Die Kokosnüsse von Namibia - Auf der Suche nach einer Identität
Sie ist eine der rund 400 namibischen Kinder und Jugendlichen, die in der DDR aufgewachsen sind. Nun - nach der Unabhängigkeit Namibias und dem Mauerfall - wird sie zurückgeschickt. Eine allgemeine Ungewissheit herrscht zu dem Zeitpunkt in Namibia. Niemand weiß, wie sich das unabhängige Land entwickeln wird. Ein neuer Anfang - Chance und Herausforderung zugleich.
Spielbälle der Politik
"Wir waren Kinder, niemand hat uns nach unserer Meinung gefragt", erinnert sich Nambelela an den Sommer im Jahr 1990. Ihr Urlaub an der Ostsee wurde abgebrochen. Die Nachricht der Rückreise kam überraschend. Sie sollten alle zurück in ein Land, dass sie nicht kannten.
Nambelela ist in einem Flüchtlingslager in Angola aufgewachsen. Im Jahr 1981 kämpft die SWAPO einen blutigen Guerillakrieg gegen die Armee Südafrikas. Am 4. Mai 1978 überfallen südafrikanische Truppen das Lager in Cassinga. Ein trauriger Höhepunkt der Kämpfe. Laut SWAPO-Angaben werden rund 600 Menschen ermordet, darunter viele Frauen und Kinder. SWAPO-Präsident Sam Nujoma bittet daraufhin unter anderem die DDR, Flüchtlingskinder aufzunehmen. Nambelela ist Halbwaise und eines dieser Kinder. Von Luanda geht es für sie nach Berlin.
Eine Jugend in der DDR
"Ich hatte eine unbeschwerte, schöne Kindheit", sagt Nambelela heute. Ihr Blick schweift dabei in die Ferne, als ob sie von einer anderen Welt erzählt. Nach dem Kindergarten auf Schloss Bellin ging sie in Zehna, einem kleinen Dorf bei Güstrow, zur Schule. "Wir waren eine große Familie. Besonders für die Kinder, die wie ich keine Eltern hatten, war das ein großartiges Gefühl", erzählt sie. Der Zusammenhalt innerhalb der Gruppe war groß. Doch genauso groß war auch die Isolation, in der die Kinder aufgewachsen sind. "Kontakt zu unseren weißen Mitschülern hatten wir kaum. Wir haben in unserer eigenen Welt gelebt." Dies war eine Welt, in der die Kinder zur zukünftigen Elite Namibias ausgebildet werden sollten. Unter anderem stand militärisch geprägter Sozialismusunterricht auf dem Stundenplan. Doch Nambelela streunte viel lieber durch die anliegenden Wälder und wollte vom "Elitedenken" nichts wissen. Namibia kannte sie nur als Fleck auf der Landkarte. Bei Folkloretänzen mit Röcken in den Nationalfarben rot, blau und grün wollte sie nicht mitmachen. An den Maisbrei mit Soße konnte sie sich auch nur schwer gewöhnen. Zu fremd war ihr dieses Land.
Namibia als neue Heimat
In dieses fremde Land werden die Kinder Hals über Kopf im deutschen Sommer 1990 zurückgeschickt. Der Abschied von Deutschland sollte für Viele endgültig sein. Sie mussten sich vollkommen neu in Namibia integrieren. "Es war für alle eine unheimliche Belastung", erzählt Nambelela. "Wir haben uns nirgendwo zu Hause und verstanden gefühlt." Sie habe es in der DDR geliebt, im Wald spazieren zu gehen. In Namibia sei sie nur auf Unverständnis gestoßen. Niemand gehe hier ohne Ziel umher. Gehen dient hier immer einem Zweck: Wasser holen, Holz sammeln oder zur Schule gehen.
In der DDR haben die Kinder nicht nur Deutsch, sondern auch freies und kritisches Denken gelernt. Nambelela meint, dass einige weiße Namibier in ihnen deshalb eine "Bedrohung" sahen. In der Schule in Swakopmund hat sie zum ersten Mal mit Rassismus zu kämpfen gehabt. Sie war es nicht gewöhnt, dass Schwarze bei Theaterstücken nur unwichtige Rollen bekamen. In der DDR hat nur Leistung gezählt. Aber auch von der schwarzen Bevölkerung wurden die DDR-Kids nicht angenommen. Als "Kokosnüsse: innen weiß und außen schwarz", so wurden sie verspottet.
Suche nach der Identität
Die Kinder und Jugendlichen wuchsen zwischen zwei Kulturen, zwischen zwei Welten auf. "Einige haben es geschafft, damit umzugehen, andere sind daran zerbrochen", so Patrick Hashingola. Er selbst hat es geschafft, ist erfolgreicher PR-Manager und Vorsitzender des Freundeskreises Ex-DDR-Kinder. Auch er hat eine gespaltene Identität. Dass er sich als Namibier fühle, könne er nicht sagen. Dass er sich als Deutscher fühle aber auch nicht.
Die Identitätsfrage ist auch für Nambelela schwer zu beantworten. In sich hat sie verschiedene Identitäten vereint: "Ich habe ein universelles Bild von mir. Die Frage, ob ich Deutsche oder Namibierin bin, stellt sich nicht für mich. Zu allererst bin ich Afrikanerin, dann Frau, dann Ovambo und schließlich gehöre ich zur Minderheit der schwarzen Bevölkerung, die Deutsch als Muttersprache hat."
Die Brückenbauer
Beide sehen ihre Rolle in der heutigen Gesellschaft in Namibia als einzigartig an. "Ich verstehe mich als Brückenbauer zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen in Namibia", so Hashingola. "Auch 20 Jahre nach der Unabhängigkeit muss weiterhin ein besseres, gegenseitiges Verständnis gefördert werden", betont er. Nambelela blickt zu ihrer siebenjährigen Tochter Shakira. Die beiden unterhalten sich fließend auf Deutsch. Auch Nambelela wünscht sich für ihre Tochter eine Gesellschaft, aus dem ein nebeneinander leben zu einem miteinander leben wird.
Hanna Gieffers
Spielbälle der Politik
"Wir waren Kinder, niemand hat uns nach unserer Meinung gefragt", erinnert sich Nambelela an den Sommer im Jahr 1990. Ihr Urlaub an der Ostsee wurde abgebrochen. Die Nachricht der Rückreise kam überraschend. Sie sollten alle zurück in ein Land, dass sie nicht kannten.
Nambelela ist in einem Flüchtlingslager in Angola aufgewachsen. Im Jahr 1981 kämpft die SWAPO einen blutigen Guerillakrieg gegen die Armee Südafrikas. Am 4. Mai 1978 überfallen südafrikanische Truppen das Lager in Cassinga. Ein trauriger Höhepunkt der Kämpfe. Laut SWAPO-Angaben werden rund 600 Menschen ermordet, darunter viele Frauen und Kinder. SWAPO-Präsident Sam Nujoma bittet daraufhin unter anderem die DDR, Flüchtlingskinder aufzunehmen. Nambelela ist Halbwaise und eines dieser Kinder. Von Luanda geht es für sie nach Berlin.
Eine Jugend in der DDR
"Ich hatte eine unbeschwerte, schöne Kindheit", sagt Nambelela heute. Ihr Blick schweift dabei in die Ferne, als ob sie von einer anderen Welt erzählt. Nach dem Kindergarten auf Schloss Bellin ging sie in Zehna, einem kleinen Dorf bei Güstrow, zur Schule. "Wir waren eine große Familie. Besonders für die Kinder, die wie ich keine Eltern hatten, war das ein großartiges Gefühl", erzählt sie. Der Zusammenhalt innerhalb der Gruppe war groß. Doch genauso groß war auch die Isolation, in der die Kinder aufgewachsen sind. "Kontakt zu unseren weißen Mitschülern hatten wir kaum. Wir haben in unserer eigenen Welt gelebt." Dies war eine Welt, in der die Kinder zur zukünftigen Elite Namibias ausgebildet werden sollten. Unter anderem stand militärisch geprägter Sozialismusunterricht auf dem Stundenplan. Doch Nambelela streunte viel lieber durch die anliegenden Wälder und wollte vom "Elitedenken" nichts wissen. Namibia kannte sie nur als Fleck auf der Landkarte. Bei Folkloretänzen mit Röcken in den Nationalfarben rot, blau und grün wollte sie nicht mitmachen. An den Maisbrei mit Soße konnte sie sich auch nur schwer gewöhnen. Zu fremd war ihr dieses Land.
Namibia als neue Heimat
In dieses fremde Land werden die Kinder Hals über Kopf im deutschen Sommer 1990 zurückgeschickt. Der Abschied von Deutschland sollte für Viele endgültig sein. Sie mussten sich vollkommen neu in Namibia integrieren. "Es war für alle eine unheimliche Belastung", erzählt Nambelela. "Wir haben uns nirgendwo zu Hause und verstanden gefühlt." Sie habe es in der DDR geliebt, im Wald spazieren zu gehen. In Namibia sei sie nur auf Unverständnis gestoßen. Niemand gehe hier ohne Ziel umher. Gehen dient hier immer einem Zweck: Wasser holen, Holz sammeln oder zur Schule gehen.
In der DDR haben die Kinder nicht nur Deutsch, sondern auch freies und kritisches Denken gelernt. Nambelela meint, dass einige weiße Namibier in ihnen deshalb eine "Bedrohung" sahen. In der Schule in Swakopmund hat sie zum ersten Mal mit Rassismus zu kämpfen gehabt. Sie war es nicht gewöhnt, dass Schwarze bei Theaterstücken nur unwichtige Rollen bekamen. In der DDR hat nur Leistung gezählt. Aber auch von der schwarzen Bevölkerung wurden die DDR-Kids nicht angenommen. Als "Kokosnüsse: innen weiß und außen schwarz", so wurden sie verspottet.
Suche nach der Identität
Die Kinder und Jugendlichen wuchsen zwischen zwei Kulturen, zwischen zwei Welten auf. "Einige haben es geschafft, damit umzugehen, andere sind daran zerbrochen", so Patrick Hashingola. Er selbst hat es geschafft, ist erfolgreicher PR-Manager und Vorsitzender des Freundeskreises Ex-DDR-Kinder. Auch er hat eine gespaltene Identität. Dass er sich als Namibier fühle, könne er nicht sagen. Dass er sich als Deutscher fühle aber auch nicht.
Die Identitätsfrage ist auch für Nambelela schwer zu beantworten. In sich hat sie verschiedene Identitäten vereint: "Ich habe ein universelles Bild von mir. Die Frage, ob ich Deutsche oder Namibierin bin, stellt sich nicht für mich. Zu allererst bin ich Afrikanerin, dann Frau, dann Ovambo und schließlich gehöre ich zur Minderheit der schwarzen Bevölkerung, die Deutsch als Muttersprache hat."
Die Brückenbauer
Beide sehen ihre Rolle in der heutigen Gesellschaft in Namibia als einzigartig an. "Ich verstehe mich als Brückenbauer zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen in Namibia", so Hashingola. "Auch 20 Jahre nach der Unabhängigkeit muss weiterhin ein besseres, gegenseitiges Verständnis gefördert werden", betont er. Nambelela blickt zu ihrer siebenjährigen Tochter Shakira. Die beiden unterhalten sich fließend auf Deutsch. Auch Nambelela wünscht sich für ihre Tochter eine Gesellschaft, aus dem ein nebeneinander leben zu einem miteinander leben wird.
Hanna Gieffers
Kommentar
Allgemeine Zeitung
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