Versöhnung und Völkerverständigung
Nachdem sich der NDR auf einem Podcast mit dem Genozid an den Herero und Nama während der Kolonialzeit befasst hat, schrieb die AZ darüber am 19. Februar: „Der NDR weiß es am besten.“ Hier nochmals der Link zur Sendung: https://www.ndr.de/nachrichten/info/Namibia-und-die-deutsche-Kolonialgeschichte-Wie-gelingt-Erinnerungskultur,audio1574002.html
Der deutsch-namibische Politologe, Entwicklungssoziologe und Afrikawissenschaftler, Henning Melber, hat eine Replik zu dem Gastkommentar des ehemaligen deutschen Botschafters in Namibia, Christian Mathias Schlaga, verfasst, den die AZ am 27. Februar 2024 veröffentlicht hatte:
Diskussionen über Rechtsordnungen und völkerrechtliche Normen zur Wende des 20. Jahrhunderts werden von mehr ausgewiesenen Expert:innen als Herrn Schlaga und mir geführt. In einem Kurzkommentar kann diese Diskussion nicht hinreichend gewürdigt werden. Doch ist der Hinweis auf die 1899 in den Grundsätzen verbindliche Haager Landkriegsordnung bedenkenswert.
Artikel 22 regelt, dass Kriegführende „kein unbeschränktes Recht in der Wahl der Mittel zur Schädigung des Feindes“ haben. Artikel 23 untersagt „b) die meuchlerische Tötung oder Verwundung von Angehörigen des feindlichen Volkes oder Heeres, c) die Tötung oder Verwundung eines die Waffen streckenden oder wehrlosen Feindes, der sich auf Gnade oder Ungnade ergeben hat, d) die Erklärung, dass kein Pardon gegeben wird“. Von Trothas offizielle Erklärungen an das Volk der Herero als auch an das der Nama, verstoßen ebenso dagegen wie die Kriegsführung und die Behandlung der gefangenen Männer, Frauen und Kinder, deren Schutz in anderen Abschnitten der Konvention geregelt ist.
Das Prinzip der Intertemporalität beharrt darauf, dass heutiges Rechtsverständnis auf frühere Verhältnisse nicht angewendet werden könne. Dem widerspricht sogar die Bundesregierung, indem sie geltendes Recht im Nazi-Regime und der DDR als Unrecht deklariert. Jenseits der Haager Konvention dokumentieren auch damalige Reichstagsdebatten, dass es dieses Unrechtsbewusstsein seinerzeit schon gegeben hat. Im Übrigen würde es niemand wagen, mit der Begründung, dass die Völkermordkonvention von der UNO erst 1948 verabschiedet wurde, den Holocaust als „Völkermord aus heutiger Sicht“ zu bezeichnen.
Wer kann es angesichts der unterschiedlichen Perspektiven den Nachfahren der hauptsächlich vom Genozid betroffenen Bevölkerungsgruppen im Land verdenken, dass sie eine andere Sichtweise als die der Bundesregierung haben? Und dass sie – ganz im Sinne der von beiden Staaten unterschriebenen UN-Erklärung zu den Rechten indigener Völker – reklamieren, bei sie betreffende Angelegenheiten direkt beteiligt zu sein? Versöhnung und Völkerverständigung muss – nomen est omen – mehr als eine (wenngleich notwendige) Verständigung zwischen zwei Regierungen sein.
Henning Melber
Der deutsch-namibische Politologe, Entwicklungssoziologe und Afrikawissenschaftler, Henning Melber, hat eine Replik zu dem Gastkommentar des ehemaligen deutschen Botschafters in Namibia, Christian Mathias Schlaga, verfasst, den die AZ am 27. Februar 2024 veröffentlicht hatte:
Diskussionen über Rechtsordnungen und völkerrechtliche Normen zur Wende des 20. Jahrhunderts werden von mehr ausgewiesenen Expert:innen als Herrn Schlaga und mir geführt. In einem Kurzkommentar kann diese Diskussion nicht hinreichend gewürdigt werden. Doch ist der Hinweis auf die 1899 in den Grundsätzen verbindliche Haager Landkriegsordnung bedenkenswert.
Artikel 22 regelt, dass Kriegführende „kein unbeschränktes Recht in der Wahl der Mittel zur Schädigung des Feindes“ haben. Artikel 23 untersagt „b) die meuchlerische Tötung oder Verwundung von Angehörigen des feindlichen Volkes oder Heeres, c) die Tötung oder Verwundung eines die Waffen streckenden oder wehrlosen Feindes, der sich auf Gnade oder Ungnade ergeben hat, d) die Erklärung, dass kein Pardon gegeben wird“. Von Trothas offizielle Erklärungen an das Volk der Herero als auch an das der Nama, verstoßen ebenso dagegen wie die Kriegsführung und die Behandlung der gefangenen Männer, Frauen und Kinder, deren Schutz in anderen Abschnitten der Konvention geregelt ist.
Das Prinzip der Intertemporalität beharrt darauf, dass heutiges Rechtsverständnis auf frühere Verhältnisse nicht angewendet werden könne. Dem widerspricht sogar die Bundesregierung, indem sie geltendes Recht im Nazi-Regime und der DDR als Unrecht deklariert. Jenseits der Haager Konvention dokumentieren auch damalige Reichstagsdebatten, dass es dieses Unrechtsbewusstsein seinerzeit schon gegeben hat. Im Übrigen würde es niemand wagen, mit der Begründung, dass die Völkermordkonvention von der UNO erst 1948 verabschiedet wurde, den Holocaust als „Völkermord aus heutiger Sicht“ zu bezeichnen.
Wer kann es angesichts der unterschiedlichen Perspektiven den Nachfahren der hauptsächlich vom Genozid betroffenen Bevölkerungsgruppen im Land verdenken, dass sie eine andere Sichtweise als die der Bundesregierung haben? Und dass sie – ganz im Sinne der von beiden Staaten unterschriebenen UN-Erklärung zu den Rechten indigener Völker – reklamieren, bei sie betreffende Angelegenheiten direkt beteiligt zu sein? Versöhnung und Völkerverständigung muss – nomen est omen – mehr als eine (wenngleich notwendige) Verständigung zwischen zwei Regierungen sein.
Henning Melber
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