Zarter Teenie, starke Stimme

Von Undine Konrad, Windhoek
Diesen Moment hat Nadine Baas für ewig gespeichert: Im August vergangenen Jahres übernachtet sie bei einer Freundin und wird am Morgen von Mutti Anke abgeholt. Nadine ist noch nicht ganz wach. Doch eines wundert sie: „Meine Mutti hatte dieses Riesengrinsen im Gesicht“, erinnert sich die heute 13-Jährige: Die Sat.1-Castingshow „The Voice Kids“ hatte sich gemeldet und Nadine nach Deutschland eingeladen. „Ich habe erstmal angefangen zu schreien“, erzählt Nadine und lacht: „Dann war ich nicht mehr müde.“ Als sie ihre Bewerbung mit eigenem Video im Mai oder Juni - das wiederum weiß sie nicht mehr so genau - abschickte, hatte sie sich wenig Hoffnung auf eine Antwort gemacht. Bei „Deutschland sucht den Superstar“ war sie nicht genommen worden.
Ein dreiviertel Jahr später, also jetzt, ist das namibische Gesangstalent bereits vier Mal von Windhoek nach Deutschland geflogen. In das Land, aus dem ihr Urgroßvater einst nach Afrika auswanderte. Und: Eben dort hat sie inzwischen unzählige Vorauswahlrunden gemeistert. Immer wieder hieß es Vorsingen - und Warten. Schon jetzt hat sie es unter die 45 letzten Besten geschafft. 45 aus 8000 Bewerbern. Dem Sieger der Castingshow winken 15000 Euro für die weitere musikalische Ausbildung und - wenn die Eltern zustimmen - ein Plattenvertrag.
Woher sie das musikalische Talent hat, gibt ihrer Familie Rätsel auf. Gut, ihr Opa sang ein bisschen und spielte Mundharmonika. „Aber ansonsten sind eher alle sportlich veranlagt“, sagt Nadine. Vermutlich gerade deshalb fiel auch früh ihre Begabung auf. Mutti Anke Baas erzählt: „Sie hat schon bei ,Alle meine Entchen´ auf Anhieb alle Töne getroffen.“ Seitdem trällert sie eigentlich ständig. „Wenn ich singe, bin ich ein anderer Mensch“, verrät sie. Dann sind alle anderen - gerade auch negative - Emotionen verschwunden, es gibt nur die Musik.
Oft wird der zarte Teenager nach Vorbildern gefragt. Helene Fischer ist eines, Miley Cyrus ein anderes. Doch Nadine Baas sucht ihren eigenen musikalischen Weg. Sie spielt Klavier, Block-, Alt- und Querflöte sowie Gitarre. Zweimal pro Woche nimmt sie klassischen Gesangsunterricht. Beim College of Arts legt sie regelmäßig die Trinity College London-Prüfungen ab. Werden Workshops angeboten, etwa zum Liedtexten, verpasst sie auch diese nach Möglichkeit nicht. „Es ist schwer, jemanden zu finden, der einem Lieder schreibt“, sagt sie. „Also arbeite ich selbst daran.“
Nadine strahlt, wenn sie über die Tage bei Sat.1 in Berlin-Adlershof erzählt. Zweifellos: Sie ist die Kandidatin mit der weitesten Anreise. Doch als Exotin aus Afrika kommt sie sich nicht vor. Durch die blonden Haare und ihr Hochdeutsch fällt sie viel weniger auf als etwa Teilnehmer aus Italien, Mallorca, Fuerteventura und England, erzählt Mutti Anke Baas, die ihre Tochter stets begleitet und selbst nur staunen kann über sie. Je größer das Publikum, desto wohler fühlt sich Nadine. Sie genießt die Erfahrung, unter Gleichgesinnten zu sein, sich an ihnen zu messen und dazuzulernen. „Durch die Arbeit mit den Stimmtrainern ist meine Stimme schon viel stärker geworden“, berichtet sie. „Ich habe mir Stile und Techniken bei anderen abschauen können.“
Neid oder Ellenbogen unter den Kindern und Jugendlichen gäbe es kaum. „Bei einzelnen denkt man: Du könntest ein bisschen freundlicher sein. Aber eigentlich sind wir alle Freunde, schicken uns auch zwischen den Shows ständig Handy-Nachrichten.“ Konkurrenz-Denken komme eher bei manchen Eltern durch. Außerdem schwärmt Nadine von der Betreuung vor Ort. „Die sind alle so lieb“, sagt sie. Immer ist ein Kinderpsychologe anwesend, der die jungen Teilnehmer genau beobachtet und bei kleinsten Anzeichen sofort auf sie eingeht, erst recht, wenn einer ausscheidet.
Für Nadine ist es bei Weitem nicht das erste Wettkampf-Erlebnis. Sie wurden schon für den Namibischen Musikpreis (NAMA) nominiert. Mehrfach nahm sie bereits am Wettbewerb des Namibischen Verbandes für Talent, Modelling und Unterhaltung (NATME) teil. 2010 qualifizierte sie sich im Singen und nahm anschließend sogar an der Weltmeisterschaft der Darstellenden Künste in Los Angeles teil. Mit zwei Silber- und zwei Bronzemedaillen flog sie nach Hause: Vier Auszeichnungen für fünf Lieder.
Voriges Jahr wurde sie Little Miss Namibia. Allein wegen „The Voice Kids“ setzt sie dieses Jahr mal aus. Nur auf Auftritte will sie nicht verzichten. Was sie sehr freut: Zunehmend wird sie auch für Taufen, Hochzeiten und andere Feiern gebucht. Doch das aktuelle Pensum ist enorm. Denn da ist auch noch das zweite - und eigentliche - Leben als Schülerin der 8. Klasse an der Deutschen Höheren Privatschule Windhoek. Dass die Zensuren bei so viel Engagement für die Musik leiden könnten, steht allerdings nicht zu befürchten: Nadine ist Klassenbeste. Nach dem Abitur will sie etwas Solides studieren, wahrscheinlich Medizin. Ein Plan B, „falls es mit der Musik nicht klappt“.
Aber vorerst bleibt das Singen im Mittelpunkt. Am 2. Mai um 19.15 Uhr (namibische Zeit) hat sie nun ihre erste „Schlacht“ (Battle) auf Sat.1 vor sich. Dann wird sie mit zwei anderen Kandidaten einen Titel singen, der auch gemeinsam einstudiert wird. Unter den dreien wird dann ausgesiebt, einer muss gehen. Ihre große Hoffnung ist, dass sie einen flotten, modernen Song erwischt, der zu ihr passt, der er liegt. Doch wie immer „The Voice Kids“ auch für sie ausgeht: „Ich würde es immer wieder machen“, sagt sie. „Es ist so lehrreich und ich habe wertvolle Kontakte aufgebaut.“