Blauer Diamant
„Blauer Diamant" ist ein detailreicher und lesenswerter Roman über den Lebensweg eines Einwanderers in Deutsch-Südwestafrika zur Zeit der großen Diamantenfunde. Lassen Sie sich in das Jahr 1909 versetzen und fahren mit Willy, der Hauptperson dieses Romans, nach Südwestafrika nach Lüderitzbucht. In der Nähe hatte man Diamanten entdeckt. Wer ist die schöne Fremde auf dem Schiff Windhuk? Kann der reiche Diamanthändler Alexander Winter, Besitzer der Farm BLAUER DIAMANT, mit seinem von einem Leoparden entstellten Gesicht psychisch fertig werden? Wie war das beim Bau der Bahntrasse von Windhoek nach Keetmanshoop und wie heilte der Medizinmann Willy?
12. Folge
Da wir keinerlei Wetterprobleme auf unserer Reise hatten, kamen wir gut voran und der Kapitän prognostizierte unsere Ankunft in Lüderitzbucht in vier Tagen.
Am nächsten Morgen wurde ich wie gewöhnlich gegen halb 8 Uhr wach. Doch irgendetwas irritierte mich, ohne dass ich im ersten Moment sagen konnte, was das war. Noch schlaftrunken ging ich ins Bad und wusch mich mit kaltem Wasser. Das tat gut und weckte die Lebensgeister. Zurück in der Kabine ging mir ein Licht auf, das heißt, es war heute nicht wie gewohnt aufgegangen. Ich sah durch das Bullauge nach draußen. Wie jeden Morgen klarer blauer Himmel mit einzelnen Schäfchenwolken, aber die Sonne, die mich bisher morgens immer geweckt hatte, war heute nicht an ihrem üblichen Platz auf der linken Seite zu finden. Dafür warf das Schiff auf meiner Seite einen langen Schatten. Ich schloss messerscharf, an der Sonne konnte es nicht liegen, also hatten wir unseren Kurs total geändert und fuhren zurück. Aber warum? Was war los? Meine Gedanken überschlugen sich. Wo wollte der Kapitän hin? Hatten wir Probleme mit dem Schiff? Bestand etwa die Gefahr, dass das Schiff sinken könnte? War der Kapitän deshalb umgekehrt? Das ergab allerdings keinen Sinn, denn dann wäre die Rückfahrt nach Las Palmas länger als die restliche Strecke bis Lüderitzbucht. Oder tobte voraus auf unserer Route etwa ein fürchterlicher Sturm? Wo war eigentlich meine Rettungsweste?
Ich horchte konzentriert auf das leise Geräusch der Dampfmaschinen und stellte fest, dass sie, wie an allen bisherigen Tagen, völlig gleichmäßig liefen.
Passagier verschwunden
Rasch zog ich mich an und machte mich auf zum Speisesaal, wo mich ein ungewöhnlich lautstarkes Gemurmel empfing. Um diese doch für viele Passagiere frühe Stunde war der Speisesaal bereits fast bis auf den letzten Platz voll. Wirklich sehr sonderbar. Es herrschten aufgeregte Gespräche an allen Tischen. Schnurstracks steuerte ich auf meinen Stammplatz zu, wo Babsi, Freddy und Werner schon auf mich warteten. Ohne dass ich fragen musste, wieso die allgemeine Aufregung und was denn Außergewöhnliches passiert sei, sprudelte Werner auch bereits los: „Hast du schon gehört, ein Passagier aus der 1. Klasse ist verschwunden.“
„Woher soll ich denn das wissen? Ich komme gerade aus meiner Kabine und habe auf dem Weg hierher mit niemandem gesprochen.“
„Es handelt sich um einen Diamantenhändler. Man hat inzwischen bereits das gesamte Schiff durchsucht und keine Spur von dem Mann gefunden. So wie es aussieht, war er schon im Laufe des vergangenen Abends offensichtlich über Bord gegangen, denn sein Bett war unbenutzt. Das Schiff fährt jetzt eine Strecke wieder zurück, um nach dem Vermissten zu suchen. Wenn er Glück hat, finden wir ihn noch“, klärte Werner mich auf.
„Ach deshalb ging die Sonne heute auf der falschen Seite auf. Ich hatte mich schon gewundert. Aber solange wir hier am Frühstückstisch sitzen, werden wir ihn bestimmt nicht finden.“ Die Betonung lag auf dem letzten „wir“.
Endlich war wieder etwas los und wir hatten ein Gesprächsthema. Man spekulierte inzwischen überall, ob es ein Unfall war oder vielleicht sogar ein Verbrechen sein könnte. Letzteres wäre natürlich noch spannender gewesen.
Ich beeilte mich mit meinem Frühstück und schlug den anderen vor, nach oben zu gehen. An der Reling vorn und an den Seiten drängten sich bereits die Passagiere, die angestrengt nach dem Vermissten Ausschau hielten. Aber es war nichts zu sehen, bis auf ein paar fliegende Fische. Wir standen eine Weile am hinteren Ende des Schiffes und konnten auch keine im Wasser vorbeitreibende Leiche entdecken, als wir bemerkten, dass das Schiff seine Richtung änderte und wieder auf den alten Kurs nach Süden schwenkte. Der Kapitän hatte mit der Suchaktion seiner Pflicht Genüge getan und setzte jetzt seinen alten Kurs in Richtung Lüderitzbucht fort. Damit war die Sonne wieder auf der richtigen Seite.
Es kam Bewegung in die Menge und die Passagiere diskutierten in kleinen Gruppen, wie es denn möglich sein konnte, dass ein erwachsener Mann völlig unbemerkt auf Nimmerwiedersehen einfach so verschwinden kann. Ich hörte, wie jemand in der Gruppe neben uns sagte, man hätte den Vermissten gestern Abend zuletzt friedlich schlafend in einem Liegestuhl gesehen. Ein anderer wusste zu berichten, es sei ein Geschäftsmann gewesen, der mit Diamanten zu tun hätte. Ich dachte sofort an Julias Mann. Als wir auf unserem Rundgang zum vorderen Teil des Schiffes kamen, blickte ich nach oben zum Deck der 1. Klasse und sah dort zufällig Julia stehen und neben ihr ihren Mann. Sie hatten wohl ebenfalls Ausschau nach dem Vermissten gehalten. Julias Mann war es also nicht, der spurlos verschwunden war und die Aufregung verursacht hatte. Insgeheim dachte ich, schade. Ja, ich weiß, es war ein böser Gedanke, aber ich hätte Julia gern über den Verlust hinweg getröstet.
Diamantenhändler nicht gefunden
Wie es hieß, handelte es sich um einen Diamantenhändler aus Paris, der in Cherbourg zugestiegen war und nach Lüderitzbucht wollte. Von dem Verschwundenen hat man nie wieder etwas gehört. Auch wurden in seiner Kabine trotz gründlicher Suche keinerlei Hinweise gefunden, kein Abschiedsbrief, keine Kampfspuren, keine Unterlagen, die auf ein mögliches Verbrechen hinwiesen, nichts. Es blieb somit offen, ob es ein Unfall, ein Selbstmord oder ein Verbrechen gewesen war. Er war einfach weg und ließ das Rätsel ungelöst. Vielleicht schwamm hinter uns irgendwo ein zufriedener, satter Hai mit einer inzwischen abgelaufenen goldenen Taschenuhr im Magen. Dem war es egal, weshalb ihm da eine zusätzliche Mahlzeit zuteil geworden war.
Letzter Höhepunkt in der 2. Klasse war ein Abschiedsdinner im Beisein des Kapitäns am vorletzten Abend auf See. Der letzte Abend war der 1. Klasse vorbehalten. Leider war zwischenzeitlich kein Wunder geschehen und es gab auf der Windhuk noch immer keine alleinreisenden jungen Damen, die man umwerben konnte, so dass der sich anschließende Tanzabend nur etwas für die gemeinsam reisenden Pärchen war. Wir Junggesellen konnten nur neidisch zusehen und uns dem Alkohol hingeben. Allerdings war das Abschiedsdinner ein wahres Festmahl. Zwar ohne Tischmusik, dafür unterhielt uns anschließend noch einmal Freddy’s Bartrio.
Am Morgen vor unserer Ankunft in Lüderitzbucht suchte ich meine inzwischen in der ganzen Kabine verstreuten Sachen zusammen und kontrollierte, ob auch nichts liegen geblieben war. Nein, es war alles eingepackt.
Plötzlich rief jemand: „Land in Sicht!“ Nach vielen Tagen mit nichts als Wasser vorn, hinten, links und rechts, waren alle glücklich, endlich links vor uns einen dunklen Streifen am Horizont zu sehen. Inzwischen hatte der Wind aus Südwest aufgefrischt und ließ das Schiff leicht schlingern. Das war etwas unangenehm. Deshalb ging ich an Deck, um mir etwas frische Luft um die Nase wehen zu lassen. Ich hatte mit einem lauen Lüftchen gerechnet, aber oben war es wider Erwarten unangenehm kalt. Trotzdem blieb ich an Deck und hielt Ausschau. Wir fuhren stundenlang parallel zu Küste und es dauerte eine ganze Weile, bis der Streifen langsam Konturen annahm, ohne dass jedoch Einzelheiten zu erkennen waren. War dies die Skelettküste? Nein, sagte ein Nachbar neben mir an der Reling. Die Skelettküste ist oberhalb von Swakopmund kahl und wirklich trostlos. Wir sind schon weiter südlich. Erste baumlose Inselchen waren jetzt auszumachen. Nirgends sich im Wind biegende Palmen, nur nackte Felsen. Schlimmer konnte auch die Skelettküste nicht aussehen.
Dann liefen wir langsam zwischen den kahlen Felseninseln in die etwa zwei Kilometer breite Bucht von Lüderitzbucht ein. Als wir im Hafen festmachten, war ich enttäuscht. Auch hier die gleiche karge Landschaft. Nirgends Palmen, praktisch keinerlei subtropische Vegetation! Ich hatte mir das Land ganz anders vorgestellt. Halt mit rauschenden Palmen am weißen Sandstrand, langhalsigen Giraffen, großen Elefanten und bunten Papageien. Aber es war nichts von alledem zu sehen. Die Stadt selbst war von Deck aus gut zu überblicken. Auch sie hatte ich mir größer vorgestellt, aber sie war selbst mit einer Kleinstadt in der Heimat nicht im Geringsten zu vergleichen. Allerdings waren die Häuser im vertrauten deutschen Stil gebaut. Das Stadtbild wurde von einer auf einem Felsen erbauten Kirche beherrscht. Es schien auch einige Fabriken zu geben, denn unweit des Hafens waren dünne Schornsteine mit schwarzen Rauchfahnen zu sehen.
Trotz meiner Enttäuschung war es für mich ein bewegender Augenblick, als ich das erste Mal den Boden eines anderen Kontinents betrat. Es ist wie mit einer neuen Liebe, alles Fremde ist aufregend und geheimnisvoll.
Da wir keinerlei Wetterprobleme auf unserer Reise hatten, kamen wir gut voran und der Kapitän prognostizierte unsere Ankunft in Lüderitzbucht in vier Tagen.
Am nächsten Morgen wurde ich wie gewöhnlich gegen halb 8 Uhr wach. Doch irgendetwas irritierte mich, ohne dass ich im ersten Moment sagen konnte, was das war. Noch schlaftrunken ging ich ins Bad und wusch mich mit kaltem Wasser. Das tat gut und weckte die Lebensgeister. Zurück in der Kabine ging mir ein Licht auf, das heißt, es war heute nicht wie gewohnt aufgegangen. Ich sah durch das Bullauge nach draußen. Wie jeden Morgen klarer blauer Himmel mit einzelnen Schäfchenwolken, aber die Sonne, die mich bisher morgens immer geweckt hatte, war heute nicht an ihrem üblichen Platz auf der linken Seite zu finden. Dafür warf das Schiff auf meiner Seite einen langen Schatten. Ich schloss messerscharf, an der Sonne konnte es nicht liegen, also hatten wir unseren Kurs total geändert und fuhren zurück. Aber warum? Was war los? Meine Gedanken überschlugen sich. Wo wollte der Kapitän hin? Hatten wir Probleme mit dem Schiff? Bestand etwa die Gefahr, dass das Schiff sinken könnte? War der Kapitän deshalb umgekehrt? Das ergab allerdings keinen Sinn, denn dann wäre die Rückfahrt nach Las Palmas länger als die restliche Strecke bis Lüderitzbucht. Oder tobte voraus auf unserer Route etwa ein fürchterlicher Sturm? Wo war eigentlich meine Rettungsweste?
Ich horchte konzentriert auf das leise Geräusch der Dampfmaschinen und stellte fest, dass sie, wie an allen bisherigen Tagen, völlig gleichmäßig liefen.
Passagier verschwunden
Rasch zog ich mich an und machte mich auf zum Speisesaal, wo mich ein ungewöhnlich lautstarkes Gemurmel empfing. Um diese doch für viele Passagiere frühe Stunde war der Speisesaal bereits fast bis auf den letzten Platz voll. Wirklich sehr sonderbar. Es herrschten aufgeregte Gespräche an allen Tischen. Schnurstracks steuerte ich auf meinen Stammplatz zu, wo Babsi, Freddy und Werner schon auf mich warteten. Ohne dass ich fragen musste, wieso die allgemeine Aufregung und was denn Außergewöhnliches passiert sei, sprudelte Werner auch bereits los: „Hast du schon gehört, ein Passagier aus der 1. Klasse ist verschwunden.“
„Woher soll ich denn das wissen? Ich komme gerade aus meiner Kabine und habe auf dem Weg hierher mit niemandem gesprochen.“
„Es handelt sich um einen Diamantenhändler. Man hat inzwischen bereits das gesamte Schiff durchsucht und keine Spur von dem Mann gefunden. So wie es aussieht, war er schon im Laufe des vergangenen Abends offensichtlich über Bord gegangen, denn sein Bett war unbenutzt. Das Schiff fährt jetzt eine Strecke wieder zurück, um nach dem Vermissten zu suchen. Wenn er Glück hat, finden wir ihn noch“, klärte Werner mich auf.
„Ach deshalb ging die Sonne heute auf der falschen Seite auf. Ich hatte mich schon gewundert. Aber solange wir hier am Frühstückstisch sitzen, werden wir ihn bestimmt nicht finden.“ Die Betonung lag auf dem letzten „wir“.
Endlich war wieder etwas los und wir hatten ein Gesprächsthema. Man spekulierte inzwischen überall, ob es ein Unfall war oder vielleicht sogar ein Verbrechen sein könnte. Letzteres wäre natürlich noch spannender gewesen.
Ich beeilte mich mit meinem Frühstück und schlug den anderen vor, nach oben zu gehen. An der Reling vorn und an den Seiten drängten sich bereits die Passagiere, die angestrengt nach dem Vermissten Ausschau hielten. Aber es war nichts zu sehen, bis auf ein paar fliegende Fische. Wir standen eine Weile am hinteren Ende des Schiffes und konnten auch keine im Wasser vorbeitreibende Leiche entdecken, als wir bemerkten, dass das Schiff seine Richtung änderte und wieder auf den alten Kurs nach Süden schwenkte. Der Kapitän hatte mit der Suchaktion seiner Pflicht Genüge getan und setzte jetzt seinen alten Kurs in Richtung Lüderitzbucht fort. Damit war die Sonne wieder auf der richtigen Seite.
Es kam Bewegung in die Menge und die Passagiere diskutierten in kleinen Gruppen, wie es denn möglich sein konnte, dass ein erwachsener Mann völlig unbemerkt auf Nimmerwiedersehen einfach so verschwinden kann. Ich hörte, wie jemand in der Gruppe neben uns sagte, man hätte den Vermissten gestern Abend zuletzt friedlich schlafend in einem Liegestuhl gesehen. Ein anderer wusste zu berichten, es sei ein Geschäftsmann gewesen, der mit Diamanten zu tun hätte. Ich dachte sofort an Julias Mann. Als wir auf unserem Rundgang zum vorderen Teil des Schiffes kamen, blickte ich nach oben zum Deck der 1. Klasse und sah dort zufällig Julia stehen und neben ihr ihren Mann. Sie hatten wohl ebenfalls Ausschau nach dem Vermissten gehalten. Julias Mann war es also nicht, der spurlos verschwunden war und die Aufregung verursacht hatte. Insgeheim dachte ich, schade. Ja, ich weiß, es war ein böser Gedanke, aber ich hätte Julia gern über den Verlust hinweg getröstet.
Diamantenhändler nicht gefunden
Wie es hieß, handelte es sich um einen Diamantenhändler aus Paris, der in Cherbourg zugestiegen war und nach Lüderitzbucht wollte. Von dem Verschwundenen hat man nie wieder etwas gehört. Auch wurden in seiner Kabine trotz gründlicher Suche keinerlei Hinweise gefunden, kein Abschiedsbrief, keine Kampfspuren, keine Unterlagen, die auf ein mögliches Verbrechen hinwiesen, nichts. Es blieb somit offen, ob es ein Unfall, ein Selbstmord oder ein Verbrechen gewesen war. Er war einfach weg und ließ das Rätsel ungelöst. Vielleicht schwamm hinter uns irgendwo ein zufriedener, satter Hai mit einer inzwischen abgelaufenen goldenen Taschenuhr im Magen. Dem war es egal, weshalb ihm da eine zusätzliche Mahlzeit zuteil geworden war.
Letzter Höhepunkt in der 2. Klasse war ein Abschiedsdinner im Beisein des Kapitäns am vorletzten Abend auf See. Der letzte Abend war der 1. Klasse vorbehalten. Leider war zwischenzeitlich kein Wunder geschehen und es gab auf der Windhuk noch immer keine alleinreisenden jungen Damen, die man umwerben konnte, so dass der sich anschließende Tanzabend nur etwas für die gemeinsam reisenden Pärchen war. Wir Junggesellen konnten nur neidisch zusehen und uns dem Alkohol hingeben. Allerdings war das Abschiedsdinner ein wahres Festmahl. Zwar ohne Tischmusik, dafür unterhielt uns anschließend noch einmal Freddy’s Bartrio.
Am Morgen vor unserer Ankunft in Lüderitzbucht suchte ich meine inzwischen in der ganzen Kabine verstreuten Sachen zusammen und kontrollierte, ob auch nichts liegen geblieben war. Nein, es war alles eingepackt.
Plötzlich rief jemand: „Land in Sicht!“ Nach vielen Tagen mit nichts als Wasser vorn, hinten, links und rechts, waren alle glücklich, endlich links vor uns einen dunklen Streifen am Horizont zu sehen. Inzwischen hatte der Wind aus Südwest aufgefrischt und ließ das Schiff leicht schlingern. Das war etwas unangenehm. Deshalb ging ich an Deck, um mir etwas frische Luft um die Nase wehen zu lassen. Ich hatte mit einem lauen Lüftchen gerechnet, aber oben war es wider Erwarten unangenehm kalt. Trotzdem blieb ich an Deck und hielt Ausschau. Wir fuhren stundenlang parallel zu Küste und es dauerte eine ganze Weile, bis der Streifen langsam Konturen annahm, ohne dass jedoch Einzelheiten zu erkennen waren. War dies die Skelettküste? Nein, sagte ein Nachbar neben mir an der Reling. Die Skelettküste ist oberhalb von Swakopmund kahl und wirklich trostlos. Wir sind schon weiter südlich. Erste baumlose Inselchen waren jetzt auszumachen. Nirgends sich im Wind biegende Palmen, nur nackte Felsen. Schlimmer konnte auch die Skelettküste nicht aussehen.
Dann liefen wir langsam zwischen den kahlen Felseninseln in die etwa zwei Kilometer breite Bucht von Lüderitzbucht ein. Als wir im Hafen festmachten, war ich enttäuscht. Auch hier die gleiche karge Landschaft. Nirgends Palmen, praktisch keinerlei subtropische Vegetation! Ich hatte mir das Land ganz anders vorgestellt. Halt mit rauschenden Palmen am weißen Sandstrand, langhalsigen Giraffen, großen Elefanten und bunten Papageien. Aber es war nichts von alledem zu sehen. Die Stadt selbst war von Deck aus gut zu überblicken. Auch sie hatte ich mir größer vorgestellt, aber sie war selbst mit einer Kleinstadt in der Heimat nicht im Geringsten zu vergleichen. Allerdings waren die Häuser im vertrauten deutschen Stil gebaut. Das Stadtbild wurde von einer auf einem Felsen erbauten Kirche beherrscht. Es schien auch einige Fabriken zu geben, denn unweit des Hafens waren dünne Schornsteine mit schwarzen Rauchfahnen zu sehen.
Trotz meiner Enttäuschung war es für mich ein bewegender Augenblick, als ich das erste Mal den Boden eines anderen Kontinents betrat. Es ist wie mit einer neuen Liebe, alles Fremde ist aufregend und geheimnisvoll.
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Allgemeine Zeitung
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