Briefe 1893 - 1904 (XIV Brief Teil 1 /3)

Windhoek, den 17. Januar 1895
Lieber Willi!
Endlich komme ich auch dazu, dir einmal zu schreiben. Ich hatte immer reichlich mit den Briefen nach Hause zu tun bisher und freute mich, wenn sie beendet waren. Doch jetzt bin ich ein bißchen zur Ruhe gekommen und da soll auch mein erstes sein, an dich zu schreiben. Ja, jetzt bin ich schon über ein Jahr hier im Lande und habe mich ein bißchen eingelebt. Obwohl du meine Haupterlebnisse wohl von meinen Eltern und aus der Zeitung vernommen hast, so will ich doch noch etwas erzählen, was dich doch gewiß noch interessieren wird.


Also unsere Seefahrt war ziemlich gut und wir hatten keinen eigentlichen Sturm, sondern nur hohen Seegang. Ich bekam die Seekrankheit nur am ersten Tag ein wenig, legte mich ruhig in die Koje und am Abend stand ich auf und befand mich sehr gut und anderen Tag war ich immer an Deck, trotz hohen Wellenganges. Ich lag mit etwa 12 a¬deren Leuten unten im Zwischendeck, wo es ganz scheußlich ist, überhaupt kein Licht, schlechte Luft, das Essen einfach greulich, wie versalzenes Pökelfleisch, stinkende Stockfische, halbrohes Ochsenfleisch, 3-4 Kartoffeln pro Mann, manchmal salziges, gar nicht zu genießendes Gemüse. Abends und morgens nur Kaffee und ein kleines Weißbrötchen pro Tag, was noch das einzig Gute war, die Butter war wie Wasser so dünn, schrecklich salzig und von ranzigem Geschmack. Wir landeten nur in Cap-Palmas, Monrovia und Las-Palmas, wo wir wenigstens Eier von den zu Kahn ans Schiff kommenden Eingeborenen erhandeln konnten. Meine Mitpassagiere waren:
1. Kajüte : Major Leutwein, Doktor Sanders und ein gewisser Hegewald
2. Kajüte: ein gewisser Vogts (Voigts) und ein Gärtner, der nach Loando (Luanda) wollte
3. Zwischendeck: eine Familie Schurz aus Bamberg, der Alte und seine Frau (beide in den 50ger Jahren), 2 erwachsene Töchter, 3 kleine Knaben, 1 erwachsener Sohn und seine junge Frau. Dann ein gewisser Mauer mit Frau aus der Mark [Mark Brandenburg?] und ein kleines Mädchen, (etwa 26-28 Jahre beide alt), Landwirt von Heuf (von Hagen?), der Vermögen und Wagen und viele Sachen mit hatte. Schurzens dagegen waren unbemittelt und hatten nur einen kleinen Ackerwagen mit. Dann hatte Mauer einen Schmied mit Namen Prengel. Dann fuhr noch der Bursche des Majors im Zwischendeck.

Ende Dezember bekamen wir endlich das neue Land in Sicht, unsere neue Heimat, aber welch ein Anblick, nur Sand, nur wo der Swakop ins Meer tritt, da waren die Ufer mit Gebüsch bewachsen und das Meereswasser schnitt eine ziemliche Strecke in das Bett des Flusses ein, der selber nur zur Regenzeit bei starkem Regen fließt. Links von dem Swakop-Ausfluß auf einigen höheren Sandhügeln waren die Gebäude der Schutztruppe erbaut, wo die Flagge des deutschen Reiches wehte und weiterhin einige Schuppen von der Handelsfirma „Mertens & Sichel” (die Gebäude alle aus von Deutschland oder Kap geholten Bretter- und Balkenwerk erbaut). Das war alles. Am Silvesterabend landeten wir im Schiffsboot, von Crew-Negern (die von Monrovia mitgenommen werden) durch die tosende Brandung gefahren, die gerade ziemlich stark war. Es ist grausig schön, wenn das Boot bald hoch auf dem Gipfel einer Woge steht und dann wieder fast senkrecht hinabschießt in den strudelnden und schäumenden Abgrund. Endlich ist man durch und knirschend läuft der Kiel auf dem Sand auf, aber alles ist pudelnaß. Jetzt standen wir an Land, ordentlich ungewohnt nach 4 wöchentlicher Seefahrt. Auch unsere Sachen wurden ausgeladen und wir machten uns zwischen den Kisten ein notdürftiges Unterkommen für die Nacht. Anderen Tag schlugen wir ein besseres Lager für uns auf, ich hatte mich entschlossen, mit Schurzens mitzumachen oder Mauer. Aber die Ochsen (die von der Gesellschaft bestellt sein sollten) kamen nicht, auch keine Bedeckungsmannschaft, die eigentlich kommen sollte, da der Weg unsicher, in dem vor einigen Monaten eine Menge Wagen von Hendrik Witbooi überfallen und verbrannt waren.
8 Tage lagen wir da. Ein Engländer mit einem Wagen kam, der Fracht für Mertens & Sichel holte und mit dem Hegewald mitfuhr (der auch einen Wagen hatte). Der Engländer verlangte 100 Mark bis Otjimbingue. Endlich gingen Mauer, der junge Schurz und ich zu Fuß los, von einem Herero geführt, der aber auch kein Wort holländisch konnte und auch sonst außergewöhnlich dumm war. Am ersten Tag gingen wir bis Kanakondis im Flußbett, es war schauderhaft heiß und der Sand sehr tief. In Kanakondis war ein Haus der Truppe, wo ein Unteroffizier und 3 Mann lagen, die uns Brot und Kaffee auftrugen.


Wir selber hatten jeder ein Gewehr, eine Decke und Tasche mit. Der Führer trug außerdem einen Kessel, ein Säckchen mit Reis, Kaffee und Salz. Von Kanakondis gingen wir am anderen Morgen bis Usap, wo wir abends waren. Usap ist nur der Name einer Haltestelle, wo die Wagen sich kreuzen und wo Wasser ist. Dort lagen wir die Nacht. Andern Morgen gingen wir links vom Flußbett ab auf die Fläche hinauf, marschierten den ganzen Tag und kamen an kein Wasser. Gegen Abend um ½ 6 blieben meine beiden Gefährten vor Durst und Mattigkeit liegen, ich mit dem Führer eilte weiter und endlich, als schon die Sonne unter war, da endlich, wo ich fast schon verzweifelte, da trafen wir endlich aufs Wasser, auf eine Felsenquelle (Mutterfontein genannt). Die Wonne, das kühle Wasser schlürfen zu dürfen, kann ich gar nicht beschreiben. Ich schickte den 2 anderen Wasser entgegen und endlich in der Nacht kamen sie auch an. Anderen Tag ruhten wir und schossen kleine Perlhühner. Gegen Nachmittag gingen wir bis Salem, was nicht weit war. Salem, am Swakop, war früher eine größere Niederlassung, zeigt noch Spuren einstmaliger Blüte. Viele zerfallende Rinderhütten der Eingeborenen, eine alte, noch ziemlich erhaltene aus Lehmsteinen erbaute Kirche, wo der Missionar früher gewohnt hatte, dazu die Spuren schöner Gärten, Palmen und Feigen. Am Flußbett selbst ist ein großes Gehölz aus riesigen alten Anabäumen, Dornakazien und Kamelbäumen. Wir kochten dort nur Reis und Kaffee, dann, als die Sonne schon unter war, gingen wir wieder los, Zaobis zu, wie unser Führer sagte. Wir gingen etwa 4 Stunden, dann sagte unser Herero, daß hier „omewa” (Wasser) sei und deutete an, daß er es erst morgen früh bei Tageslicht finden könne. Also schliefen wir dort, tranken fast alles bei uns getragenes Wasser aus, aber anderen Morgen: „Omewa kak” (Wasser nichts). Es half uns nichts, gegen Morgen mußten wir ohne Wasser weiterziehen. Wir marschierten von früh um 5 Uhr bis mittags, dann lagerten wir unter einem Baum, der einigen Schatten gewährte, unser Durst wurde immer döller. Gegen 3 Uhr nachmittags erhoben wir uns wieder und zogen langsam weiter, aber Zaobis kam und kam nicht. Gegen Abend sahen wir endlich ein Licht und wurden dadurch ermutigt, unsere letzten Kräfte anzustrengen.