Bremer Stadtmusikanten auf Zeit

"Es klappt!", sagt Wolfgang Leyerer. "Hoffentlich", seufzt seine Frau Wendula Dahle. "Gestern noch war ich überzeugt: Es klappt nicht." Die Anspannung steht der emeritierten Germanistik-Professorin ins Gesicht geschrieben: Am Montag soll der UNAM-Chor mit 42 Sängern, Chorleiter Bonnie Pereko, Geschäftsführerin Ndeshi Nnupala und Komponist Marcelino Swartbooi nach Deutschland fliegen - und eine knappe Woche vorher, am Dienstag, liegen weder die Visa noch die Flugtickets bereit. Wendula Dahle koordiniert den Austausch zwischen der UNAM und der Universität Bremen. Gerade kommt sie von der deutschen Botschaft, hat über die Visumsanträge der Chorsänger verhandelt, nun ist sie vorsichtig optimistisch. "Es klappt", sagt ihr Mann nochmals mit Nachdruck. Es muss klappen, zu viele Monate Vorbereitung wurden bereits in den deutsch-namibischen Choraustausch investiert. Die Programme in Deutschland sind längst gedruckt, es wäre eine Katastrophe, wenn nun alles an der Bürokratie scheitern würde.

Aber es klappt: Einen Tag später sitzt UNAM-Chorleiter Bonnie Pereko nach seinem Auftritt im Warehouse erschöpft im Backstage-Bereich. "Wir fliegen", lacht er glücklich. "Die Visa sind da!" Seine Nervosität mindert das indes nur minimal. "Ich freue mich", versichert er schnell. "Aber ich bin auch aufgeregt." Vor ihm und seinem Chor liegt ein straff durchorganisiertes Programm, das die Gastgeber bis hin zum täglichen Abendessen ("Spaghetti Bolognese" /"Pizza vom Blech") minutiös geplant und im Ablaufplan eingetragen haben. Deutsche Gründlichkeit eben - man versteht, dass Bonnie Pereko nervös ist.

In den frühen Morgenstunden werden die Namibier am Dienstag in Frankfurt landen, mit dem Zug weiter nach Bremen fahren und kaum in der Hansestadt angekommen eine Stadtführung mitmachen. Noch am selben Abend soll dann die erste gemeinsame Probe mit dem Bremer Chor stattfinden. Professorin Dahle ist skeptisch, ob das alles so reibungslos klappen wird. "Die können doch nicht nach der langen Anreise abends noch singen", moniert sie. Und überhaupt sei sie gespannt, wie die Zusammenarbeit der beiden Chöre funktionieren werde. Neben den "Negro-Spirituals" aus Michael Tippetts Oratorium "A Child of our Time" werden europäische und afrikanische Volkslieder auf dem Programm stehen - die Leitung übernehmen abwechselnd Bonnie Pereko und die Bremer Musikdirektorin Susanne Gläß, eine gemeinsame Probe hat es bis dato nicht gegeben. "Susanne Gläß ist so eine typische Norddeutsche", schmunzelt Dahle. "Groß, kühl, korrekt und sehr diszipliniert. Bei ihr muss alles seine Ordnung haben." Mit ihrem vor fünf Jahren gegründeten Chor führte sie bereits große Werke von Carl Orffs "Carmina Burana" bis zum "Deutschen Requiem" von Brahms auf. In Namibia ist sie noch nie gewesen.

Bonnie Pereko hüpft beim Auftritt im Warehouse derweil barfuß über die Bühne, auf dem locker geknöpften Hemd zeichnen sich Schweißflecken ab, seine Dreadlocks fliegen. Gefühlvoll und inbrünstig intonieren seine Sänger die berühmten Spirituals von "Deep River" bis "Go Down Moses", klatschen, stampfen, tanzen und unterfüttern ihre Darbietung immer wieder mit schauspielerischen Elementen. Viele Gesangseinlagen wirken improvisiert, aber Rhythmus und Melodie sitzen.

"Unsere Kulturen und Arbeitsweisen sind sehr... sehr unterschiedlich", formuliert Chorleiter Pereko es nach dem Konzert vorsichtig. Dieser Meinung ist auch Wendula Dahle: "Bonnie muss seinen Sängern jede Chorstimme einzeln vorsingen, die meisten können ja gar keine Noten lesen." Er und Susanne Gläß werden sich in Bremen zusammensetzen und die namibischen Kompositionen in Noten übertragen, mit Improvisationen wäre der Bremer Chor genauso überfordert wie die UNAM-Studenten mit einem Notenblatt.

Dennoch haben die beiden Chöre große Pläne: Gemeinsam wollen sie am Wettbewerb des Bremer Chorfestes in der Kategorie "Folklore/World Music" teilnehmen. Die Konkurrenz ist groß: 300 bis 400 Chöre mit rund 15.000 Sängern werden erwartet, der UNAM-Chor ist der einzige Vertreter aus Afrika. Nur wenige Tage werden sie zum gemeinsamen Proben haben und erst diese Woche hat Bonnie Pereko seinen Sängern die europäischen Wettbewerbslieder beigebracht. "Das ist ganz schön schwierig, mit den fremden Sprachen", stöhnt er. Fühlt er sich gut vorbereitet? Er lacht, sucht nach Worten, sagt schließlich: "Nun ja, ich würde sagen, wir sind zu 70 Prozent vorbereitet." Der Bremer Chor hat den Vorteil, in der Vergangenheit schon einmal namibische Lieder gesungen zu haben - damals übte der Chor die Klicklaute der Damara-Nama-Lieder mithilfe eines Videos ein.

Wenn alles gut über die Bühne gegangen ist, werden die Chöre zumindest für den zweiten Teil des musikalischen Austauschs gut aufeinander eingespielt sein. Im September kommen die Bremer Sänger mit Susanne Gläß zum Gegenbesuch nach Namibia, werden im Warehouse, der St.Marienkathedrale, sowie in Swakopmund und auf dem Oshakati-Campus singen. Die Tickets sind jetzt schon gebucht. Deutsche Gründlichkeit eben.


Konzert-Termine in Deutschland:

Do, 15. Mai - 20 Uhr, Pumpwerk Wilhelmshaven: Solo-Konzert des UNAM-Chores
Mo, 19. Mai - 20 Uhr, Gutsscheune Stuhr (bei Bremen): Gemeinsames Konzert
Di, 20. Mai - 20 Uhr, Kirche Unser Lieben Frauen Bremen: Gemeinsames Konzert
Mi, 21. Mai - 18.30 Uhr, Rogate-Kirche Hamburg-Meiendorf: Solo-Konzert des UNAM-Chores
Do, 22. Mai - 18.40 Uhr, St.Stephani-Kirche Bremen: Gemeinsame Teilnahme am Wettbewerb des Chorfestes
Fr, 23. Mai - 21.45 Uhr, Glocke Bremen: Gemeinsames Konzert im Rahmen der "Nacht der Chöre"
Sa 24. & So, 25. Mai - Weitere Konzerte im Rahmen des Bremer Chorfestes, siehe www.dcvg.de/bremenmain.html
Mo, 26. Mai - 20 Uhr, Volksbühne Berlin: Solo-Konzert des UNAM-Chores
Di, 27. Mai - 19 Uhr, Werkstatt der Kulturen Berlin: Solo-Konzert des UNAM-Chores
Mi, 28. Mai - 19/20 Uhr, Kirche Mühlberg (Thüringen): Solo-Konzert des UNAM-Chores

Weitere Termine und Infos: www.chor.uni-bremen.de