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"Es war irgendwie alles fremd"

Die 41-Jährige aus Zella-Mehlis im deutschen Bundesland Thüringen ist aber nur für einige Tage Fernsehstar und Mutter der namibischen Natalie (13) und Chantal (11). Der deutsche Sender RTLII tauscht schon seit 2003 für jeweils zehn Tage Frauen und Mütter zweier fremder Familien und beobachtet sie in ihrem neuen Umfeld. Für die anstehende Jubiläumsfolge, die 200., sollten keine Kosten gescheut und erstmals Europa verlassen werden. Die Wahl auf das Tauschland Namibia fiel laut RTLII aufgrund der nur geringen Zeitverschiebung zu Deutschland und der hier weit verbreiteten deutschen Sprache.
Obwohl die Mamas bei diesem Format auf die Probe - Kritiker sagen bloßgestellt - werden, wird die Reise nach Windhoek für Heike Hildebrandt mehr zu einem Erholungs- als Arbeitsaufenthalt, zu einer Erfüllung eines Traumes. Zum einen, weil sie hier "nur" zwei und nicht wie zu Hause 13 Kinder im Alter von 22 Jahren bis neun Monaten zu versorgen hat. Zum anderen, weil sie zuvor noch nie Urlaub gemacht hat, noch nie im Ausland und noch nie geflogen war. Jetzt sollten es gleich zehn Stunden Flug sein, in ein für sie bisher völlig unbekanntes Land.
Dass es für die Vielfach-Mama nach Namibia geht, hat sie erst am Flughafenschalter in Frankfurt/Main gemerkt. Nachdem sie ihre Kinder erfolgreich angemeldet hatten, holte sie ein Frauentausch-Team zu Hause ab - das Fahrtziel bleibt bei der Sendung immer geheim. "Ich hab gedacht, es geht nach München oder Köln. Deshalb hatte ich auch nur Winterklamotten im Koffer", erzählt die Thüringerin. Zum Glück war es zum Dreh kurz vor Weihnachten nicht allzu heiß und holte die Oma ihrer neuen Familie ein paar Klamotten für sie aus dem Schrank.
Und so treffen wir die Hausfrau und gelernte Fleischerin mit Pulli, Trainingsjacke und zusammen mit ihrem "neuen" Mann, dem Unternehmensberater Michael Jaspert (46), in "Joe's Beerhouse". Ein Ausflug zuvor führte alle auf die Heja-Lodge nahe Windhoek, natürlich mit Kamerabegleitung. Arbeiten musste Heike aber trotzdem, den Haushalt an der Toermalynstraße in Eros schmeißen, dort ein Baumhaus bauen und sogar versuchen, ein Haus zu verkaufen und sich somit im Makler-Beruf der "richtigen" Mutter beweisen. "Dabei kann ich gar kein Englisch. Nur gut, dass eine Mitarbeiterin dabei war", so Heike. Ob das Haus letztlich verkauft wurde, weiß sie nicht.
"Nein", sagt Tauschpartnerin und Immobilienmaklerin Susanne Jaspert nach ihrer Rückkehr aus Deutschland. Die 45-Jährige ist durch die Frauentausch-Anzeige in der AZ, über die eine namibische Mutter gesucht wurde, aufmerksam geworden. Im Gegensatz zu Heike kannte Susanne ihr Tauschland, schließlich kam sie vor über 15 Jahren aus Stuttgart nach Windhoek.
In einem neuen Bundesland wie Thüringen war sie vorher jedoch noch nie. Doch nicht nur die Stadt Zella-Mehlis war ihr dort vollkommen neu: Die zweifache Mutter aus einer gut gesitteten Familie mit schmuckem Einfamilienhaus mit Garten, Pool, Haushälterin und Gärtner musste auf einmal den Haushalt einer Familie in Größe einer Fußballmannschaft mit Auswechselspieler bewältigen, und das in einem ehemaligen Mietshaus mit laut Susanne "immer mehr Stöcken und Zimmern", in dem immer Ramba-Zamba war und auch Leute aus der Straße ständig ein- und ausgingen. "Es war irgendwie alles fremd", so Susanne.
Und trotzdem sei sie schnell zurechtgekommen, habe sie sich die vielen Namen schnell eingeprägt. Für viele Münder zu kochen, habe sie ein bisschen aus Windhoek gekannt, da sie und ihr Mann oft Besuch bekämen. Außerdem habe ihr Heikes Mann Wolfgang (51), ein Frührentner, beim Kochen geholfen. Und einen Rodel-Ausflug ins verschneite Oberhof konnte sie sogar trotz des Kinderstresses ein wenig genießen.
"Der eigentliche Grund, warum ich mitgemacht habe, ist, dass ich ein relativ abenteuerlustiger Mensch bin, der gelegentlich die Herausforderung sucht. Daneben spielte aber auch eine Rolle, Publicity für meinen Job und für Namibia zu erzeugen", sagt Susanne, die zudem im Chor gern auftrete und schon vorher Medienerfahrung durch zum Beispiel eine Sendung im deutschen Radio über Mietverträge hatte. Bei Freunden stieß sie mit ihrer Teilnahme jedoch auf wenig Verständnis, vor allem weil die Sendung hauptsächlich untere Klassen anspricht, mit Voyeurismus zu tun hat und eben im Fernsehen tiefe Einblicke in Privates gibt. "Der Tenor bei meinen Freunden war hauptsächlich: Ich würde sowas nie mitmachen, aber ich bewundere deinen Mut." RTLII machte die Teilnahme übrigens schmackhaft, indem der Sender nicht nur alle Kosten übernahm, sondern an Heike und Susanne auch noch je 1 500 Euro Honorar zahlt.
Susannes Kindern Natalie und Chantal hat ihre Übergangsmama Heike jedenfalls "super gefallen", sagen sie, obwohl sie nichts besser als ihre leibliche Mutter gemacht habe. Und ihre Rolle als Fernsehstars haben die beiden Nachwuchs-Balletttänzerinnen genauso genossen, schließlich wollen sie vielleicht einmal Schauspielerinnen werden. Auch Heike Hildebrandt kann nichts Schlechtes über die Jasperts sagen, spricht sogar von einer perfekten Familie: "Die Kinder sind anständig erzogen, was will ich oder man da noch erziehen."
Das hat sie auch während der großen Aussprache an ihrem letzten Tag in Namibia, der gleichzeitig der erste wieder hier für Tauschpartnerin Susanne war, zu dieser auf der Ondekaremba-Lodge gesagt. Und diese damit vollkommen überrascht: "Perfektes gibt es nicht." Dagegen hatte "Susi" für Heike mehr Kritik und Verbesserungsvorschläge im Gepäck. Dass der Fernseher immer an, überall Zigaretten-Qualm und nie Ruhe sei, gehe nicht. "Es muss mehr Nachsicht auf die kleinen Kinder gelegt werden", so das Fazit der Windhoekerin, die letztlich froh ist, wieder zu Hause zu sein, obwohl sie einige der 13 Kinder tief in ihr Herz geschlossen habe und diese auch gern einmal wiedersehen würde. "Zusammenfassend will ich noch sagen, dass mir die Teilnahme am Frauentausch Einblicke in eine Welt vermittelt hat, die ich sonst niemals im Leben hätte bekommen können und ich bin der Meinung, dass eigentlich jeder einmal so etwas mitmachen sollte, weil es total den Horizont erweitert."
Ob und wie Heike die Verbesserungsvorschläge umsetzen kann, ist zurzeit jedoch noch vollkommen offen. Wie die AZ erfuhr, hat sie sich nach ihrer Ankunft in Deutschland von ihrem Mann Wolfgang getrennt. Dem Tausch der Frauen folgte also die Trennung vom Mann - diesmal ganz ohne Kamerabegleitung. Michael Schütze

Kommentar

Allgemeine Zeitung 2025-05-24

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