Der weiße Buschmann

16. FolgeMein erster LöweDie ersten Tage auf Onguma war ich mit Routinearbeiten beschäftigt. Abends ging ich mit einem Buschmann, Willie, und ein paar Hunden auf Perlhuhnjagd. Die Hunde jagten die Perlhühner auf die Bäume, wo ich sie mit dem Tesching einzeln herunterholte. Hatten wir genug, ging es zurück nach Hause. Willie muss damals ungefähr 55 Jahre alt gewesen sein, mir fiel als erstes sein charaktervolles Gesicht auf. Er konnte recht gut Deutsch sprechen, wie fast alle Arbeiter auf Onguma. Er ging im Busch voran, ich immer hinter ihm her. Onguma ist flach wie eine Tischplatte und sehr dicht bewachsen. Anfangs hatte ich Schwierigkeiten, mich zu orientieren. Wie machte Willie das bloß? Ich war gewohnt, mich auf die Bergformen zu konzentrieren und war am Anfang auf Onguma jedes Mal ohne genaue Orientierung. So war ich eines Abends wieder mit Willie auf Perlhuhnjagd. Ich hatte genügend geschossen und wir waren auf dem Heimweg. Plötzlich hörten wir hinter uns die Hufe von wild daherstürmenden Tieren. Eine ganze Herde Rinder hetzte an uns vorbei in Richtung Farmhaus. Das letzte Rind bewegte sich nur mühsam vorwärts und hatte an Nacken und Rücken große, offene Wunden, die stark bluteten. Auf meine Frage, was denn los sei, antwortete Willie kurz: „Löwen!“ Dann erklärte er: „Wahrscheinlich jüngere Löwen. Das Rind hat sich losgerissen und konnte entkommen.” Ich war sofort hellwach und fragte: „Wenn wir die Rinderspuren rückwärts auf-nehmen, können wir die Fangstelle finden, von dort den Löwenfährten folgen bis wir die Löwen treffen und versuchen, einen oder mehrere zu schießen“. Willie bejahte die Fragen und sagte nur: „Wir müssen aber ganz leise sein“.Am Abend erzählte ich Herrn Böhme von meinem Vorhaben. Er war sehr skeptisch, gab mir aber die Erlaubnis am nächsten Morgen mit Willie Nachsuche zu halten. Wir gingen früh los und nahmen die Hunde mit. Zuerst nahmen wir die Rinderspuren auf und folgten ihnen. Nach ungefähr einer Stunde fand Willie die Stelle, wo die Löwen versucht hatten, das Rind zu schlagen. Vor mir sah ich meine ersten Löwenfährten. Dann nahm Willie die Spur auf. Er folgte den Löwenfährten hocherhobenen Hauptes, so als ob er nur daherliefe. Der Boden war ziemlich hart und die Fährten kaum sichtbar, aber Willie folgte ihnen ohne zu zögern. Dabei vermied er jeden Ast und glitt wie eine Schlange zwischen den dichten Dornbüschen durch. Es war nicht leicht, bei all den Vorsichtsmaßnahmen Geräusche zu vermeiden. Als ich die Fährte nicht mehr erkennen konnte, fragte ich Willie im Flüsterton, ob er noch auf der Spur sei. Er wandte sich um, ein strafender Blick traf mich und er legte nur einen Finger auf die Lippen. Er gebot mir ohne ein Wort, still zu bleiben. Ich folgte ihm mit meiner geladenen .303 auf kurzem Abstand. Ich merkte, dass er sich jetzt noch vorsichtiger vorwärts bewegte und gespannt die Dornbäume vor uns musterte. Und dann plötzlich Pandämonium. Ich hörte das erste wütende Aufbrüllen eines Löwen vor mir; eine Dornbuschkrone bewegte sich und über der Dornbuschkrone wurde für einen Augenblick die Quaste einer Löwenrute sichtbar. Alle Hunde machten kehrt, mit ängstlichen Lauten schossen sie in entgegengesetzter Richtung an uns vorbei. Zwischen mir und dem Löwen waren Dornbüsche im Wege. Um freies Schussfeld zu bekommen, musste ich nach vorne, seitwärts an Willie vorbei. Er war ruhig stehen geblieben. Als ich um unseren Dornbusch herum kam, sah ich auch den Löwen, in großen Sätzen, brüllend auf uns zukommen. In Wirklichkeit aber verfolgte er die Hunde und wollte ihnen mit seinem Brüllen noch mehr Angst einjagen. Auf ungefähr fünfzehn Meter gewahrte der Löwe mich, wie ich um den Busch herum auf ihn zukam und er stockte. Schweifschlagend blieb er vor mir stehen. Ich hob meine .303, zielte schnell aber sorgfältig und schoss den Löwen hoch am Halsansatz direkt auf den Stich. Er sackte im Feuer in sich zusammen. Willie, der direkt hinter mir stand, klopfte mir auf die rechte Schulter und sagte ganz ruhig: „Du wirst noch viele Löwen in deinem Leben schießen!” Diese Ruhe und diese Worte wurden für mich ausschlaggebend für all die folgenden Löwenjagden. Als ich mich dem Löwen nähern wollte, sagte Willie nur: „Warte, der Löwe muss erst sterben, dann können wir auf ihn zugehen.“ Wir standen eine Weile und betrachteten den Löwen. Nach kurzer Zeit sträubten sich seine Rückenhaare und er gab eigenartige, klagende Laute von sich; Geräusche, die für mich sehr ergreifend waren. Dann war der Löwe verendet. „So, jetzt können wir gehen!” sagte Willie und setzte sich in Bewegung. „Du musst immer warten bis der Löwe dir sagt, dass er tot ist“ kamen Willies weise Worte. Wie oft sollte ich diese ergreifenden, klagenden Laute noch hören! Vor uns lag ein fast ausgewachsener männlicher Löwe, der gerade eine Halskrause ansetzte. Alles war so unglaublich schnell gegangen. Irgendwie kam ein sicheres Gefühl in mir auf und ich sagte mir: „So muss es sein! Weglaufen hat gar keinen Zweck. Bleib ruhig und schieß, ruhig und sicher, solange du schießen kannst.“ Wir zogen den Löwen auf die Schattenseite unter einen Dornbaum und schlugen ihn mit Dornenzweigen gegen Aasgeier zu. Dann gingen wir schleunigst nach Hause, um mit der Maultierkarre den Löwen abzuholen. Beim Haus angekommen, ging ich sofort zu Herrn Böhme und stolz sagte ich ihm: „So, Herr Böhme, ich hab meinen ersten Löwen geschossen!“ Er schaute mich an als ob er nicht recht gehört hätte und fragte: „Sie haben einen?“ „Ja, Herr Böhme,“ war meine Antwort. „Na, Donnerwetter, das ist ja fabelhaft!“ polterte er los, „gratuliere“. Dann ergriff er meine Hand mit seiner Pranke und schüttelte meine Rechte, dass es sich anfühlte, als wolle er meinen Arm aus dem Schultergelenk reißen. Herr Böhme hatte einen außergewöhnlich starken Arm und eine breite Hand. Für die kommenden Löwenjagden waren es Willies unerschütterliche Ruhe und seine weisen Worte, die mir Vertrauen gaben.

Der weiße Buschmann

Kommentar

Allgemeine Zeitung 2025-06-04

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