliche Unternehmen mit Investitionen in Subsahara-Afrika seit Jahrzehnten extrem zurückhalten und die allermeisten seiner 49 Länder in den Statistiken gar nicht erst auftauchen.
Trendwende verpasst
Mehr Realismus gegenüber Afrika wäre vor allem jenen Politikern zu wünschen, die wie die deutsche Bundeskanzlerin und ihr Entwicklungsminister noch immer glauben, man könne Afrika vor allem von außen zum ersehnten Wirtschaftsboom a la Asien verhelfen. Doch das wird schon deshalb nicht gelingen, weil es nach all der verschenkten Zeit für eine rasche Trendwende nun zu spät ist. Die alten Denkschablonen werden erst dann zerplatzen, wenn sich Afrika nicht länger hinter der kolonialen Vergangenheit verschanzt und begreift, dass es seine Entwicklung nicht an den Westen oder auch China auslagern kann, sondern selbst die Verantwortung für sein Schicksal übernehmen muss.
Wolfgang Drechsler, Kapstadt
Kommentar
Allgemeine Zeitung
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