Zerrissene Identität

Erziehung und Bildung in der DDR – das jähe Ende einer Ausbildung zur Führungselite
Katja von Blottnitz
Von Katja von Blottnitz, Windhoek

Die damals dreijährige Nali Conrad kam gemeinsam mit einigen anderen Kindern nach Bellin im Osten Deutschlands. Auch Nangula Costa war unter dieser Gruppe Kinder. In dem Kinderheim Bellin wurden sie zunächst nach Größe und Gewicht in Gruppen aufgeteilt. Die kleine Nali kam in Gruppe 1, die kleinsten Kinder von allen. Unter denjenigen, die in die DDR gebracht wurden, waren nicht nur Kinder, die ihre Eltern im Angriff auf Cassinga verloren hatten. Und es waren nicht nur Kinder aus dem Flüchtlingslager Cassinga, sondern noch anderen wie z.B. Lubango. Nali denkt aber, dass sie aus Cassinga kommt, weiß es jedoch nicht mit Sicherheit. Ihre Mutter durfte mitkommen. Sie hatte Glück: Sie war eine von den wenigen Müttern, die ihre Kinder begleiten konnten. Aber sie sollten nicht bei ihren Kindern bleiben. Die Erwachsenen sollten nur etwa zwei Jahre in der DDR bleiben und zu Erziehern ausgebildet werden, damit sie die in Namibia gebliebenen Kinder erziehen konnten.

Aufwachsen in einem Schloss

„Für mich war es eine sehr schöne Kindheit. Es hätte nicht besser sein können. Es war sehr idyllisch und für uns war es einfach toll, in einem Schloss groß zu werden“, erinnert sich Costa, als sie vor Kurzem das heutige Jagdschloss Bellin wiedersehen durfte. Gemeinsam mit einer Gruppe namibischer Journalistinnen war sie auf den Spuren der „DDR-Kinder von Namibia“ unterwegs. Auch Conrad erinnert sich an eine schöne Kindheit in Bellin. „Wir waren behütet und die Leute haben sich um uns gekümmert. Die andere Option wäre im Krieg aufzuwachsen“. So streng und überwacht, wie die Zeit und Erziehung in Bellin häufig dargestellt wird, war sie laut Costa und Conrad gar nicht. „Sie nannten es Schutzausbildung, aber eigentlich war es nichts anderes als Scouts“, meint Nangula. Der riesige Garten war für sie ein Spielgelände. In dem dreistöckigen Schloss waren zeitgleich immer etwa 90 Kinder und Erzieher untergebracht. In den Räumen im Keller machten sie Hausaufgaben. Dort sind auch heute noch drei Bilder an den Wänden, die die Kinder gemalt haben und Namibia so darstellen, wie sie es sich durch Erzählungen der Erzieher vorgestellt hatten. Tropische Palmen, Urwald oder mit Schnee bedeckte Berggipfel zeigen, wie weit entfernt sie doch von der Wirklichkeit waren. Die eigene Erinnerung an das Heimatland war nicht präsent. Traditionelle Tänze vorführen oder den SWAPO-Gruß machen, mussten sie nur dann, wenn hoher Besuch aus Namibia kam.

Herkunft nicht vergessen

Im Kinderheim Bellin verbrachten die Kinder die ersten Jahre. Auch als sie in der ersten bis vierten Klasse in Zehna zur Schule gingen, wohnten sie noch in Bellin. Danach mussten sie nach Staßfurt ins Heim umziehen. In der fünften und sechsten Klasse gingen sie zwar in Löderburg in die Schule, wohnten aber im Heim in Staßfurt. Die Orte liegen jeweils in einem Umkreis von etwa 10 km. Ab der siebten Klasse wurden die Kinder in Staßfurt an der „Schule der Freundschaft“ unterrichtet. Der ehemalige Lehrer der namibischen Kinder, Bernd Kaden, erinnert sich an eine tolle Zeit. „Es war schön mit den namibischen Kindern. Sie waren wissbegierig, lebhaft und freundlich.“ Auch andere damalige Lehrer erinnern sich gern an die Zeit mit den Kindern aus Namibia zurück und erzählen Anekdoten. Der ostdeutsche Lehrplan musste in manchen Fächern angepasst werden, denn: Die Kinder sollten ihre afrikanische Herkunft nicht vergessen. Sollten sie doch als Erwachsene zurück nach Namibia. Doch die Rückreise kam schneller als geplant.

Das plötzliche Ende

Mit der Wiedervereinigung in Deutschland und der Unabhängigkeit Namibias 1990 kam das Projekt „Schule der Freundschaft“ zu einem plötzlichen Ende. Bis heute weiß keiner genau, was die ausschlaggebenden Gründe waren; man könne nur spekulieren. Viele der ehemaligen Lehrer aus Staßfurt sind sich jedoch einig, dass das Projekt beendet werden musste, weil es für die „neue deutsche Regierung“ keine Priorität mehr hatte und es daher auch nicht mehr finanziert werden sollte. „Keiner wollte nach der Wende noch etwas mit dem Kommunismus zu tun haben und die ‚Schule der Freundschaft‘ war nun einmal ein kommunistisches Projekt“, erklärt Lehrer Kaden die damalige Situation, die sich bis heute gehalten hat. Ursprünglich sollten alle Schüler noch die neunte Klasse beenden und dann nach Namibia zurückkehren. Sie hätten dann zwar noch immer keinen Abschluss gehabt, hätten aber zumindest nicht über Nacht ausreisen müssen. Doch während der Sommerferien 1990 wurde dann die Entscheidung getroffen: Alle Kinder müssen zurück. Höchstens drei Wochen hatten Lehrer sowie Schüler, um sich auf ihre Heimkehr vorzubereiten. „Keiner freute sich auf Namibia. Es war bis dahin nicht unsere Heimat. Wir wussten nicht, wie es in Namibia sein würde oder wo wir wohnen würden“, erinnert sich Conrad. Die plötzliche Existenzangst konnten auch die Lehrer ihnen nicht nehmen.

Die neue alte Heimat

Immer nachts wurden die Kinder heimlich nach Frankfurt gebracht und nach Namibia geflogen. Dort angekommen wurden sie zu einer Schule in Khomasdal, Windhoek, gebracht, wo ihre Eltern sie abholen sollten. 50 N$ und eine Decke hatte man jedem zum Anfang gegeben. Weil aber viele der Eltern entweder verstorben waren oder erst sehr spät über das Radio von der Ankunft hörten, mussten viele Kinder lange dort warten. „Ich denke, ich war ein bis zwei Monate dort, bevor ich abgeholt wurde. Wir bekamen aber in der Zeit Englisch-Unterricht und gingen auf eine Namibiareise“, erzählt Conrad, die zu dem Zeitpunkt 14 Jahre alt war. „Viele der Kinder, vor allem von den Kleineren, gingen in der Zeit mit Fremden mit, die sich als ihre Eltern ausgaben, aber eigentlich nur an dem Geld und der Decke interessiert waren. Die Kinder wurden hinter der nächsten Ecke zurückgelassen“, meint sie weiter. Die deutschsprachige Gemeinde in Namibia hätte sich aber vieler Kinder angenommen, da sie fließend Deutsch sprechen konnten. Conrad und Costa können bis heute nicht verstehen, warum sie von der SWAPO-Regierung so vernachlässigt wurden, als sie aus der DDR zurückkamen. „Irgendwann kam eine Psychologin aus Hamburg, die dann für uns verantwortlich war und sich um uns gekümmert hat, wenn es Probleme in der Schule oder mit Mitschülern gab. Ich glaube, sie blieb insgesamt sieben Jahre – bis alle aus der Schule waren“, berichtet Costa.

Bis heute haben die meisten der „DDR-Kinder von Namibia“ Kontakt miteinander. „Die meisten von uns haben es geschafft, ihren Weg zu finden. Nur wenige sind auf die verkehrte Bahn geraten“. So sind sich Conrad und Costa einig. Conrad lebt heute in Deutschland, denn sie ist, wie viele andere auch, nach dem Schulabschluss in Namibia nach Deutschland zurückgekehrt. Jeder ist seinen eigenen Weg gegangen, aber zur Führungselite des Landes wurden die meisten nicht. Erfolgreich sind viele dennoch – als Rechtsanwalt, Krankenschwester oder Verantwortliche in der Personalabteilung beispielsweise.

Die Reise

1979 – Ankunft der ersten Kinder in der DDR

1986-1990 – „Schule der Freundschaft“ in Staßfurt

1990 – Rückkehr nach Namibia

Kommentar

Allgemeine Zeitung 2024-03-28

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