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Die Gleisbauer kamen nur langsam voran. Es war eine Knochenarbeit. Foto: Facebook
Die Gleisbauer kamen nur langsam voran. Es war eine Knochenarbeit. Foto: Facebook

Blauer Diamant

„Blauer Diamant" ist ein detailreicher und lesenswerter Roman über den Lebensweg eines Einwanderers in Deutsch-Südwestafrika zur Zeit der großen Diamantenfunde. Lassen Sie sich in das Jahr 1909 versetzen und fahren mit Willy, der Hauptperson dieses Romans, nach Südwestafrika nach Lüderitzbucht. In der Nähe hatte man Diamanten entdeckt. Wer ist die schöne Fremde auf dem Schiff Windhuk? Kann der reiche Diamanthändler Alexander Winter, Besitzer der Farm BLAUER DIAMANT, mit seinem von einem Leoparden entstellten Gesicht psychisch fertig werden? Wie war das beim Bau der Bahntrasse von Windhoek nach Keetmanshoop und wie heilte der Medizinmann Willy?
44. Folge

Da auch meine Ware morgen mit dem gleichen Zug angeliefert würde, hatte ich heute noch Zeit, mich mit meiner neuen Umgebung vertraut zu machen. In einiger Entfernung hörte ich das metallene Hämmern der Gleisarbeiter und nahm das zum Anlass, mir anzusehen, wie sie vorankamen. Die geografischen Gegebenheiten waren hier günstig, sodass das Camp in weiser Voraussicht auf einer Lichtung schon etwas weiter in Richtung geplanter Bahnstrecke errichtet worden war. Im Moment waren die Gleisbauer noch etwa 400 Meter hinter unserem Camp mit dem Vorbereiten der Bahntrasse und dem Verlegen der Gleise beschäftigt. Das hatte jedoch den Nachteil, dass meine Waren morgen mit einem unserer Ochsenkarren vom Ende der Gleisstrecke bis zum Store gebracht werden mussten. Überhaupt waren auch hier die Ochsenkarren nicht wegzudenken. Die Ochsen und ein paar Pferde waren auf einer Koppel ganz in der Nähe des Camps untergebracht.

Ich ging also den Weg zwischen Bäumen und Felswänden dem lauter werdenden Baustellenlärm mit dem markanten Tuckern des Dieselmotors, mit dem Pressluft erzeugt wurde, entgegen. Je näher ich kam, umso stärker wurde der Geruch nach frisch geschlagenem Holz und Dieselabgasen und umso lauter und deutlicher vernahm ich den monotonen Gesang der schwarzen Gleisarbeiter, der die Arbeit begleitete. Ein Vorsänger sang eine Melodie, so eine Art Sprechgesang, dann fiel der Chor der anderen ein. Als ich um die letzte Ecke vor der Baustelle bog, sah ich zwei Gruppen von je neun oder zehn Arbeitern, die jeweils dicht hintereinander im Gleichschritt marschierend eine Schiene geschultert hatten und dabei sangen. Sie trugen die Schienen zum Ende des fertiggestellten Gleises, wo eine weitere Gruppe die Schienen auf bereits genau ausgerichteten Schwellen mit großen Schrauben befestigte. Weiter vorn wurde der Untergrund für die Schwellen vorbereitet. Es war schwere Knochenarbeit, die die Leute hier überwiegend mit Spitzhacken erledigen mussten. Die Ingenieure und Vorarbeiter hatten es da leichter. Sie ordneten nur an, was die anderen machen mussten. Dafür trugen sie allerdings die Verantwortung, dass später auf der neuen Trasse die Züge nicht entgleisten. Zunächst musste erst einmal das Gleisbett vorbereitet werden. Das war in diesem Abschnitt am schwierigsten, weil alles felsiger und unebener Untergrund war. Jeder Meter musste mit viel Aufwand geebnet werden. Nun gab es wenigstens eine große Hilfe durch den Dieselmotor, mit dem man Pressluft erzeugen und einen Presslufthammer betreiben konnte. Das Grobe wurde mit dem Presslufthammer erledigt. Manchmal wurde eine besonders ungünstige Felsstelle auch mit Hilfe von Dynamit angepasst. Etliche Männer waren mit Vorschlaghammer und riesigen Meißeln dabei, die Feinarbeit zu machen und das Gleisbett zu egalisieren. Alles in allem ging es im Moment nur langsam voran. Eine weitere Gruppe bohrte jeweils zu zweit mit einem riesigen Bohrer per Hand Löcher in die Schwellen an von einem Ingenieur vorgezeichneten Punkten. Ich fand es gut, dass alles nicht so schnell voranging, denn dann musste ich immerhin nicht so bald mit meinem Store weiterziehen. Chefingenieur Wagner beschäftigte sich gerade mit seinem Theodoliten und war dabei, die letzte fertiggestellte Strecke zu vermessen. Ich sah eine Weile den Arbeitern zu und trollte mich bald wieder. Im Moment hatte keiner Zeit für mich und ich war hier nur im Wege.

Erstausstattung und Apoll angekommen

Am nächsten Vormittag traf gegen 11 Uhr der Materialzug mit Schienen, Schwellen, Sprengstoff, meiner Erstausstattung des Stores und meinem Pferd ein. Eine Rampe wurde an den Waggon gestellt, in dem sich mein Pferd befand. Dann wurde die Tür geöffnet. Und da war er, mein Apoll, allerdings etwas nervös durch die für ihn ungewohnte Bahnfahrt. Das Zaumzeug hatte man ihm umgelassen und so konnte ich Apoll, beruhigend auf ihn einredend, aus dem Waggon führen. Ich glaube, er freute sich, mich zu sehen und ich war endlich wieder beweglich. Einige Männer hatten inzwischen mit dem Entladen der Schienen und der Schwellen begonnen und stapelten sie unter Anweisungen des Vorarbeiters ganz in der Nähe. Die an der Spitze des Ausbaus benötigten Schienen und Schwellen wurden von hier mit einer Draisine zum Einsatzort transportiert.

Zwei andere Arbeiter waren vom Chefingenieur abgestellt, meine Waren auf einen Ochsenkarren zu laden. Ich hielt mein ungesatteltes Pferd am Zügel und sah den beiden zu, als sie die ersten Sachen aus dem Waggon trugen. Hoffentlich hatte man den Sattel nicht vergessen. Ohne Sattelzeug und Steigbügel kam ich nicht aufs Pferd. Nein, man hatte das Zubehör nicht vergessen, gerade kam ein Helfer mit dem Sattel auf dem Rücken aus dem Waggon. Ich ließ ihn das Sattelzeug auf das Pferd legen und zurrte es fest.

Dann machte ich Apoll an einem nahen Baum fest und stieg in den Waggon, um nach meinen Sachen zu sehen. Es war ein chaotisches Durcheinander. Säcke mit Zucker, Mehl und Salz, sechs Zentner Kartoffeln, Zwiebeln, eine große Anzahl Kartons voller verschiedener alkoholischer Getränke, Konservendosen mit Obst und verschiedenen Gemüsen, Kaffeedosen, Töpfe, Pfannen, Geschirr, Besteck, Streichhölzer, Kerzen, Petroleumlampen, Kanister mit Petroleum, Seife, Handtücher, Arbeitshandschuhe, Gummistiefel, Unterwäsche, Socken, Wolldecken und vieles mehr musste ausgeladen und zum Store transportiert werden. Unter den Sachen entdeckte ich sogar eine Puppe. Was die wohl in meinem Store sollte? Vielleicht ein Scherz meiner Kollegen in Windhuk. Na, hoffentlich ging nichts zu Bruch. Als erstes schleppten die zwei schwarzen Helfer einen kleinen, für mich bestimmten Kohleherd aus dem Waggon und stellten ihn neben den Karren. Der Herd sollte mir primär zum Heizen dienen, aber ich konnte mir darauf auch mal etwas kochen, wenn mir das Kantinenessen nicht schmecken sollte oder Wasser heiß machen. Dann verschwand einer der beiden in dem Waggon und kam mit einer ovalen Zinkwanne und einem Waschbrett wieder zum Vorschein. Mit Herd, Wanne und Waschbrett war ich theoretisch autark. Ich würde mir heißes Wasser machen und meine Wäsche selber waschen können. Vielleicht würde ich auch jemand dafür finden, der das besser konnte als ich. Natürlich gegen Naturalien oder Bezahlung. Und dann müsste mir noch jemand die Hemden bügeln, darin war ich nicht sehr begabt. Ich bekam die Falten an den Schultern und Ärmeln nie richtig heraus.

Ich sagte den beiden Helfern, sie sollten nicht alles so hoch stapeln und die Fuhre erst einmal zu meinem Store bringen und dann ein zweites oder, falls nötig, auch ein drittes Mal fahren. Inzwischen könnte ich dann schon mit dem Einräumen und der Preisauszeichnung beginnen. Da ich hier mein eigener Herr war, legte ich die Preise der Waren auch selber fest. Ein wenig höher, als ich mit Windhuk abrechnen musste, aber natürlich in erträglichem Rahmen.

Ein paar Tage war es gut gegangen, aber heute Nacht waren plötzlich diese verdammten Ohrgeräusche wieder da und ließen mich nicht schlafen. Was war das nur? Tagelang hatte das Piepen mich in Ruhe gelassen und jetzt ging das wieder los. Aber ich hatte keine Lust, wieder die Morsezeichen zu notieren, selbst wenn es sich um eine äußerst wichtige Nachricht handeln sollte. Irgendwann bin ich dann trotz der unangenehmen Töne eingeschlafen.

Am nächsten Morgen, kurz nachdem ich meinen Laden geöffnet hatte, ich war im hinteren Teil meines Stores und räumte noch Waren in die Regale, vernahm ich das nervende Quietschen der vorderen Tür und jemand bearbeitete stürmisch die Glocke auf der Ladentheke. Ich ging nach vorn, um nachzusehen, wer so dringend etwas von mir wollte und fand unseren Chefingenieur Wagner an der Theke lehnend vor. Er machte keinen ganz zufriedenen Eindruck.

„Sie sollten mal Ihre Tür ölen, die quietscht inzwischen ja erbärmlich“, meinte Wagner.

„Das werde ich ganz bestimmt nicht tun! So kann sich niemand hereinschleichen und an meinen Whisky gehen, ohne dass ich es bemerke“, widersprach ich.

„Kann ich etwas für Sie tun?“, fragte ich ihn überflüssigerweise, denn um diese Zeit kam er bestimmt nicht auf ein Schwätzchen herein.

Von etwas gestochen

„Ich brauche dringend schwarze Zugsalbe. Irgendetwas hat mich vorhin am Oberschenkel gestochen, ich habe aber nicht gesehen, was es war. Jetzt tut es höllisch weh und brennt fürchterlich“, erklärte er sein Kommen. Nun, ein Skorpion wird es wohl nicht gewesen sein, wenn er die Hose richtig ausgeschüttelt hatte und darauf achteten hier eigentlich alle. Und selbst wenn, von einem Skorpionstich stirbt man nicht ohne weiteres, doch es konnte schon äußerst unangenehm werden. Außer Skorpionen gab es hier jedoch noch viele uns unbekannte Tiere und Insekten, die in der Lage waren zu stechen. Da konnte man schlecht selber beurteilen, wie gefährlich ein Stich oder ein Biss einzuschätzen ist, wenn man nicht wusste, wer der Verursacher der Pein gewesen war.

Ich holte ihm die Salbe und er ließ seine Arbeitshose herunter, um die Stichstelle sofort zu verarzten. Als ich die Stelle auf der hinteren Seite seines Oberschenkels sah, war ich ob der starken Rötung, die so schnell aufgetreten war, besorgt. Eine kreisrunde Stelle von etwa drei Zentimetern war knallrot. In meinem Fundus hatte ich Jodlösung und vorhin noch eine kleine gläserne Saugglocke gesehen und schlug, noch bevor er die Salbe auftragen konnte, vor, zunächst zu versuchen, durch das Vakuum vielleicht noch etwas von dem Gift aus dem Stichkanal heraus zu saugen und dann die Stelle mit Jodlösung einzupinseln. Darüber konnte er dann ja die Salbe auftragen. Er war damit einverstanden. Ich setzte die Saugglocke an und pumpte die Luft heraus. Aus dem Einstich kam ein wenig blutige Flüssigkeit. Ob noch Gift dabei war, oder ob sich schon alles im Gewebe verteilt hatte, wussten wir natürlich nicht. Dann pinselte ich die Jodlösung auf die gerötete Stelle und nach dem Trocknen strich ich großzügig messerrückendick schwarze Salbe auf die Fläche. Zum Schluss kam ein dicker Verband darüber. „Jetzt brauche ich erst einmal als Antidot und zur Desinfektion von innen einen doppelten Whisky!“ Er lehnte sich an die Theke, während ich ihm einen großen Lagavulin eingoss. Dieser kräftige Whisky war ein sehr beliebtes Getränk. Wegen des rauchigen, an Jod erinnernden Geschmacks traute man ihm auch eine medizinische Wirkung zu.

Kommentar

Allgemeine Zeitung 2025-04-26

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