Packende Geschichten beleben manch Felswand
Die spannende Lektüre von Peter Breunigs „Painted Stories", herausgegeben vom Kuiseb-Verlag der Namibia Wissenschaftlichen Gesellschaft (NWG), ist mit Anstrengung verbunden. Genau wie fachkundig geleitete Selbstfahrer-Safaris der NWG sorgfältige Vorbereitung, Aufmerksamkeit und Fahrgeschick erfordern, ebenso wird der Leser dieser auf Papier geführten und illustrierten Wanderung über 22 km zu Fuß zu 59 Stätten mit 2 000 individuellen Malereien gefordert, sicheren Schritt zu wahren und über mehrere Tage Konzentration zu üben.
Dabei handelt es sich um eine gezielte Auswahl aus 4 914 Felsmalereien, die hier nach aktuellem Stand an 208 nummerierten und benannten Stätten auf Farm Anibib erfasst sind. Die für die Leser ausgewählten Felsmalereien sind dem Namen AiAiba zugeordnet, der vom Gästebetrieb der Farm entlehnt ist.
Galerien geben Rätsel auf
Der Archäologe und Malerei-Führer Peter Breunig, emeritierter Professor der Goethe-Universtität Frankfurt, hat in Zusammenarbeit mit Gabriele Franke von selbiger Universität 59 der exponierten Felswände für die herausfordernde prähistorische Kunstwanderung am Rande des Erongo-Gebirges ausgesucht, auf Bildtafeln wiedergegeben und teils bis ins ziselierte Detail erklärt, das vom Leser auf Anhieb sonst gar nicht erkannt würde. Dabei führt er seine Wanderer über eine Route von ca 22 Kilometern in ein Gelände von Kuppen besetzt und mit Felsbrocken bestreut. Wir erleben die Schätze der Felsmalerei und Rätselgalerien, ständig von der Frage begleitet, was der Maler der Sammler und Jäger sich bei dieser oder jener Figur, ob Mensch, Tier oder Tiermensch/Therianthrop wohl gemeint haben mag, damals vor 3 000 Jahren, im späten Steinzeitalter, bevor ca vor 2 000 Jahren die ersten Tierhalter und Hirten mit Nutzvieh nach Namibia kamen. In den Felsmalereien sind nirgends Nutztiere abgebildet.
Exponiert, dann abgeschirmt oder verborgen
Bei den erfassten Stellen unterscheiden die Autoren zwischen exponierter, abgeschirmter und verborgener Malerei. Die Maler der Jäger und Sammler haben die wunderbaren Felsgalerien nicht für ein geladenes Cocktail-Publikum geschaffen, das heute zur „Eröffnung“ einer neuen Wand sektschlürfend erschienen wäre.
Die Felsmalereien, obwohl sie sich über Jahrtausende erhalten haben, bleiben Wind und Wetter sowie vereinzelt dem Vandalismus ausgesetzt. Breunig setzt die heute verfügbare Aufnahmetechnik ein: Sogenannte DStrech Software, Kontrast-Verstärkung und digitale Nachzeichnung führen zur optimal originaltreuen Wiedergabe. Somit „ruft“ er zahlreiche verblichene und verwaschene Malereien „zurück“, die nun im lokalen Verzeichnis erhalten bleiben. Fortschreitende Verwitterung über die Jahrhunderte schwächt den Farbstoff mit der Dauer bis zur völligen Unkenntlichkeit, wo selbst die digitale Technik nichts mehr ausrichten kann.
Fragen als ständige Begleitung
Druck und Wiedergabe der Felszeichnungen im vorliegenden Werk sind hervorragend. Die Wanderung wird ständig von drei Kernfragen begleitet: Wie alt ist die Malerei? Wer waren die Künstler? Wozu und warum wurden derart viele Malereien geschaffen?
Breunig belässt es bei der Führung zu Einzel-Bildern und Gruppierungen, die exakt nummeriert auf dem hochwertigen und farbgetreuen Abdruck der Kunsttafeln vieler aufklappbarer Doppelseiten zum einhergehenden Text passen, nicht bei bloßer Identifizierung und Erkenntnis. War ein Schamane am Werk? Befinden sich Menschen im Trance? Soll ein Ritual ausgedrückt werden? Unter den tausenden Malereien mit Alltagsszenen der Sammler und Jäger, so meldet Breunig, befindet sich keine Gewaltszene zwischen Menschen. Es lasse sich auch keine Rangordnung unter den Personen feststellen. Er führt bis ins feine Detail, welch Motive unter Tier, Mensch und Tiermensch/Therianthrop vorherrschen, welche selten vorkommen und wie sich die Malereien pauschal von der nächstverwandten steinernen Überlieferung, den Felsgravuren von Twyfelfontein, unterscheiden. Es gibt eine Koitus-Skizze, worauf die Forscher die Stätte prompt „Playboy Wall“ genannt haben.
Breunig würdigt den französischen Forscher Henri Breuil, der sich Mitte des 20. Jahrhunderts intensiv auf AiAiba mit der erkennbaren Überlieferung befasst hat, sowie die Vorarbeit anderer Forscher. Breuil meldete damals 344 Felsmalereien. Breunig setzt die heute verfügbare Technik ein und kommt auf 4 914 Malereien. Breuil hat seinerzeit seinen Fund auch auf Deutsch publiziert. Sein Buch war bahnbrechend und galt selbst in der DDR als Sensation.
Auf mehreren Schautafeln – nicht auf allen – sind die Erkenntnisnummern bei den Figuren für den begleitenden Text leider extrem verkleinert und irritierend winzig, so dass aus der Gemäldetafel ein Vexierbild wird. Dabei ist über und unter der Schautafel sowie kehrseitig noch jede Menge Platz vorhanden, den die Autoren des Bands und Layouter des Kuiseb-Verlags für den Leser ohne zusätzlichen Kostenaufwand zur vergrößert zugänglicheren Wiedergabe leicht hätten nutzen können. Schließlich waren Aufnahme und Veröffentlichung deutlich mit Mühe und Sorgfalt verbunden, aber extreme Verkleinerung macht solch Aufwand vergeblich.
Neben dem mehrfach spekulativen Anlauf zur Interpretation räumen die Autoren wiederholt ein, dass es aus unserer Sicht des 21. Jahrhunderts keine exklusiv einzige Auslegung geben kann. Bei allen offenen Fragen vermitteln die Malereien dennoch Geschichten und Geschichte aus Existenz und Alltag der Jäger und Sammler, die wir erstaunt und mit Bewunderung erfahren wollen, wie der Buchtitel schon nahelegt.
Eberhard Hofmann
Galerien geben Rätsel auf
Der Archäologe und Malerei-Führer Peter Breunig, emeritierter Professor der Goethe-Universtität Frankfurt, hat in Zusammenarbeit mit Gabriele Franke von selbiger Universität 59 der exponierten Felswände für die herausfordernde prähistorische Kunstwanderung am Rande des Erongo-Gebirges ausgesucht, auf Bildtafeln wiedergegeben und teils bis ins ziselierte Detail erklärt, das vom Leser auf Anhieb sonst gar nicht erkannt würde. Dabei führt er seine Wanderer über eine Route von ca 22 Kilometern in ein Gelände von Kuppen besetzt und mit Felsbrocken bestreut. Wir erleben die Schätze der Felsmalerei und Rätselgalerien, ständig von der Frage begleitet, was der Maler der Sammler und Jäger sich bei dieser oder jener Figur, ob Mensch, Tier oder Tiermensch/Therianthrop wohl gemeint haben mag, damals vor 3 000 Jahren, im späten Steinzeitalter, bevor ca vor 2 000 Jahren die ersten Tierhalter und Hirten mit Nutzvieh nach Namibia kamen. In den Felsmalereien sind nirgends Nutztiere abgebildet.
Exponiert, dann abgeschirmt oder verborgen
Bei den erfassten Stellen unterscheiden die Autoren zwischen exponierter, abgeschirmter und verborgener Malerei. Die Maler der Jäger und Sammler haben die wunderbaren Felsgalerien nicht für ein geladenes Cocktail-Publikum geschaffen, das heute zur „Eröffnung“ einer neuen Wand sektschlürfend erschienen wäre.
Die Felsmalereien, obwohl sie sich über Jahrtausende erhalten haben, bleiben Wind und Wetter sowie vereinzelt dem Vandalismus ausgesetzt. Breunig setzt die heute verfügbare Aufnahmetechnik ein: Sogenannte DStrech Software, Kontrast-Verstärkung und digitale Nachzeichnung führen zur optimal originaltreuen Wiedergabe. Somit „ruft“ er zahlreiche verblichene und verwaschene Malereien „zurück“, die nun im lokalen Verzeichnis erhalten bleiben. Fortschreitende Verwitterung über die Jahrhunderte schwächt den Farbstoff mit der Dauer bis zur völligen Unkenntlichkeit, wo selbst die digitale Technik nichts mehr ausrichten kann.
Fragen als ständige Begleitung
Druck und Wiedergabe der Felszeichnungen im vorliegenden Werk sind hervorragend. Die Wanderung wird ständig von drei Kernfragen begleitet: Wie alt ist die Malerei? Wer waren die Künstler? Wozu und warum wurden derart viele Malereien geschaffen?
Breunig belässt es bei der Führung zu Einzel-Bildern und Gruppierungen, die exakt nummeriert auf dem hochwertigen und farbgetreuen Abdruck der Kunsttafeln vieler aufklappbarer Doppelseiten zum einhergehenden Text passen, nicht bei bloßer Identifizierung und Erkenntnis. War ein Schamane am Werk? Befinden sich Menschen im Trance? Soll ein Ritual ausgedrückt werden? Unter den tausenden Malereien mit Alltagsszenen der Sammler und Jäger, so meldet Breunig, befindet sich keine Gewaltszene zwischen Menschen. Es lasse sich auch keine Rangordnung unter den Personen feststellen. Er führt bis ins feine Detail, welch Motive unter Tier, Mensch und Tiermensch/Therianthrop vorherrschen, welche selten vorkommen und wie sich die Malereien pauschal von der nächstverwandten steinernen Überlieferung, den Felsgravuren von Twyfelfontein, unterscheiden. Es gibt eine Koitus-Skizze, worauf die Forscher die Stätte prompt „Playboy Wall“ genannt haben.
Breunig würdigt den französischen Forscher Henri Breuil, der sich Mitte des 20. Jahrhunderts intensiv auf AiAiba mit der erkennbaren Überlieferung befasst hat, sowie die Vorarbeit anderer Forscher. Breuil meldete damals 344 Felsmalereien. Breunig setzt die heute verfügbare Technik ein und kommt auf 4 914 Malereien. Breuil hat seinerzeit seinen Fund auch auf Deutsch publiziert. Sein Buch war bahnbrechend und galt selbst in der DDR als Sensation.
Auf mehreren Schautafeln – nicht auf allen – sind die Erkenntnisnummern bei den Figuren für den begleitenden Text leider extrem verkleinert und irritierend winzig, so dass aus der Gemäldetafel ein Vexierbild wird. Dabei ist über und unter der Schautafel sowie kehrseitig noch jede Menge Platz vorhanden, den die Autoren des Bands und Layouter des Kuiseb-Verlags für den Leser ohne zusätzlichen Kostenaufwand zur vergrößert zugänglicheren Wiedergabe leicht hätten nutzen können. Schließlich waren Aufnahme und Veröffentlichung deutlich mit Mühe und Sorgfalt verbunden, aber extreme Verkleinerung macht solch Aufwand vergeblich.
Neben dem mehrfach spekulativen Anlauf zur Interpretation räumen die Autoren wiederholt ein, dass es aus unserer Sicht des 21. Jahrhunderts keine exklusiv einzige Auslegung geben kann. Bei allen offenen Fragen vermitteln die Malereien dennoch Geschichten und Geschichte aus Existenz und Alltag der Jäger und Sammler, die wir erstaunt und mit Bewunderung erfahren wollen, wie der Buchtitel schon nahelegt.
Eberhard Hofmann
Kommentar
Allgemeine Zeitung
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