Loading svg Please wait while we translate the article
Willy nahm sich einen Bleistift und Papier und versuchte, die Tonfolgen als Striche und Punkte aufzuschreiben. Foto: Pixabay
Willy nahm sich einen Bleistift und Papier und versuchte, die Tonfolgen als Striche und Punkte aufzuschreiben. Foto: Pixabay

Blauer Diamant

„Blauer Diamant" ist ein detailreicher und lesenswerter Roman über den Lebensweg eines Einwanderers in Deutsch-Südwestafrika zur Zeit der großen Diamantenfunde. Lassen Sie sich in das Jahr 1909 versetzen und fahren mit Willy, der Hauptperson dieses Romans, nach Südwestafrika nach Lüderitzbucht. In der Nähe hatte man Diamanten entdeckt. Wer ist die schöne Fremde auf dem Schiff ,Windhuk'? Kann der reiche Diamanthändler Alexander Winter, Besitzer der Farm BLAUER DIAMANT, mit seinem von einem Leoparden entstellten Gesicht psychisch fertig werden? Wie war das beim Bau der Bahntrasse von Windhoek nach Keetmanshoop und wie heilte der Medizinmann Willy?
43. Folge



Jetzt wurde es ernst, ich musste in die Wildnis. Die ersten Kilometer Bahngleise waren schon verlegt und die Versorgung des Bautrupps von Windhuk aus war bisher kein Problem gewesen. Aber nun war die Strecke zu weit, um jedes Mal wegen Dingen des täglichen Bedarfs nach Windhuk zu fahren. Auch das Baumaterial musste vor Ort gelagert werden.

Nach einer längeren, unbequemen Fahrt auf Holzbänken im Transportwagen des Materialzuges traf ich an meinem künftigen Arbeitsplatz ein. Die von Windhuk nach Keetmannshop und weiter nach Südafrika zu bauende Eisenbahnlinie war jedoch nicht die Schmalspurbahn, mit der ich von Swakopmund nach Windhuk gefahren war. Hier wurden Schienen für die in Südafrika gebräuchliche größere Kapspur mit einer Spurweite von 3½ englischen Fuß, beziehungsweise 1 067 Millimetern, verlegt. Entsprechend hatten wir für die Versorgung auch die größeren Waggons und eine dazu passende Lokomotive.

Im Camp angekommen, zeigte man mir meinen Store. Das war eine in einen vorderen und einen hinteren Bereich eingeteilte Holzbaracke mit Wellblechdach. Der Store war bereits im Laufe der letzten Woche von den Gleisarbeitern zusammen mit dem Camp unter hohen, weiter auseinander stehenden Bäumen und Büschen aufgebaut worden. Aus Platzgründen hatten sie ihn etwa 50 Meter von ihrem Camp entfernt aufgestellt.

Die vier Holzwände und das Wellblechdach meines Stores waren so miteinander verschraubt, dass ein kleiner Luftspalt von ungefähr vier Zentimetern zwischen Wand und Decke blieb. Da konnte einerseits die warme Luft abziehen, aber es konnten auch ebenso Insekten hereinkrabbeln. Diesen Spalt musste ich umgehend mit Streifen aus Moskitonetzgaze sichern, bevor meine Ware kam und der Lagerraum vollgepackt war. An den Stirnseiten waren jeweils eine Tür mit Fenstern und je zwei Fenster an den langen Seiten. Auf der Rückseite, sozusagen neben meinem Privateingang, hatte man ein großes Fass auf ein Gestell in Dachhöhe montiert und darunter an einem Rohr mit einem Hahn eine Duschbrause angebracht. Den Hahn konnte ich durch Ziehen an einer von zwei Ketten, die einen Hebel bewegten, öffnen oder schließen. Weiterhin gehörte eine Leiter zu meiner Ausrüstung. Im Normalfall wurde das Wasser mit dem Materialzug in großen Tanks angeliefert. Zum Duschen wäre es aber zu kostbar gewesen. Hier brauchte ich jedoch nur vom kleinen Bach in der Nähe, der zur Zeit Wasser führte, Wasser zu holen oder holen zu lassen, mit dem Eimer die Leiter hinaufzuklettern und das Wasser in das Fass zu füllen, dann würde ich duschen können. Es war gut gedacht, aber bei der Hitze war das Wasserschleppen nicht nach meinem Geschmack. Ich werde mich wohl in den nächsten Tagen doch im Waschbecken waschen, sagte ich mir.

Im vorderen Teil meines Stores befand sich quer eine Theke mit einer Klappe als Durchgang, die den sozusagen öffentlichen, für die Kunden zugänglichen Teil vom Lager und meinem kleinen Wohn-Schlafraum mit Kochecke trennte. Die lebensnotwendigen Dinge, wie Bett, Bettzeug, Petroleumkocher, Petroleumlampe, Petroleum, Dosenbrot, Konserven und verschiedene andere Sachen, waren mit dem Bausatz der Baracke angeliefert worden. Der Rest und die anderen zum Verkauf bestimmten Waren sollten übermorgen mit dem nächsten Materialzug kommen.

Mein Bett war ebenfalls bereits aufgestellt. Es war ein Feldbett mit einem Metallrahmen. Das war hier draußen sehr wichtig. Die metallenen Füße standen jeweils in einer allerdings noch leeren Dose, die ich sofort mit Petroleum auffüllte. Dadurch konnten kriechende Insekten oder andere Tiere, wie Skorpione, nicht in mein Bett gelangen. Es gab aber auch raffinierte Tiere, die die Wand hinauf krochen und sich unter der Decke weiterhangelten, bis sie die Stelle erreicht hatten, wo die warme Luft des unten Schlafenden nach oben stieg. An dieser Stelle ließen sie sich dann fallen und konnten den dort unten Liegenden piesacken oder aussaugen. Gegen diese heimtückischen Gesellen und gegen Moskitos half ein Moskitonetz. So vor allen Quälgeistern geschützt, lag ich nun die erste Nacht in meinem Feldbett im noch leeren Store und lauschte den ungewohnten Geräuschen der Nacht. Für morgen früh hatte ich mich mit dem leitenden Ingenieur Wagner verabredet, um zu besprechen, was er von mir erwartete.



Ein hochfrequenter Ton



Als ich endlich zur Ruhe kam, vernahm ich plötzlich ein ziemlich hochfrequentes, leises Summen. Wo kam das denn her? Ein Moskito? Der wird sich doch nicht durch einen übersehenen Spalt im Netz durchgezwängt haben! Ich bewegte den Kopf nach allen Richtungen, um die Störquelle zu orten, aber das Geräusch blieb immer gleich stark. Seltsam. Ich hielt mir die Ohren zu, aber auch das änderte nichts an der Lautstärke. Da erkannte ich, dass der Ton offensichtlich nicht von außen kam, sondern nur in meinem Kopf existierte. Mein Ohr produzierte selber Töne!

Oh Schreck, hoffentlich entwickelte sich da nicht ein permanenter hochfrequenter Ton! Ich versuchte, den Ton zu ignorieren, aber das gelang mir nicht. Litt ich eventuell an einem zu hohen Blutdruck? Bei der letzten Untersuchung war doch alles normal gewesen und das war erst ein paar Wochen her. Bevor ich hier hinauszog, hatte ich mich noch einmal gründlich durchchecken lassen.

Das Ignorieren des unangenehmen Singens gelang mir nicht. Der Ton war einfach da und irritierte mich. Ich konnte so nicht einschlafen. Eigenartig, jetzt war es inzwischen kein Dauerton mehr. Er war wie unregelmäßig abgehackt, unregelmäßig pulsierend. Immer wieder deutliche lange und kurze Töne bei gleichbleibender Frequenz. Diese Unterbrechungen schienen mir sehr eigenartig, sie erinnerten stark an Morsezeichen.

Das war’s! Lang und kurz, wie beim Telegraphieren. Ich horchte noch einmal konzentriert und angestrengt, ob es nicht doch eine äußere Tonquelle gab, aber der Ton existierte tatsächlich nur in meinem Kopf. Gab es hier eventuell übersinnliche Phänomene? Unsinn, sagte ich mir, so etwas gibt es nicht. Wahrscheinlich wirkte sich jetzt die ungewohnte Höhe von etwas über 1 700 Metern aus. Vielleicht war dieses Phänomen auf die ungewohnte, neue Umgebung und die Einsamkeit in meinem leeren Store hier in den Bergen zurückzuführen und ich musste mich erst eingewöhnen.

Da ich im Moment jedoch nicht schlafen, mich aber auch nicht auf das Lesen eines Buches konzentrieren konnte, dachte ich, was soll’s, nahm mir einen Bleistift und Papier und versuchte, um mich abzulenken, die Tonfolgen als Striche und Punkte aufzuschreiben. Zunächst gelang es mir nicht. Die Folge der kurzen, langen und ganz langen Töne kam mir zu schnell, oder besser gesagt, ich war mit meinem Stricheln zu langsam. Aber dann achtete ich konzentriert auf das, was ich hörte und meine Reaktionszeit wurde kürzer. Dadurch brachte ich es doch fertig, entsprechende Punkte und Striche auf das Papier zu bringen. So war ich beschäftigt und das lenkte mich ab. Als ich fast eine ganze Seite voller Striche und Punkte hatte, muss ich wohl endlich übermüdet eingeschlafen sein. Jedenfalls wachte ich am anderen Morgen auf und fand das Blatt Papier zerdrückt im Bett vor. Die Töne in meinem Ohr waren weg.

Ich kroch unter meinem Moskitonetz hervor und wusch mich erst einmal. Dann schüttelte ich meine Wäsche und die Schuhe aus. Falls sich ein Skorpion über Nacht darin verkrochen hatte, sollte er keine Chance bekommen, mich zu stechen. Später, beim Frühstück, nahm ich das Papier, das neben dem Bett auf dem Boden lag und sah mir meine Strichelei an. Nur zum Spaß suchte ich in dem Buch des Post- und Telegrafenamtes die Seite des Morsealphabetes heraus und versuchte, meine Kritzelei zu übersetzen. Kurze und lange Striche waren Teile von Buchstaben und die besonders langen Striche interpretierte ich als Worttrennung. Obwohl ich an Übersinnliches nicht glaube, machte ich mich aus Spaß an die Übersetzung der Strichelei. Ich war neugierig, ob etwas Vernünftiges darunter war.

Die erste Zeile ergab ein sinnloses „brafgz“ und was das „gefrus“ sollte, war mir auch nicht klar. Dann lief es mir fast eiskalt den Rücken herunter, als ich „gefar“ entzifferte. Auch bei den Telegrafen kamen manche Worte verstümmelt an. Sollte dieses „gefar“ eventuell „Gefahr“ heißen oder nur das harmlose „gefahren“ bedeuten? Gibt es doch einen siebten Sinn? Wollte eine innere Stimme oder ein unbekannter, regionaler Urwaldgeist mir etwas mitteilen oder mich auf telepathischem Wege vor etwas warnen? Ich vertiefte mich in meine Striche und Punkte und entdeckte noch die Kombination „lebart“. War das der Rest von „aufgebahrt“, oder sollte es sich um „Leopard“ handeln? Das „fert“ war für mich dann eindeutig „Pferd“. Warnte mein Unterbewusstsein oder etwas anderes vor einer Gefahr durch einen Leopard? Und das Pferd? Hieß das ganze eventuell: Gefahr beim Ausreiten durch Leopard? Wollte ein Leopard mein Pferd fressen? Eventuell sogar mich? Auf jeden Fall hatte der Absender Probleme mit der Orthografie und außerdem, bitte schön, falls möglich, hätte ich gern detailliertere Angaben.

Wie das so ist, man sagt, alles Unsinn, alles nur Spaß. Aber irgendetwas setzt sich trotzdem ganz hinten im Gehirn fest. Ich glaube zum Beispiel auch nicht an Wahrsagerei, aber zu einer Wahrsagerin gehe ich dennoch nicht. Sie könnte mir etwas Negatives andeuten, was ich dann eventuell nicht mehr aus meinem Unterbewusstsein loswürde.

Schluss mit diesen albernen Gedanken, sagte ich mir und zerriss das Papier.

Aber die Worte Leopard und Pferd gingen mir doch wieder durch den Kopf und beschäftigten mich. Ich dachte an Apoll, der sollte am nächsten Tag mit dem Materialzug kommen, aber einen Leopard hatte ich nicht bestellt. Letztere gab es allerdings, wie man sagte, hier draußen zur Genüge. Sie sehen zwar wie sehr schöne, große Katzen aus, sind aber leider sehr gefährlich. Schade. Ach was, endgültig Schluss mit dem Unsinn!

Kommentar

Allgemeine Zeitung 2025-04-29

Zu diesem Artikel wurden keine Kommentare hinterlassen

Bitte melden Sie sich an, um einen Kommentar zu hinterlassen