„Augenblicke in Namibia – Eindrücke und was sie ausdrücken“
„Vorher weiß man mehr als die Wahrheit / die Fremdheit kommt später“ heißt es im ersten Gedicht. Man weiß etwas über die Geschichte und die Rolle, die Deutschland in seiner nach dem ersten Weltkrieg verlorenen Kolonie, Südwestafrika spielte, über den „Aufstand und Untergang der Herero“, über Hendrik Witbooi, über das Gemisch von Sprachen, über Farmen, die tausende von Hektar groß sind, von der „Pad“, die vom Flughafen nach Windhoek führt und von dort nach Lüderitzbucht oder Swakopmund. In Windhoek isst man „tout le monde“ in Joe's Beerhouse. Vermutlich hat auch Jens Ulrich David das gegrillte Hähnchen bei Joe mit, nach dem deutschen Reinheitsgebot gebrauten, Bier des Landes genossen, nachdem er „am Nachmittag Katutura gesehen“ hatte, der Ort in den „zu Zeiten der Apartheid“, die damals auf der „Alten Werft/Old Location“ Wohnenden zwangsumgesiedelt worden waren: „Der lokale Guide spricht von ‚ordentlichen Häusern aus Stein', andere von ‚unwürdigen Slums' “. „Ebenfalls Windhoek“, so der Titel des Gedichtes, aus dem gerade zitiert wurde.
„Ihre Namen“: Engelhardt erklärt den Unterschied zwischen Breit- und Spitzmaulnashörnern. Er ist überzeugt, dass „der Friese / hier seinen Ottifanten gesehen hat“. Die diesem Gedicht zugeordnete Collage zeigt eine ins Menschenleere führende Straße, neben der ein Schild steht, mit dem vor einem (vermutlich seit deutscher Kolonialzeit dort nicht mehr fahrenden) Zug gewarnt wird. „Franz verkauft uns die Allgemeine Zeitung ...und / scherzt dabei mit seinem Freund der / daneben steht und / The Namibian anbietet“. „Tour guides kommentieren Politisches nicht.“ Jens-Ulrich Davids vermerkt jedoch, dass dem ersten Präsidenten Namibias, Sam Nujoma, dem „Founding Father of the Nation“, Fidel Castro und auch Robert Mugabe Straßen gewidmet sind. Die Sam Nujoma gewidmete ist allerdings um einiges länger als die nach Castro benannte. „Die Wege der Revolution sind nicht nur wunderbar.“
„Das Lächeln der San“ – der Autor nennt es „Ein Glanzstück in 5 Akten“. Touristen reisen in modernen Bussen ins Land der San. Der San Erasthus, der die Gäste führt, ist „Profi“. Er übersetzt aus der Sprache der San ins Afrikaans, ein anderer übersetzt ins Deutsche. „Die Männer wissend auf / den Schultern ihrer Ahnen / verwandeln uns die Buschwildnis der / Kalahari / in einen Medizingarten / Wurzeln Knollen Rinden Beeren Samen.“ Was geschieht da vor den Touristen? „Heilungsmagie auf der Zeitreise“ oder „Operettenlibretto für Fremde“? Am Ende bleibt den Reisenden nichts anderes als den „Bus der Moderne / aus dem Sand der San [zu] graben.“ Auf der dem Lächeln der San zugeordneten Collage sieht man Bäume, einer davon auf in die Tiefe reichendem Untergrund, der in dünne Wurzeln übergeht.
Auf der Touristenpiste erreichen die Reisenden Seeheim, Lüderitzbucht, Duwisib. Sie begegnen den Spuren deutscher Kolonialzeit, Zacharias Lewala, der für August Stauch Diamanten fand, aber auch Adolf Lüderitz, mit dem die deutsche Kolonialgeschichte anfing: „Du hattest eine hanseatische Ahnung / und schlossest einen betrügerischen Vertrag / zum schlauen Landkauf Landraub / dann fanden sie die Glitzerdinger / aber du / du warst schon verschollen / in den Wellen des Oranjemund.“ Man besucht Solitaire und „Etoscha natürlich“: „Kameras im Anschlag Improtheater der Wildnis / in wiederholter Inszenierung .... es gibt sie wirklich / die bewunderten Hauptdarsteller / die Sars unter den Sternen / die Elefanten Nilpferde / Nashörner.“ Die Etoscha-Collage zeigt einen mächtigen figurierten Baum, bei dem die Krone durch Geäst ersetzt ist: hinter dem Baum öffnet sich die Landschaft und verschmilzt in der Ferne mit dem Himmel.
Jeder, der in Namibia lebt, das Land besucht hat, es aus der Nähe oder Ferne zu lieben gelernt hat, kennt die szenenwirksame Werbung auf Plakaten, auf denen lichtvolle Dünen den Himmel begrenzen, auf denen die Big Five so durch die Savanne ziehen, als hätte die Natur keine Geschichte. Jens-Ulrich Davids' Gedichte zeichnen andere Bilder. Sie nehmen Vordergründiges wahr, rücken das Wahrgenommene jedoch in Perspektive. Das gilt für die Orte und Plätze, die man gesehen haben muss, wenn man das Land besucht, das gilt für die Menschen, denen man begegnet. Die Menschen, die außerhalb der Flaniermeile der Independence Avenue leben, die Menschen, die Namibia von heute ausmachen.
Monica Schefolds Collagen ergänzen die Gedichte auf eigenständige Weise. Wie Davids zu recht im Vorwort zu den „Augenblicken“ hervorhebt, Schefolds Collagen wollen nicht illustrieren, sondern sind „eigenständige Kunstwerke, die ... mit meinen Versen in Zwiesprache treten“. Sie tun dies, indem sie, was aus vielen Bildbänden bekannt ist, neu an- und zuordnen. Felsformationen, wie sie an der Spitzkoppe zu finden sind, werden mit dunkler Landschaft konfrontiert, bizarre, blattlose Äste von Kameldornbäumen tragen ein Nest der Webervögel. Die Farben der Collagen sind afrikanische Farben, erdgebunden, rotbraun, gelb, aber auch manchmal grau, wenn das Bild einer Überlandstraße in die Ferne weist. Wie die Gedichte sind die Collagen Produkt der Imagination, wie die Gedichte verwandeln sie Realität in Bilder. Wie die Gedichte regen sie den Leser und die Leserin an, über die Wirkung der angebotenen Bilder eigene hinzuzufügen.
Die „Augenblicke in Namibia“ zieren jede Namibiabibliothek. Man sollte sie auf jeden Fall Freunden und Bekannten schenken, für die Namibia mehr ist als ein Augenblick.
Jens-Ulrich Davids ist Anglist, Germanist und Kulturwissenschaftler, der als Deutschlehrer in Indien gearbeitet hat, bevor er, bis zu seinem Ruhestand, an die Universität Oldenburg überwechselte. Monica Schefold ist Kunstpädagogin und Grafikerin, in Irland aufgewachsen, lebt sie heute in Bremen. Collagen, wie sie die „Augenblicke“ gestalten, haben sie bekannt gemacht.
Manfred O. Hinz
Kommentar
Allgemeine Zeitung
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