Wanderer zwischen zwei Welten

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Von Andreas Seibert, Windhoek


Dieter Esslinger wurde am 22.12.1940 in Swakopmund als Sohn eines Missionarsehepaares geboren. Sein Vater, Ernst Esslinger, war Lehrer am damaligen Augustineum in Okahandja und hat dort Pädagogen ausgebildet. Er war 1934 von Deutschland nach Namibia ausgewandert. „Mein Vater wurde in Namibia nicht interniert, weil er gebraucht wurde. Immerhin hat er Lehrer ausgebildet. Doch sein Koffer stand immer im Schlafzimmer, falls doch plötzlich die Polizei auftaucht“, sagt Esslinger.


Im Jahr 1955 ist er das erste Mal nach Deutschland gereist, dort hat er für ein Jahr das Gymnasium in Dillenburg besucht. Sein damaliger Deutschlehrer, Herr Menzel, war einer der Personen, die Esslinger prägen sollten: „Er hat sich sehr kritisch über das Dritte Reich geäußert, was zu dieser Zeit noch sehr unüblich war. Außerdem war er ein großer Liebhaber von Eichendorff“, sagt Esslinger. Bei so viel pädagogischem Einfluss ist es nicht verwunderlich, dass Esslinger selbst den Lehrberuf ergriffen hat. Er hat im südafrikanischen Stellenbosch Deutsch, Afrikaans und Literatur studiert. „Ich habe vier Jahre studiert; eigentlich wollte ich länger studieren, doch es fehlte das Geld“, sagt Esslinger. Der Lehrberuf war Esslinger trotzdem in die Wiege gelegt: „Der Umgang mit Kindern, das Lehren selbst, das hat mir Spaß gemacht. Darin habe ich meine Aufgabe gesehen.“


Nach dem Studium hat Esslinger in Swakopmund gelehrt. Nachdem er geheiratet hatte, ist er 1966 für eine Fortbildung vom pädagogischen Austauschdienst für ein Jahr nach Deutschland gegangen. Ein wichtige Zeit für Deutschland, große Umbrüche waren damals im Gange: „Man hat alles gesammelt, was von den Nazis nicht infiziert worden ist, und zusammengetragen. Man selbst hatte ja nichts Neues, alles Neue war amerikanisch. Damals wurde in Deutschland kulturell restauriert.“
Esslinger hat ungefähr zehn Mal Deutschland besucht, sowohl privat, als auch beruflich. Er selbst bezeichnet sich als „Wanderer zwischen zwei Welten“: „Ich bin im südlichen Afrika geboren und aufgewachsen. Doch nicht nur die Landschaft macht Heimat aus, auch die Menschen. Und daher fühle ich mich auch mit Deutschland verbunden, weil ich auch dort Verwandtschaft habe.“


Neben seiner Lehrtätigkeit hat sich Esslinger auch in anderer Weise für den Erhalt und die Förderung der deutschen Sprache und Kultur engagiert: Unter anderem ist er in der Arbeits- und Fördergemeinschaft der deutschen Schulvereine tätig, wirkt im Deutschen Kulturrat und ist Mitbegründer der Literaturzeitschrift „Felsgraffiti“.


„Wenn eine Sprache in einem Land Bestand haben soll, dann muss sie unter anderem kreativ gelebt werden“, erklärt Esslinger. Deswegen veranstaltet Esslinger einmal im Jahr eine Schreibwerkstatt, dieses Jahr findet sie nächstes Wochenende in Omaruru statt. Bei einer der Schreibwerkstätten ist die Idee entstanden, die Literaturzeitschrift „Felsgraffiti“ zu gründen. „Nachdem wir ein Wochenende lang geschrieben hatten, überlegten wir uns, was wir jetzt mit dem ganzen Material machen sollen. Also gründeten wir ‚Felsgraffiti'“, sagt Esslinger. In der Zeitschrift finden sich Gedichte, Kurzgeschichten, Rezensionen und Interviews. Sie erscheint zwei Mal im Jahr und hat eine Auflage von ca. 400. „Damit versuchen wir, den Menschen Literatur nahe zu bringen.“
Für sein Wirken hat Esslinger am 18. Februar 2014 das Bundesverdienstkreuz am Bande - eine der höchsten gesellschaftlichen Auszeichnungen der Bundesrepublik Deutschland, unterzeichnet von Bundespräsident Joachim Gauck - erhalten. Im Folgenden ein Auszug aus seinem Dankesvotum:
„Mehrsprachigkeit und Multikulturalität muss gelebt werden. Das ist auch eine Aufgabe der Deutschnamibier. Wer seine Muttersprache nicht pflegt, kann dies nicht von anderen Menschen erwarten. Spracherhalt schließt Bemühungen um eine bodenständige Literatur, um Umgangsformen, Bräuche und vieles mehr ein. Ebenso ist die Meinungsfreiheit ein hohes Gut. Wir haben die Nazizeit nicht selber erlebt, aber viel davon erfahren, und manchmal begegnen wir ihren Fossilierungen. Wir haben die Zeit der Apartheid selber erlebt und waren durch sie geschützt und bevorzugt worden. Das Nazi-System hat eine diskriminierende Ideologie zu einer Pseudo-Religion hochstilisiert. Das Apartheidssystem wiederum hat einen falschen theologischen Ansatz in ein politisches Programm umgewandelt. Beides ist religiös und politisch verwerflich.


Manche Einstellungen stecken noch in unseren Erinnerungen. Es ist eine biblische Weisheit, dass sich Verfehlungen bis in die dritte und vierte Generation erhalten. Deswegen ist ein verantwortungsvoller Umgang mit unseren Kindern und Enkeln so wichtig. Welche ideologischen Ziele die derzeitigen namibischen Machthaber verfolgen und was sie von den Namibiern abverlangen werden, sollte sich bald zeigen. Was die Gesellschaft braucht, sind nicht Helden, sondern Vorbilder.


Ich habe persönlich erlebt, wie Menschen eine Abschottung der Deutschsprachigen in Namibia im sprachlichen, schulischen und kirchlichen Bereich betreiben wollten, glücklicherweise ohne Erfolg. Ebenso kenne ich Menschen, die ihre Sprache und ihre Herkunft nicht als charakterprägend empfinden. Wir leben in einer globalen Welt. Unsere Beziehungen im horizontalen wie vertikalen Bereich (und das meine ich geographisch und systemisch) sind eine großartige Gabe und Aufgabe, die zwar Mühe kostet, zu der es aber keine zukunftsführende Alternative gibt. Interkulturalität ohne eine klare Identität ist wie eine Sammlung von Kleidungsstücken ohne Markenzeichen.“


Das Bundesverdienstkreuz ist eine hohe Ehrung, doch Esslinger ist bescheiden: „Das Wort ‚stolz' ist mir fremd, denn es impliziert Arroganz. Ich bin einfach nur dankbar, dass die Bundesregierung die Anwesenheit und das Wirken der Deutschsprachigen in Namibia anerkennt. Mein Dank gilt zuerst meiner Frau, die mich immer unterstützt, dann meinen Kindern und noch vielen anderen Menschen.“

Kommentar

Allgemeine Zeitung 2024-04-20

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