"Wir müssen Prioritäten setzen"

Sie ist für Namibia eine Art Konflikt-Managerin. Ombudsfrau Bience Gawanas untersucht Beschwerden von Bürgern, die ihre in der Verfassung garantierten Rechte und Freiheiten verletzt sehen. "Vieles hat sich zum Positiven gewandelt - aber es gibt noch viel zu tun", bilanziert Bience Gawanas im Gespräch mit Timon Müller.

AZ: Welche neuen Trends haben sich im vergangenen Jahr abgezeichnet?


Bience Gawanas: Immer mehr Beschwerden betreffen die Arbeitswelt. Arbeitnehmer beklagen sich, Jobs würden über Seilschaften vergeben. Ein weiterer Schwerpunkt sind Beschwerden der Buschleute gewesen. Immer mehr San-Gruppen sprechen bei uns vor, die sich in ihrer traditionellen Lebensweise eingeschränkt sehen. Generell zeichnet sich die Entwicklung ab, dass Beschwerden nicht als individuelle Klagen, sondern von benachteiligten Gruppen eingereicht werden. Wir verstärken unsere Präsenz in den ländlichen Regionen, wo die Menschen mit größeren Benachteiligungen leben müssen als in den Städten. Gezielt suchen wir dort den Kontakt zu den Bürgern und ermutigen sie, ihre Anliegen zu artikulieren.


AZ: Wie definieren Sie die Rolle der Ombudsfrau?


Gawanas: Eine Ombudsfrau ist Beraterin, Anwältin, Vermittlerin und Problemlöserin. Ein Amt, das Verantwortungsbewusstsein und Diplomatie verlangt. Die Bürger, aber auch die Institutionen, über die sie sich beschweren, müssen auf unsere Objektivität vertrauen können. Unsere Aufgabe ist es, angebliche oder offensichtliche Verletzungen grundlegender Rechte sorgfältigst zu analysieren und bestehende Ungerechtigkeiten abzustellen. Dabei müssen sich alle auf unsere unabhängige und unparteiische Position verlassen können.


AZ: Die politische Landschaft ist von einer übermächtigen Regierungspartei (Swapo) und einer schwachen Opposition (CoD) geprägt. Keine ideale Konstellation, um die Unabhängigkeit eines Amtes wie das Ihre zu garantieren.


Gawanas: In meiner Amtszeit hat es keine politischen Beeinflussungen von außen gegeben. Jede Demokratie funktioniert nach dem Prinzip der "Cheques and Balances". Auch gesellschaftliche Kräfte wie Medien oder Nichtregierungsorganisationen üben starke Kontrollfunktionen aus. Namibia ist noch eine junge Demokratie. Klar, dass einiges noch nicht optimal funktioniert. Vieles ist noch in der Entwicklung begriffen. Es wird immer eine große Herausforderung bleiben, die Rechtsstaatlichkeit zu schützen.


AZ: Für wie gerecht schätzen Sie Namibia ein?


Gawanas: Namibia ist von vielen Ungleichheiten geprägt. Es ist schwierig, eine allgemeine Bewertung vorzunehmen. Laut Verfassung sind alle Menschen gleich. Solange in einer Gesellschaft jeder Einzelne respektiert wird, besteht Fairness. Gerechtigkeit wird aber auch aus der persönlichen Situation heraus bewertet. Eigennutz, Vorurteile, Rücksichtslosigkeit - solange wir solche Einstellungen an den Tag legen, werden immer Menschen darunter zu leiden haben. Es ist eine idealistische Hoffnung, eines Tages in einer Welt zu leben, in der alle Menschen voller Nächstenliebe miteinander umgehen. Wir hatten lange Zeit undemokratische Regierungen. Wenn ich Namibia heute mit der Vergangenheit vergleiche, so hat sich vieles zum Positiven gewandelt. Aber wir müssen noch viel tun.


AZ: Wie schätzen Sie ihre Erfolgsquote ein?


Gawanas: Eine schwierige Frage. Ich kann nicht einfach sagen, wir hätten etwa von 1000 Beschwerden 990 Fälle erfolgreich bearbeitet. Unsere Aufgabe ist viel weiter gefasst. Das Bemühen um die Wahrung von Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit kann nicht quantitativ bewertet werden. Wir arbeiten auf eine langfristige Bewusstseinsbildung hin.


AZ: Welches sind die größten Herausforderungen für das laufende Jahr?


Gawanas: Wir müssen Prioritäten setzen: Uns erreichen viele Beschwerden, die nicht in unseren Aufgabenbereich fallen. Wir beraten die Bürger trotzdem. Aber diese Beratungstätigkeit nimmt inzwischen zu großen Raum ein und hält uns von unseren eigentlichen Aufgaben ab. Unser Ziel ist eine ständige Präsenz in den ländlichen Regionen. Zudem stellen wir unsere Arbeit in einen weiteren Kontext: Wir konzentrieren uns verstärkt auf benachteiligte Gruppen, da Einzelklagen sehr oft viele Bürger betreffen.