Buschleute auf Safari

"!Unta, Ghau, !Ao, N!aici, Go, Nxou, Xhooxham, !Ghunta, ...," die Namensliste der Touristen stellte höchste Ansprüche an unsere Konzentration und Zungenfertigkeit. Man hatte sie auf einer langen Sitzung unter dem großen Versammlungsbaum in Namibias Grashoek zurechtgeschnitzt. 25 Buschmanndarsteller des Lebenden Museums der Ju/Hoansi sollten mit Bwana Tucke-Tucke auf Safari gehen, weil sie die Einnahmen seit Eröffnung vor eineinhalb Jahren nicht zum Kauf von Alkohol missbrauchen, sondern Anteile aufs Sparbuch für schlechte Zeiten legen.

Buschleute gehen mit Reiseleitern auf Safari - klingt wie ein Satz mit sieben Fehlern, aber dennoch: die Türen des zum Reisebus umgebauten kalaharisandfarbenen Lkws von Eagles Rock Tours & Safaris öffneten sich zischend. Zuerst schüchtern und dann laut schnatternd bestiegen 25 Buschleute das Fahrzeug und dann noch welche und noch welche, bis insgesamt 35 Safariwillige, darunter zehn Säuglinge mit ihren Müttern, Jäger, und zwei ca. 75 jährige Senioren einen Platz gefunden haben. Die Fahrer und Moderatoren Werner Pfeifer und Peter Hain - Kazapua von Bush Culture Experience verstauen zusammen mit Kathrin und Sebastian das spärliche Gepäck der Reisenden in Hobo, dem VW Bus mit der Hohen Bodenfreiheit. Sie alle haben die schier grenzenlose kindliche Neugier in ihrem Reisegepäck, wollen das Gefühl der Freiheit, des Genusses, der erhöhten Lebensintensität auskosten. "Urlauben" wäre dafür ein sehr deutsches Tätigkeitswort. Deutsche mühen sich um Horizonterweiterung, haken Reiseziele ab, leben Vollkasko in der Gegenwart der Reisegepäckversicherung, ziehen wegen Kakerlaken vor Gericht und glauben: Touristen, das sind immer die anderen.

Dass Reisen den Menschen mit dem Versprechen verkauft werden, sie würden in den "schönsten Wochen des Jahres" paradiesische Lebensbedingungen vorfinden, ist nicht gerade eine neue Erkenntnis. Aber Buschmannparadiesdarstellern, die höchstens mal Verwandte besuchen, eine 80 Tage Fußreise um ihre kleine Welt in zehn Fahrtagen zuzumuten, ködert man mit den sehnsüchtigen Verlockungen der Fremde und der Möglichkeit, ihre Kultur und ihr Projekt Lebendes Museum in anderen Teilen Namibias vorzustellen und ihre selbst hergestellten Jagdwaffen und Schmuckstücke auf fremden Märkten verkaufen zu können.
Tagesziel ist - wie für so viele Touristen - der Etoscha-Nationalpark. Alle halbe Stunde Pinkelpause am Straßenrand. Man ist halt nicht gewohnt, an sich zu halten, wenn einem der Ruf der Natur auf einer Wanderung im Busch ereilt. Nach 3minütiger "Stadtrundfahrt" durch Tsintsabis, dem Traumtanzplatz der Hei//om "Baumschläfer" Buschleute, bezieht man ein kostenloses Camp auf der Onguma Gästefarm. Mit an den Scheiben plattgedrückten Nasen wird der Tierreichtum besonders der essbaren Tiere wie Gnu, Zebra und Springbock bestaunt. "Das Leder gebe auch hervorragende Sandalen", versichert uns !Unta, dessen Schnalzlaute sich zunehmend in Schmatzlaute verwandelten.

Der Jubel beim ersten auftauchen von Giraffen, den Regenbringern in der Buschmannmythologie, wich das Entsetzen, als Werner zehn Meter neben einer Löwin anhielt. Mit ihren stechenden Augen, die noch nie einen Buschmann sahen, drang sie tief in die Herzen der kleinen Jäger. Der 75jährige ließ das Fernglas erschreckt fallen, was wird er seinen Enkeln über diese zum Greifen nahe Löwin alles am Lagerfeuer erzählen? Schützt ein dünnes Fahrzeugblech und das Scheibchen wirklich gegen die mächtigen Fänge. Erst als die Löwin ihrem Mähnenmännchen nachtrottete, öffneten sich die Fenster, tapfere braune Ärmchen kamen heraus und man versuchte mit allerlei Unfug, die Löwen zurückzulocken.

Safaris machen hungrig. Auf der Mokuti Lodge stand ein großes Buffet bereit, die Buschies sahen Dinge, die sie noch nie gesehen haben: Messer, Gabel, Käsehobel und Servietten, die befrackten Kellner und die Herren mit den Kochmützen staunten hingegen über die Spachtelkünste der Grashoeker. Abends dann Tanzvorführungen und nahezu Ausverkauf der Schmuckartikel. Die Reisekasse war gefüllt, der Magen auch. Ein perfekter Tag.

Den nächsten Motivationsschub für die Reisekasse gab es in Okaukuejo. Kaufrausch artige Gäste und die Parkverwaltung erließ die Eintrittsgebühren. Abkühlung in einem Wasserloch, welches Touristen Pool nennen. Feststellung: Buschleute sind nicht wirklich begnadete Schwimmer. Die Nashörner, Elefanten und Löwen am nachts beleuchteten Wasserloch taten ein übriges, um die Lagerfeuergeschichten der neuen Eindrücke nicht ausgehen zu lassen.

Ausklang des Safarierlebnisses im Etosha Safari Camp mit Essen und Cola. Von jetzt an waren die Buschleute in für sie völlig fremdartigen Gegenden. Die ersten Steine tauchten auf und wurden als Souvenir gesammelt. In der Kalahari gibt es keine Steine und wir mussten die Souvenirmenge auf drei Steine pro Erwachsenen - ausreichend als Kochherd - begrenzen, um nicht alle Buschleute steinreich werden zu lassen.

Offene Münder: Aus Steinen wurden Berge. Die Bezeichnung "Ayers Rock Namibias" für den Brandberg ist zwar übertrieben, dennoch überragt das gewaltige Massiv die umgebende Ebene mit 2000 m. Unglaublich, aber keine der Buschleute hatte bisher einen Berg gesehen. Felskunst gibt es daher nicht in der Kalahari. Lebhaft wurden die 1500 bis 2000 Jahre alte Felszeichnung "Weiße Dame vom Brandberg" und die Felsgravuren bei Twyfelfontein diskutiert. Nach kurzer Beratung teilte man uns mit, worin in 48 Forscherbüchern spekuliert wurde: Es handelt sich bei der "Weißen Dame" um eine männliche Schamanendarstellung, da Frauen in ihrer Kultur niemals die männliche Jagdausrüstung anfassen durften, denn das bedeute Unglück auf der Jagd. Man hätte halt nur mal einen Buschmann fragen sollen.

In einer der prähistorischen Wohnhöhlen fingen die Buschleute plötzlich an zu singen und tanzen. Welch eine Akustik in dem Raum! Auch unser Damara-Bergführer mit dem älteren Schnalzlaut in der Sprache, war hin und her gerissen. Und am Abend fand ein interkultureller Sängerwettstreit statt. Interessant war zu beobachten, dass die Damara kein einziges alt- traditionelles Lied mehr kannten. Ihre Lieder handelten von Amarula Likör oder dem heiß geliebten Toyota Cressida und ähnlichem. Die Vorstellung überzeugte, und das Brandberg Restcamp lud zum gemeinsamen Frühstück ein.
Die Buschleute sahen das Meer zum ersten Mal im Leben als wir am Kreuzkap an den Strand fuhren. Zuerst waren sie sehr vorsichtig, ja sogar ängstlich, da sie meinten das Meer sei böse auf sie, da es so grollte und große Wellen auf sie zu schickte. Wir konnten sie aber davon überzeugen, dass das nichts mit ihnen zu tun hat und dass es immer so ist, mit dem Meer. Danach trauten sich einige an den Strand, kosteten das salzige Wasser, rieben sich das Gesicht damit und !Gamasche nahm sich zwei Flaschen Meerwasser für seine Kinder nach Grashoek mit.

Die Robben fanden sie besonders spannend, wie überhaupt alle Tiere mit Haaren. An der Robbenkolonie - ein Geräusch und Dufterlebnis der besonderen Art - saßen sie eine halbe Stunde lang in den Anblick der laut blökenden Robben vertieft. Vögel wie Pelikane, Flamingos und Möwen ließen sie völlig unbeeindruckt.
In Deutschlands südlichstem Ostseebadeort Swakopmund dann der Kulturschock. Mehr als 150 Menschen auf einem Fleck und weit über 20 Autos. Nichts wie weg in die ruhige Lagune in Walvis Bay mit den Robbenflüsterern von Mola Mola Marine Adventures. Nur zwei der Frauen und alle Männer trauten sich auf die wackeligen Boote. Wir hatten schon befürchtet, dass die Robben einen der grazilen Buschmanndamen als Hering missverstehen. Der Schreck war auf beiden Seiten groß, als eine Robbe unverhofft ins Boot sprang. Erst als man den nassen Hund anfassen und mit einem Fischlein füttern durfte, beruhigten sich die Gemüter. Mit einem lauten "Platsch" sprang er zurück ins Meer.
Dann schlug die große Stunde von Kapitän !Gunta. Er durfte dass Steuer übernehmen, bekam seine Kapitänsmütze auf und steuerte das Motorboot elegant an Sandbänken vorbei. Stolz berichtete er über Funk von seinen Erlebnisse. Wohl das erste Mal, das die Buschmannsprache über den Küstenfunkäther geschickt wurde.

"Hallo Bwana Tucke-Tucke!" "Weißt Du, wie man das schreibt?" "Ja." "Gut, wir dulden nämlich keine falschen Zwischenrufe." Ich drehte mich um, und Charlie Huber von Charlies Meat Market stand mit 25 kg Bratwurst vor uns. Der Grillabend im Oanib Camp der Topnaar -Hottentotten ist gerettet. Rudolf Dauseb möchte im Kuiseb bei Rooibank auch ein Lebendes Topnaar Museum eröffnen und stellt den ganzen Abend Fragen an die Übersetzer. Wie bewerkstelligt man den Übergang in das 20. Jahrhundert. Wohin geht die Reise für die Naturvölker?

Zwar gibt es immer gute Gründe, sich nicht auf den Weg zu machen. Vor allem die Gefahren und Anstrengungen des Unterwegsseins haben die Menschen immer wieder vom Aufbruch abgeschreckt. Dennoch zieht sich das Reisemotiv machtvoll durch die Vorstellungen aller Zeiten und Völker, von den schamanischen Riten vieler Stammesgesellschaften über das Gilgamesch-Epos und die Odyssee bis zu den Phantasie-Wanderungen unserer romantischen Dichter.

Noch einmal geht es für einen langen Fahrtag für unsere Freunde in die enge Röhre. Fröhlich wurde zur Musik von Elvis Presley und Johnny Cash im Bus getanzt.
Sommerzeit.Reisezeit.Urlaubsglück.