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Eine Entkolonialisierung der Ökologie

Wissenschaftler vertreten in einem Thesenpapier ein neues Wissenschaftskonzept
Claudia Reiter
Von Katharina Moser, Windhoek

Laut Trisos, Auerbach und Katti beruht der Aufstieg ökologischer Wissenschaft als akademische Disziplin auf dem Kolonialismus und ist ein Ausdruck westlicher, voreingenommener Denkmuster. Ihr liege ein Konzept der wissenschaftlichen Entdeckung zugrunde, das die Welt aus der Perspektive des post-aufklärerischen Europa beschreibt. Die Mehrheit der tätigen Ökologen gehe noch immer davon aus, dass man Organismen und Ökosysteme verstehen kann, indem man sie als unabhängig von der menschlichen Geschichte ungleicher sozialer, wirtschaftlicher und ontologischer Verhältnisse betrachtet. Die Autoren hingegen sind überzeugt, dass im Gegensatz diese Geschichte der Ungleichheit das System Erde prägt. Zwar habe man sich in letzter Zeit vermehrt dem Ansatz zugewandt, die Verbindung der Natur zum Menschen mit zu untersuchen – was andere Kulturen schon seit Jahrhunderten täten.

Trisos, Auerbach und Katti fordern in ihrem Thesenpapier, sich der „Dekolonialität“ zu widmen, d.h. „aktiv die alten Systeme und Gedankenmuster rückgängig zu machen“, im Gegensatz zu „Postkolonialität, welche unsere historische Realität ist und von uns keine Verantwortung für aktuelle, ungerechte Systeme abverlangt“. In ein neues Verständnis der ökologischen Forschung müsse man daher neue Dimensionen wie Ethnizität, Geschlecht, Sexualität, Nationalität, gesellschaftliche und wirtschaftliche Stellung miteinbeziehen.

Fünf Schritte zur Veränderung

Die Wissenschaftler haben fünf Handlungsschritte formuliert, die die Entkolonialisierung der Ökologie ermöglichen sollen:

Zunächst gilt es, „den Verstand zu dekolonisieren“. Die Autoren argumentieren, dass Wissenschaftler, indem sie sich auf ein einziges Wissenssystem beschränken, das Potenzial ihrer Arbeit begrenzen. Trisos und Kollegen geht es dabei zunächst um Sprache: „Sprache prägt, wie wir die Welt verstehen, und das moderne Englisch entwickelte sich im Kontext des Empires.“ Somit sei ökologische Forschung, deren Hauptkommunikationsmittel Englisch ist, voreingenommen gegen Nicht-Muttersprachler, da man komplexe Sachverhalte am besten in der eigenen Sprache wiedergeben könne. „Zum Beispiel ist die Trennung des rationalen Selbst, also der Kultur, von wilder Natur im englischen Sprachkonzept ein Ergebnis der post-aufklärerischen Rationalität als historischem Prozess - und somit kulturell, nicht empirisch.“ Daher fordern die Autoren, dass Ökologen die Sprachen erlernen, in deren Raum sie forschen. Zweitens sei die Veröffentlichung wissenschaftlicher Erkenntnisse zumeist auf das Schriftliche beschränkt. Somit werde ökologisches Wissen, das in Artefakten, mündlichen Traditionen und Fähigkeiten enthalten ist, einfach ausgelassen.

Schritt zwei ist es, „die eigene Geschichte zu kennen“. Die Autoren bemängeln ungenügende Bildung der Wissenschaftler im historischen Bereich. „Es ist essenziell anzuerkennen, dass systemische Ungerechtigkeiten die Forschungsfelder definiert haben, die wir heute kennen.“

Dieses kulturelle Unwissen zeige sich zum Beispiel in der Militarisierung von Anti-Wilderei-Maßnahmen oder in Baumpflanzungskampagnen in Regionen, die eigentlich Grasland sind. Trisos und Kollegen schlagen vor, dass Forscher in ihren Arbeiten aus Respekt vor indigenen Völkern das Land, auf dem sie forschten, anerkennen und als Mitautoren ihrer Arbeit angeben („Land Acknowledgements“). Außerdem sollen sich die Wissenschaftler als Teil der Systeme begreifen, die sie beschreiben, und nicht mehr nur als neutrale Akteure. Die Autoren begründen hier den Begriff der „Fremdheit“, die westliche Wissenschaftler in anderen Teilen der Welt anerkennen und vermitteln sollen.

Als dritter Schritt soll „Zugang dekolonisiert werden“. Die Autoren kritisieren, dass in vielen Teilen der Welt der Zugang zu wissenschaftlicher Literatur sowie zu Daten, akademischen Netzwerken, Internet und finanzieller Unterstützung begrenzt sei. Das schaffe Disparitäten in den Forschungsmöglichkeiten der Ökologen. Das Thesenpapier schlägt ein System des gegenseitigen Austauschs vor: Für jeden westlichen Wissenschaftler, der in ein Land niedrigen oder mittleren Einkommens für Forschungszwecke reist, soll einem Forscher aus dem Land Arbeitsrecherche im Westen ermöglicht werden.

Der vierte Schritt ist, „Expertise zu dekolonisieren“. Bisher sei nicht-westliches Wissen als eingeboren, indigen oder anekdotisch abgewehrt worden, während die Nutzung dieses „Expertenwissens“ in Wirklichkeit den Radius der Wissensbeschaffung erweitere. Man müsse den Wissenschaftlern des globalen Südens eine Stimme geben. Dies soll auch dazu führen, dass die wissenschaftliche Beweisbasis für politische Entscheidungen mehr Legitimität besitzt, wenn die Betroffenen selbst dazu beigetragen haben und die Daten nicht nur aus dem fernen Westen stammen.

Zu guter Letzt soll „ethische Ökologie in inklusiven Teams“ durchgeführt werden. Trisos et al. führen dies auf die Personalfrage zurück: Forschungsteams sollen groß und in den Identitäten divers zusammengesetzt sein.

Ein anderes Wissenschaftsverständnis

Trisos, Auerbach und Katti kommen also zu dem Schluss, dass der Mensch das Ökosystem, in dem er lebt, nur begreifen kann, wenn er die Komplexität menschlicher und historischer Beziehungen ebenfalls begreift. Personelle und kulturelle Inklusivität ist die Bedingung für einen ganzheitlichen Forschungsansatz. Die Autoren nehmen somit den Standpunkt ein, dass das Untersuchungsobjekt ihrer Forschung relativ zum Standpunkt des Untersuchenden ist. Die zu erforschende Welt beinhaltet keine Wahrheit unabhängig vom forschenden Menschen mehr. Dies hat zahlreiche konzeptuelle Implikationen.

Auf der einen Seite wirken die Argumente der Wissenschaftler teils wie ein Bekenntnis zur Identitätspolitik und somit wie eine Vereinnahmung aktueller gesellschaftlicher Strömungen. Die Diversitätsdebatte wird inzwischen in jedem Bereich geführt und verschont auch die Ökologie nicht. Doch die Ansätze der Forschungsarbeit auf Meinungsmache zu beschränken, wird den Begründungsstrukturen der Arbeit nicht gerecht. Interessanterweise stellen die Wissenschaftler den absolutistischen Anspruch (westlicher) Wissenschaft in Frage. Sie erkennen an, dass menschliche Faktoren die Forschung mehr als gedacht beeinflussen und somit selbst in der vermeintlichen Welt der Fakten keine Objektivität möglich sein könnte.

Die Argumentationsthese der Wissenschaftler verläuft dabei zweischneidig: Auf der materiellen Ebene besteht die oft diskutierte Frage der Ressourcen, Finanzen und personellen Besetzung. Dies ist vor allem eine Frage der Geografie und des Personals. Auf der Metaebene der These andererseits geht es um die Philosophie hinter der Wissenschaft, um die Denkmuster und das Selbstverständnis der Wissenschaft als solche. Die Autoren fordern ein Umdenken, was als Wissen legitimiert ist, und halten somit nichts weniger als eine Neudefinition wissenschaftlicher Wahrheit für notwendig.

Es stellt sich die Frage, warum dieses Konzept ausgerechnet in der Ökologie so prävalent ist. Doch diese Disziplin beruht auf einer engen Interaktion zwischen Mensch und Natur und hat somit ein gleichsam biologisches wie soziologisches Programm. Ökologische Forschung ist nicht verständlich ohne Berücksichtigung der interhumanen Beziehungen und ist somit auf gewisse Weise subjektiv. Daraus, so lassen sich die Autoren verstehen, erwächst die Notwendigkeit der gleichberechtigten Teilhabe am ökologischen Wissenschaftskonzept, das sich loslöst vom Siedler-Einheimischer-Gedanken. Außerdem lebt die Ökologie, vielleicht mehr als andere naturwissenschaftliche Disziplinen, vom Rückschluss auf die Tat, da sie als Instrument unter anderem für Klimaschutz dient. Somit besteht eine enge Verbindung zu Klima- und sozialer Gerechtigkeit als politisches Konzept. Anders als oft angewandt, geht es aber nicht nur um zukünftige Generationen oder die eigenen Mitmenschen, sondern um Wiedergutmachung vergangener Ungerechtigkeiten. Es soll also historische Erfahrung in eine nicht-historische Wissenschaft integriert werden.

Der Wert des Fakts in der Ökologie bemisst sich also nicht allein an der wissenschaftlichen Qualität der Forschung und der Methodik, sondern auch in der kulturellen Bewerkstelligung eines historisch-gesellschaftlichen Erbes. Ökologie bewegt sich somit weg von einem (wie die westliche Welt es definiert) rein wissenschaftlichen zu einem intersektionellen Konzept, das den Menschen von der Position des Beobachters und Analysten zu einem Akteur macht. Ein Wissenschaftler muss somit seinen Standpunkt im kulturellen Netzwerk verstehen, um dann in einem zweiten Schritt die Natur zu verstehen. Damit nimmt aber auch der Forscher eine andere Rolle ein: Er erforscht nicht mehr nur die Welt, sondern er erforscht die Welt im Kontext des Beziehungsgeflechts, in das er eingewoben ist.

Bei aller Legitimität dieser Argumente darf die Wissenschaft nur nicht Gefahr laufen, bei der umfassenden Berücksichtigung menschlicher Faktoren und individueller Befindlichkeiten ihr eigentliches Ziel aus den Augen zu verlieren: Die Erforschung des Ökosystems, in dem der Mensch lebt, und das zu einem gewissen Grad eben doch unabhängig ist von historischer menschlicher Selbsterfahrung.

Kommentar

Allgemeine Zeitung 2025-02-09

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