Mit Sportschuhdiplomatie wollte die DDR punkten
Sechs Jahre nach der Umwandlung der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) in die Deutsche Demokratische Republik, DDR, lancierte die Staatsführung unter der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) kommunistischer Prägung, der „marxistisch-leninistischen Kampfpartei“ eine Aktion auswärts nach Afrika. Vordergründig handelte es sich um eine unverfängliche diplomatische Initiative – Sportförderung in afrikanischen Ländern. Diese waren 1955 zumeist noch Territorien europäischer Kolonialmächte. Das Programm wurde über die rapide Ausrufung der Unabhängigkeit ehemaliger Kolonien hinweg mit Höhen, Tiefen, Schranken und Niedergang über 35 Jahre bis zur Auflösung der DDR durchgezogen. Es war punktuell auf selektierte Länder zugeschnitten, darunter Algerien, Mosambik, Ägypten.
Namibia und Südafrika kommen in der „Turnschuhdiplomatie“ nicht vor, denn zwischen der damals international geächteten Apartheidsregierung in Südafrika, die gleichzeitig alle auswärtigen Angelegenheiten des Territoriums Südwestfrika regelte, und der DDR herrschte frostige Berührungsangst, die gegensätzlichen autoritären Systemen innewohnt. Der Leser erwartet bei diesem Werk auch eine Schilderung der „Dauerrivalität“ im Sportengagement der beiden deutschen Staaten in Afrika. Daniel Lange schickt voraus, dass dieses Thema nicht gesondert analysiert wird, sondern „an geeigneter Stelle immer wieder in die Untersuchung integriert“ wird: „Im Spannungsfeld der sich im gewählten Arbeitsthema kreuzenden Forschungsfelder (Politik-, Geschichts-, Sport-, Afrikawissenschaften) lässt sich damit interdisziplinär ein zeitgeschichtlicher Brückenschlag wagen, der Sport- und Afrikapolitik der DDR und so zwei Themenkreise miteinander kombiniert, denen die SED-Führung höchste Relevanz beimaß.“
Die Publikation ist aus Langes Forschungsprojekt und der sportwissenschatlichen Dissertation hervorgegangen, die er der Fakultät für Humanwissenschaften an der Universität von Potsdam eingereicht hat. Die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur hat die Arbeit mitfinanziert. Bei dem Sportengagement schildert der Autor die verflochtene Berührung mehrerer Ebenen von Gesellschaft und Sport, u. Anderem Außenpolitik, kulturelle Auslandsarbeit, internationale Sportbeziehungen, Auslandsinformation, Außenhandel.
Es liegt auf der Hand, dass die DDR-Führung vor allem vor den Jahren der ostdeutschen Mitgliedschaft bei den Vereinten Nationen 1973 und angesichts der Hallstein-Doktrin der Bundesrepublik Deutschland ( angestrebte Sperre der völkerrechtlichen Anerkennung der DDR durch Drittländer) nach Wegen gesucht hat, auswärtige Beziehungen anzubahnen. Der Sport – auch vor der Kulisse führender Rekordleistungen ostdeutscher Sportler – bot sich geradezu als politisch „unverfänglicher“ Einstieg für auswärtige Bezieziehungen an, die dann mit Außenpolitik, Außenhandel und der Verortung im kommunistisch-sozialistischen Rahmen des Ostblocks vernetzt werden konnten. DDR-Sportfunktionäre dienten in der Regel auch als Informanten des Staatssicherheitsdienstes, Stasi.
Der Autor ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Leistungssport und Trainerbildung der Deutschen Hochschule für Gesundheit und Sport in Berlin. Das vorliegenden Werk zitiert unzählige vorher kaum beachtete Quellen, die im Anhang aufgeführt sind. Ein umfangreiches Abkürzungsverzeichnis hilft weiter, wenn dem Leser die zahlreichen Kürzel ehemaliger gegenwärtiger Institutionen nicht geläufig sind.
Die olympischen Winterspiele in China und – nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine – der aktuelle Ausschluss russischer Nationalsportler aus internationalen Arenen demonstrieren einmal mehr, dass der Leistungssport neben dem erklärten Ziel freundschaftlicher Begegnung sich am Ende immer wieder mit politischer Intervention auseinandersetzen muss.
Der Autor der „Turnschuhdiplomatie“, Daniel Lange, hatte nach wiederholtem Praktikanten-Einsatz als Sportreporter der Allgemeinen Zeitung, Windhoek, zunächst ein brisantes Namibia-Thema aufgegriffen: „Auf deutsch-deutscher Patrouille“. Im Jahr des international überwachten Übergangs vom Mandatsgebiet Südwestafrika unter südafrikanischer Verwaltung zum souveränen Staat Namibia 1989/90 hatte eine Riege DDR-Volkspolizisten mit Berufskollegen der Bundesrepublik, beide in UNO-Friedensuniform gekleidet, Teile des damaligen kriegsgeschädigten Ovambolandes zu patrouillieren. Das geschah just in Monaten der Zeitenwende, da die Berliner Mauer – Kordon des Kalten Krieges – zerbröckelt ist.
Die „Turnschuhdiplomatie“ stellt einen relevanten Aspekt der Geschichte der Teilung Deutschlands dar, die in manch Bereich heute noch überwunden werden muss. Hintergrundwissen ist dazu eine wichtige Voraussetzung.
Turnschuhdiplomatie – Die internationalen sportpolitischen Beziehungen der DDR nach Afrika als besonderer Bestandteil ihrer Außenpolitik (1955 - 1990 ) von Daniel Lange. Herausgeber: Deutsche Hochschule für Gesundheit und Sport (DHGS), Berlin, Januar 2022. Broschürter Band, 610 Seiten. ISBN: 978-3-9816783-5-2Richtpreis 35.00 Euro.
Namibia und Südafrika kommen in der „Turnschuhdiplomatie“ nicht vor, denn zwischen der damals international geächteten Apartheidsregierung in Südafrika, die gleichzeitig alle auswärtigen Angelegenheiten des Territoriums Südwestfrika regelte, und der DDR herrschte frostige Berührungsangst, die gegensätzlichen autoritären Systemen innewohnt. Der Leser erwartet bei diesem Werk auch eine Schilderung der „Dauerrivalität“ im Sportengagement der beiden deutschen Staaten in Afrika. Daniel Lange schickt voraus, dass dieses Thema nicht gesondert analysiert wird, sondern „an geeigneter Stelle immer wieder in die Untersuchung integriert“ wird: „Im Spannungsfeld der sich im gewählten Arbeitsthema kreuzenden Forschungsfelder (Politik-, Geschichts-, Sport-, Afrikawissenschaften) lässt sich damit interdisziplinär ein zeitgeschichtlicher Brückenschlag wagen, der Sport- und Afrikapolitik der DDR und so zwei Themenkreise miteinander kombiniert, denen die SED-Führung höchste Relevanz beimaß.“
Die Publikation ist aus Langes Forschungsprojekt und der sportwissenschatlichen Dissertation hervorgegangen, die er der Fakultät für Humanwissenschaften an der Universität von Potsdam eingereicht hat. Die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur hat die Arbeit mitfinanziert. Bei dem Sportengagement schildert der Autor die verflochtene Berührung mehrerer Ebenen von Gesellschaft und Sport, u. Anderem Außenpolitik, kulturelle Auslandsarbeit, internationale Sportbeziehungen, Auslandsinformation, Außenhandel.
Es liegt auf der Hand, dass die DDR-Führung vor allem vor den Jahren der ostdeutschen Mitgliedschaft bei den Vereinten Nationen 1973 und angesichts der Hallstein-Doktrin der Bundesrepublik Deutschland ( angestrebte Sperre der völkerrechtlichen Anerkennung der DDR durch Drittländer) nach Wegen gesucht hat, auswärtige Beziehungen anzubahnen. Der Sport – auch vor der Kulisse führender Rekordleistungen ostdeutscher Sportler – bot sich geradezu als politisch „unverfänglicher“ Einstieg für auswärtige Bezieziehungen an, die dann mit Außenpolitik, Außenhandel und der Verortung im kommunistisch-sozialistischen Rahmen des Ostblocks vernetzt werden konnten. DDR-Sportfunktionäre dienten in der Regel auch als Informanten des Staatssicherheitsdienstes, Stasi.
Der Autor ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Leistungssport und Trainerbildung der Deutschen Hochschule für Gesundheit und Sport in Berlin. Das vorliegenden Werk zitiert unzählige vorher kaum beachtete Quellen, die im Anhang aufgeführt sind. Ein umfangreiches Abkürzungsverzeichnis hilft weiter, wenn dem Leser die zahlreichen Kürzel ehemaliger gegenwärtiger Institutionen nicht geläufig sind.
Die olympischen Winterspiele in China und – nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine – der aktuelle Ausschluss russischer Nationalsportler aus internationalen Arenen demonstrieren einmal mehr, dass der Leistungssport neben dem erklärten Ziel freundschaftlicher Begegnung sich am Ende immer wieder mit politischer Intervention auseinandersetzen muss.
Der Autor der „Turnschuhdiplomatie“, Daniel Lange, hatte nach wiederholtem Praktikanten-Einsatz als Sportreporter der Allgemeinen Zeitung, Windhoek, zunächst ein brisantes Namibia-Thema aufgegriffen: „Auf deutsch-deutscher Patrouille“. Im Jahr des international überwachten Übergangs vom Mandatsgebiet Südwestafrika unter südafrikanischer Verwaltung zum souveränen Staat Namibia 1989/90 hatte eine Riege DDR-Volkspolizisten mit Berufskollegen der Bundesrepublik, beide in UNO-Friedensuniform gekleidet, Teile des damaligen kriegsgeschädigten Ovambolandes zu patrouillieren. Das geschah just in Monaten der Zeitenwende, da die Berliner Mauer – Kordon des Kalten Krieges – zerbröckelt ist.
Die „Turnschuhdiplomatie“ stellt einen relevanten Aspekt der Geschichte der Teilung Deutschlands dar, die in manch Bereich heute noch überwunden werden muss. Hintergrundwissen ist dazu eine wichtige Voraussetzung.
Turnschuhdiplomatie – Die internationalen sportpolitischen Beziehungen der DDR nach Afrika als besonderer Bestandteil ihrer Außenpolitik (1955 - 1990 ) von Daniel Lange. Herausgeber: Deutsche Hochschule für Gesundheit und Sport (DHGS), Berlin, Januar 2022. Broschürter Band, 610 Seiten. ISBN: 978-3-9816783-5-2Richtpreis 35.00 Euro.
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Allgemeine Zeitung
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