Jungen sind besser in Mathe – aber erst in der Schule
Mädchen sind schlechter in Mathe als Jungen. Oder nicht? Eine Studie aus Frankreich legt nahe, dass dieser Unterschied erst in der Schule entsteht – und zwar nicht aufgrund biologischer Veranlagung, sondern aufgrund eines Schulumfelds, das genau das suggeriert.
Von Katharina Moser, Windhoek
Jungen sind gut in Mathe, Mädchen besser in künstlerischen Bereichen – das ist ein Stereotyp, mit dem jeder Schüler und jede Schülerin zur Schulzeit konfrontiert war. Dabei ist es statistisch richtig, dass Jungen überall auf der Welt im Teenageralter bei Mathematiktests besser abschneiden als Mädchen, und Männer mit größerer Wahrscheinlichkeit ähnliche Berufe ergreifen. Und das, obwohl Jungen im Kleinkindalter kein besseres Gefühl für Zahlen oder ein besseres Verständnis für Logik haben als Mädchen.
Eine groß angelegte Studie aus Frankreich, die am 11. Juni im Magazin Nature erschien, bekräftigt nun, dass Jungen erst nach dem Schulstart besser in Mathe sind als Mädchen – und zeigen einen konkreten Zeitpunkt auf, an dem sich dieser Unterschied abzeichnet. Jungen und Mädchen erzielen demnach zu Beginn der Schulzeit ähnliche Ergebnisse in Mathematik, aber schon nach vier Monaten liegen die Jungen vor den Mädchen. Das berichtet Nature. Ein noch dramatischerer Unterschied in den mathematischen Leistungen zeigt sich nach 12 Monaten Schulzeit, so die Analyse. „Diese Studie deutet darauf hin, dass die geschlechtsspezifischen Unterschiede in den Mathematikleistungen von Kindern weder angeboren noch unvermeidlich sind“, sagt die Psychologin Jillian Lauer von der Universität Cambridge, UK, gegenüber Nature in einem Bericht der Journalistin Celeste Biever. „Wenn wir verhindern wollen, dass Mädchen zurückbleiben, müssen wir uns auf ihre frühen Erfahrungen in der Schule konzentrieren.“
Die jüngste Studie des Wissenschaftlerteams um Pauline Martinot von der Université Paris Cité ist laut Nature umfassender als frühere Studien, in denen ein ähnliches Geschlechtergefälle im ersten Schuljahr festgestellt wurde. Sie umfasse vier Kohorten: alle Kinder, die 2018, 2019, 2020 oder 2021 in Frankreich in die erste Klasse kamen. Das seien fast drei Millionen Fünf-, Sechs- und Siebenjährige. Die Studie bestätige die Ergebnisse für das gesamte Land: Die Kluft sei in allen Kohorten, sozioökonomischen Gruppen, Regionen Frankreichs und Schultypen zu beobachten. Die Studie nutze die Möglichkeiten von Big Data, um zu zeigen, dass nicht das Alter, sondern der Beginn der formalen Bildung der Auslöser für den Unterschied sei.
Das Fehlen von durchschnittlichen Unterschieden zwischen den Leistungen von Jungen und Mädchen zu Beginn des ersten Schuljahres deute darauf hin, dass die Ursachen eher in der Umgebung lägen, die die Kinder bei der Einschulung erlebten, als in angeborenen Unterschieden bei Interesse oder Fähigkeiten, so die Forscher. „Es könnte einen biologischen Faktor geben, den wir nicht eindeutig mit Mathematik oder räumlichem Denken in Verbindung bringen konnten“, sagt Lauer gegenüber Nature. „Aber diese Studie deutet darauf hin, dass die Erfahrungen, die Kinder mit der Welt machen, wichtiger sind als alles andere.“
Besonders das Aufzeigen eines Zeitpunkts, an dem Geschlechtsunterschiede entstehen, stelle einen wichtigen Beitrag zur Forschung zur Entwicklung von Geschlechtsunterschieden dar, sagt derweil Lena Keller vom Institut für Pädagogisch-Psychologische Lehr- und Lernforschung der Universität Kiel über die Studie gegenüber dem Spiegel. „Ein möglicher Erklärungsansatz ist, dass Mädchen und Jungen in der Schule nicht nur Mathematik lernen, sondern auch mit gesellschaftlichen Erwartungen und Rollenbildern konfrontiert werden“, so Keller demnach. „Mathematik wird nach wie vor eher mit Jungen assoziiert.“
Lehrkräfte könnten Keller zufolge zur Verfestigung solcher geschlechtsspezifischen Muster beitragen. Eine aktuelle Studie aus Deutschland zeige, dass Lehrkräfte in der 1. und 2. Klasse höhere Erwartungen an Jungen als an Mädchen in Mathematik stellten. „Je stärker Lehrkräfte traditionelle Geschlechterstereotype vertraten, desto stärker unterschätzen sie die Mathematikleistungen von Mädchen.“ Lehrerinnen und Lehrer beurteilen demnach die Fähigkeiten von Mädchen im Bereich Sprache und von Jungen in Mathematik tendenziell besser, als es die tatsächlichen Leistungen der Kinder in Tests nahelegen, fasst der Spiegel zusammen. Verzerrungen bei der Bewertung von Grundschulkindern hingen systematisch mit dem Geschlecht der Schülerinnen und Schüler zusammen, teilte die Martin-Luther-Universität Halle mit. „Im Bereich Sprache werden die Fähigkeiten der Mädchen eher überschätzt und die der Jungen unterschätzt, in der Mathematik ist es genau umgekehrt“, sagte Melanie Olczyk vom Institut für Soziologie dem Magazin. Die verzerrten Urteile der Lehrkräfte wirkten sich auch langfristig auf die Leistungsunterschiede zwischen Mädchen und Jungen aus.
Das Studienteam geht davon aus, dass Grundschullehrkräfte auf diese Weise zu den Unterschieden in der Matheleistung beitragen, zum Beispiel, wenn sie mit Jungen und Mädchen unterschiedlich interagieren oder den mathematischen Erfolg von Jungen eher ihrer höheren Intelligenz und jenen von Mädchen eher ihrem größeren Fleiß zuschreiben. „Diese Annahmen können das Vertrauen der Mädchen in ihre Fähigkeit, Mathematik zu lernen, untergraben“, so Keller im Spiegel.
Die Autoren der Studie aus Frankreich machen eine Reihe von Vorschlägen, um die Unterschiede zu verringern. Dazu gehören die Unterstützung von Kindern, um Ängste im Zusammenhang mit Mathematik abzubauen, die Ermutigung von Lehrern, dass Mädchen genauso oft wie Jungen am Unterricht teilnehmen, und die Förderung von Neugier und Problemlösung außerhalb des Klassenzimmers. „Ethisch gesehen können wir angesichts dieser Ergebnisse nicht einfach nichts tun“, so die Studienautorin und Neurowissenschaftlerin Martinot gegenüber Nature.
Jungen sind gut in Mathe, Mädchen besser in künstlerischen Bereichen – das ist ein Stereotyp, mit dem jeder Schüler und jede Schülerin zur Schulzeit konfrontiert war. Dabei ist es statistisch richtig, dass Jungen überall auf der Welt im Teenageralter bei Mathematiktests besser abschneiden als Mädchen, und Männer mit größerer Wahrscheinlichkeit ähnliche Berufe ergreifen. Und das, obwohl Jungen im Kleinkindalter kein besseres Gefühl für Zahlen oder ein besseres Verständnis für Logik haben als Mädchen.
Eine groß angelegte Studie aus Frankreich, die am 11. Juni im Magazin Nature erschien, bekräftigt nun, dass Jungen erst nach dem Schulstart besser in Mathe sind als Mädchen – und zeigen einen konkreten Zeitpunkt auf, an dem sich dieser Unterschied abzeichnet. Jungen und Mädchen erzielen demnach zu Beginn der Schulzeit ähnliche Ergebnisse in Mathematik, aber schon nach vier Monaten liegen die Jungen vor den Mädchen. Das berichtet Nature. Ein noch dramatischerer Unterschied in den mathematischen Leistungen zeigt sich nach 12 Monaten Schulzeit, so die Analyse. „Diese Studie deutet darauf hin, dass die geschlechtsspezifischen Unterschiede in den Mathematikleistungen von Kindern weder angeboren noch unvermeidlich sind“, sagt die Psychologin Jillian Lauer von der Universität Cambridge, UK, gegenüber Nature in einem Bericht der Journalistin Celeste Biever. „Wenn wir verhindern wollen, dass Mädchen zurückbleiben, müssen wir uns auf ihre frühen Erfahrungen in der Schule konzentrieren.“
Die jüngste Studie des Wissenschaftlerteams um Pauline Martinot von der Université Paris Cité ist laut Nature umfassender als frühere Studien, in denen ein ähnliches Geschlechtergefälle im ersten Schuljahr festgestellt wurde. Sie umfasse vier Kohorten: alle Kinder, die 2018, 2019, 2020 oder 2021 in Frankreich in die erste Klasse kamen. Das seien fast drei Millionen Fünf-, Sechs- und Siebenjährige. Die Studie bestätige die Ergebnisse für das gesamte Land: Die Kluft sei in allen Kohorten, sozioökonomischen Gruppen, Regionen Frankreichs und Schultypen zu beobachten. Die Studie nutze die Möglichkeiten von Big Data, um zu zeigen, dass nicht das Alter, sondern der Beginn der formalen Bildung der Auslöser für den Unterschied sei.
Das Fehlen von durchschnittlichen Unterschieden zwischen den Leistungen von Jungen und Mädchen zu Beginn des ersten Schuljahres deute darauf hin, dass die Ursachen eher in der Umgebung lägen, die die Kinder bei der Einschulung erlebten, als in angeborenen Unterschieden bei Interesse oder Fähigkeiten, so die Forscher. „Es könnte einen biologischen Faktor geben, den wir nicht eindeutig mit Mathematik oder räumlichem Denken in Verbindung bringen konnten“, sagt Lauer gegenüber Nature. „Aber diese Studie deutet darauf hin, dass die Erfahrungen, die Kinder mit der Welt machen, wichtiger sind als alles andere.“
Besonders das Aufzeigen eines Zeitpunkts, an dem Geschlechtsunterschiede entstehen, stelle einen wichtigen Beitrag zur Forschung zur Entwicklung von Geschlechtsunterschieden dar, sagt derweil Lena Keller vom Institut für Pädagogisch-Psychologische Lehr- und Lernforschung der Universität Kiel über die Studie gegenüber dem Spiegel. „Ein möglicher Erklärungsansatz ist, dass Mädchen und Jungen in der Schule nicht nur Mathematik lernen, sondern auch mit gesellschaftlichen Erwartungen und Rollenbildern konfrontiert werden“, so Keller demnach. „Mathematik wird nach wie vor eher mit Jungen assoziiert.“
Lehrkräfte könnten Keller zufolge zur Verfestigung solcher geschlechtsspezifischen Muster beitragen. Eine aktuelle Studie aus Deutschland zeige, dass Lehrkräfte in der 1. und 2. Klasse höhere Erwartungen an Jungen als an Mädchen in Mathematik stellten. „Je stärker Lehrkräfte traditionelle Geschlechterstereotype vertraten, desto stärker unterschätzen sie die Mathematikleistungen von Mädchen.“ Lehrerinnen und Lehrer beurteilen demnach die Fähigkeiten von Mädchen im Bereich Sprache und von Jungen in Mathematik tendenziell besser, als es die tatsächlichen Leistungen der Kinder in Tests nahelegen, fasst der Spiegel zusammen. Verzerrungen bei der Bewertung von Grundschulkindern hingen systematisch mit dem Geschlecht der Schülerinnen und Schüler zusammen, teilte die Martin-Luther-Universität Halle mit. „Im Bereich Sprache werden die Fähigkeiten der Mädchen eher überschätzt und die der Jungen unterschätzt, in der Mathematik ist es genau umgekehrt“, sagte Melanie Olczyk vom Institut für Soziologie dem Magazin. Die verzerrten Urteile der Lehrkräfte wirkten sich auch langfristig auf die Leistungsunterschiede zwischen Mädchen und Jungen aus.
Das Studienteam geht davon aus, dass Grundschullehrkräfte auf diese Weise zu den Unterschieden in der Matheleistung beitragen, zum Beispiel, wenn sie mit Jungen und Mädchen unterschiedlich interagieren oder den mathematischen Erfolg von Jungen eher ihrer höheren Intelligenz und jenen von Mädchen eher ihrem größeren Fleiß zuschreiben. „Diese Annahmen können das Vertrauen der Mädchen in ihre Fähigkeit, Mathematik zu lernen, untergraben“, so Keller im Spiegel.
Die Autoren der Studie aus Frankreich machen eine Reihe von Vorschlägen, um die Unterschiede zu verringern. Dazu gehören die Unterstützung von Kindern, um Ängste im Zusammenhang mit Mathematik abzubauen, die Ermutigung von Lehrern, dass Mädchen genauso oft wie Jungen am Unterricht teilnehmen, und die Förderung von Neugier und Problemlösung außerhalb des Klassenzimmers. „Ethisch gesehen können wir angesichts dieser Ergebnisse nicht einfach nichts tun“, so die Studienautorin und Neurowissenschaftlerin Martinot gegenüber Nature.
Kommentar
Allgemeine Zeitung
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