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Ehrlichkeit ist keine Stärke

Bei einem längeren Arbeitsaufenthalt in einem Nachbarland hatte ich ein bezeichnendes Erlebnis. Ein ungelernter älterer Mitarbeiter sparte regelmäßig von seinem Gehalt. Das Geld versteckte er in einer Blechbüchse im Feld. Er verlieh ab und zu etwas an seine Kollegen. Er war des Lesens und Schreibens unkundig, hatte aber ein brillantes Gedächtnis, so dass er sein Geld immer zurückbekam.

Es kam wie es kommen musste: Eines Tages war die Blechbüchse samt Inhalt gestohlen worden. Seine Kollegen ermunterten ihn danach, doch sein Geld bei der Postbank abzuliefern, damit es nicht wieder geklaut würde. Nach langem Zögern willigte er ein, als zwei seiner Kollegen versprachen, ihn zu begleiten. Sie berichteten, dass er seine Scheine auf den Tresen legte und der Kassierer sie entgegennahm, um sie zu den anderen Geldscheinen in der Kasse zu legen. Als der ältere Kollege das sah, sprang er auf den Tresen, um "seine" Geldscheine wiederzubekommen. Es bedurfte erheblicher Überzeugungsarbeit des Bankangestellten und seiner Kollegen, um ihn zu überzeugen, dass das Geld, das in der Kasse verschwunden ist, so gut ist wie alle anderen Scheine in der Kasse ist. Es spiele doch keine Rolle, wenn seine Scheine durch andere ersetzt werden, wenn er sein Geld wiederhaben möchte. Nach einiger Diskussion sah er das ein.

Daran musste ich denken, als ich den Leserbeitrag eines Mitarbeiters des Bundesministeriums für Entwicklung und wirtschaftliche Zusammenarbeit im Magazin "Der Spiegel" und den gleichlautenden Leserbrief des namibischen Botschafters in Berlin in der Allgemeinen Zeitung las. Beide behaupteten, dass der deutsche Steuerzahler u.a. Ausbildungsprogramme,

jedoch keine Landenteignungsmaßnahmen der namibischen Regierung finanziere. Für den deutschen Steuerzahler ist es jedoch unerheblich, für wen oder was die Mittel verwendet werden. Für ihn ist es nur eine Einzahlung seiner Steuergelder in eine ausländische Staatskasse. Ob der namibische Staat seine Teilziele mit diesem oder jenem Geld verwirklicht, ist für ihn unerheblich. Jedem Bankkassierer ist das klar. Geld ist eben Geld. Warum man dem ungefragten "Normalo" unterjubeln will, dass er zwar zahlt bzw. leistet, aber sonst keinen Einfluss auf die Mittelverwendung hat (was stimmt) und deshalb die namibischen Landenteignungen - und somit faktisch einen Beitrag zur weiteren Verelendung der namibischen Landbevölkerung leistet - nicht unterstützt, macht schlicht und einfach keinen Sinn. Hier ist nur der Wunsch der Vater des Gedankens. Der deutsche und der namibische Steuerzahler ist in der Mehrzahl kein Analphabet (siehe oben). Die Regierung der Bundesrepublik Deutschland unterstützt de facto durch die Mittelvergabe an die namibische Regierung, ob sie es zugibt oder nicht, deren Landenteignungsmaßnahmen. Ehrlichkeit ist also nicht die Stärke unserer Diplomaten und Bürokraten.



Karl Kraut

Swakopmund

Kommentar

Allgemeine Zeitung 2025-06-18

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