Von Primitivlingen und Fortgeschrittenen
Der enge Querspalt unterhalb des Viehzauns, der die Farm vom breiten Rivier trennt, ist gerade einmal einen halben Meter hoch. Der Zulauf zum Okahandja-River schwoll an dieser Stelle vor kurzem so stark an, dass er sich bis direkt an das Farmland fraß und den angereisten Bogenschützen ein Fenster zum Hineinrutschen in das noch immer leicht matschige Flussbett freigrub. Die fünf angereisten Buschmänner, die mit ihren drahtigen Körpern zusammen wahrscheinlich kaum mehr als 300 Kilo auf die Waage bringen und deren Größe sich von der Sohle bis zum kringeligen Haaransatz auf höchstens 1,60 Meter bemisst, haben mit dem Durchschlüpfen sichtlich weniger Probleme als der Rest des 27-köpfigen Teilnehmerfeldes.
"Das sind wohl in etwa genauso viele wie im letzten Jahr", lässt Organisator Werner Pfeifer auf der anderen Seite verlauten. Er hat das Turnier nun schon zum zweiten Mal auf die Beine gestellt, zusammen mit seinem Freund Ralf Johänntkens. Beide stehen auf einem trockenen Abschnitt inmitten des Riviers, um den eintrudelnden Teilnehmerhalbkreis zu instruieren. Und beide sehen auch genauso aus, wie man sich Organisatoren eines Bogenschützenturniers nach traditioneller Art im Flussbett vorstellt: Sandalen, schenkelkurze Hosen aus denen braungebrannte Beine herausragen, handgemachter afrikanischer Schmuck und Bärte, wobei Werners wirrer Bart über seinen Hals hinweg bis auf sein langärmliges Halbgewand aus Kalbsleder stößt, welches zum ebenfalls maronfarbenen Cowboy-Hut passt.
"Wir werden in vier Gruppen losmarschieren, um den Parcours mit insgesamt 25 Zielen zu durchlaufen", erklärt er. Jede Gruppe braucht einen Stift und mindestens einen Bogen, sowie drei Pfeile pro Person." Für viele der angekommenen Teilnehmer scheint das nichts Neues zu sein: Sie waren offenkundig schon im vergangenen Jahr dabei, so dass die Einführung schnell vonstatten geht.
Die Gruppen starten an unterschiedlichen Abschnitten des sich auf circa zwei Hektar Revier erstreckenden Parcours. Ralf beginnt mit seiner Gruppe unweit des unterspülten Zaunes, wo das Ziel mit der Nummer Eins aufgebaut ist: Die Ente.
Er stellt sich an die Markierung für die Fortgeschrittenen-Klasse und schießt der Attrappe nach nur sekundenbruchteillangem Anvisieren einen Pfeil aus knapp zwanzig Metern direkt ins Gefieder. Der Rest der Gruppe ist mächtig beeindruckt. Franziska, Maren, Steffi und Robina nehmen zum ersten Mal teil. Die jungen deutschen Mädels haben aber schon im Vorfeld ein paar Tage auf das Turnier hin trainiert. Auch die beiden "Buschis", wie sie von den Deutschen freundlich genannt werden, Kxao und !amace, machen große Augen.
Ralf ist ganz offensichtlich ein Fortgeschrittener.
Der 42-Jährige Uelzener, der den europäischen Winter jedes Jahr in Namibia verbringt, erzählt, dass er bereits seit fünf Jahren schießt, genauso lange wie er Bogenbauer ist - traditioneller Bogenbauer. Er verwendet Vollholz oder Bambuslaminate. Im Unterschied zu den modernen Sportbögen haben seine Werkstücke keine Zielvorrichtung. Augenscheinlich braucht er die sowieso nicht.
Die Ente hat letztendlich keine Chance: Auch von den anderen Gruppenmitgliedern, die in der Kategorie Anfänger antreten und somit aus kürzerer Distanz abziehen dürfen, muss sie mehrere Einschüsse hinnehmen.
Nach der Ente geht's zum Fisch. Der kommt zwar auch nicht heil davon, wird aber nur von Ralf getroffen. Die "Buschis", zu Hause in der nördlichen Kalahari, sind es scheinbar nicht gewohnt, auf Fische zu jagen. Auch so manch anderes Ziel mag ihnen zweifelhaft erscheinen. Zum Beispiel die Spinnen. Ohnehin scheint es ungleich schwieriger, mit ihren von daheim mitgebrachten, einfacheren Bögen die Ziele zu treffen - eine Vermutung, die sich bei den darauf folgenden Zielobjekten bestätigt.
Nach mehrstündiger Pseudojagd tritt Werner hervor, irgendwo zwischen Impala und Manguste - er ist mit seiner Gruppe schon durch. Werner kennt die Buschleute. Beim Aufbau des lebenden Museums in ihrer Heimat hat er ihnen zur Seite gestanden, kennt die Probleme im Buschmannland. "Mit der staatlichen Regulierung des Wildbestandes ging den Buschmännern das Jagen verloren", sagt er. "Sie jagen also gar nicht mehr so wie früher. Dabei ist es Teil ihrer Kultur."
Werner glaubt jedoch an im Menschen schlummernde Instinkte beim Bogenschießen. Er schießt bereits seit gut 13 Jahren und will erreichen, dass das "Unterbewusstsein den Pfeil abschießt". Dabei liegt es in der Natur der Sache, dass der Schütze keine Zielvorrichtung braucht - Werner favorisiert das "Primitivbogenschießen". Der 43-Jährige mag das "Ursprüngliche" und lehnt den "hochgezüchteten Sport" ab. "Ich bin ein Primitivling", sagt er über sich selbst.
Und die Veranstaltung ist wahrlich von simpler Art, ein Event ohne viel drum rum, ohne Schiedsrichter, ohne festen Zeitplan, ohne Verpflegungszelt. Nur die Attrappen sind nicht primitiv, nicht einfach und auch nicht urzuständlich. Die 25 Tiere sind die einzigen Aufbauten. Sie schaffen die Inszenierung, den Grund des Zusammenkommens. Auch die Herstellung war anspruchsvoll: Eigens für die Zieltiere ließen Werner und Ralf Polyethylen-Platten aus Deutschland einfliegen, ein besonders gut geeigneter Hartschaum. Daraus bastelten die beiden in akribischer Kleinarbeit Schlangen, Löwen, Vögel und auch einen Pavian - noch einen "Primitivling" also, einen Primaten. Alle größeren Säugetiere wurden mit einem "Kill-Bereich" in der Herz-Lungen-Gegend versehen, für den es zusätzliche Punkte gibt.
Am Ende ist Ralf der Sieger in der Fortgeschrittenen-Klasse. Mit großem Abstand trifft er die meisten Tiere - nicht selten im Kill-Bereich. Auf echte Tiere zu schießen, kommt für ihn nicht in Frage: "Ich schieße keine Tiere tot", sagt er. Auch einen Preis darf er sich aussuchen: Im Angebot sind Pfeile, Bögen und Messer, aber auch Kerzenständer, Aschenbecher und Old Brown Cherry. Alle Teilnehmer haben etwas mitgebracht. Das Hab und Gut wird nach dem Turnier eigentlich nur umverteilt. Ralf entscheidet sich für einen Buschmann-Bogen mitsamt Köcher und Pfeilen.
Bei den Anfängern siegt Kathrin Gebhardt aus Windhoek - nur knapp vor /Gao N!aici aus dem Buschmannland. Erstaunlicherweise konnten die "Buschis" beim Schießen auf das bewegte Ziel - einen Löwen, der hinter einem Pferd durchs Rivier gezogen wird - besonders viele Punkte sammeln. Werner weiß wieso.
Johannes Vetter
"Das sind wohl in etwa genauso viele wie im letzten Jahr", lässt Organisator Werner Pfeifer auf der anderen Seite verlauten. Er hat das Turnier nun schon zum zweiten Mal auf die Beine gestellt, zusammen mit seinem Freund Ralf Johänntkens. Beide stehen auf einem trockenen Abschnitt inmitten des Riviers, um den eintrudelnden Teilnehmerhalbkreis zu instruieren. Und beide sehen auch genauso aus, wie man sich Organisatoren eines Bogenschützenturniers nach traditioneller Art im Flussbett vorstellt: Sandalen, schenkelkurze Hosen aus denen braungebrannte Beine herausragen, handgemachter afrikanischer Schmuck und Bärte, wobei Werners wirrer Bart über seinen Hals hinweg bis auf sein langärmliges Halbgewand aus Kalbsleder stößt, welches zum ebenfalls maronfarbenen Cowboy-Hut passt.
"Wir werden in vier Gruppen losmarschieren, um den Parcours mit insgesamt 25 Zielen zu durchlaufen", erklärt er. Jede Gruppe braucht einen Stift und mindestens einen Bogen, sowie drei Pfeile pro Person." Für viele der angekommenen Teilnehmer scheint das nichts Neues zu sein: Sie waren offenkundig schon im vergangenen Jahr dabei, so dass die Einführung schnell vonstatten geht.
Die Gruppen starten an unterschiedlichen Abschnitten des sich auf circa zwei Hektar Revier erstreckenden Parcours. Ralf beginnt mit seiner Gruppe unweit des unterspülten Zaunes, wo das Ziel mit der Nummer Eins aufgebaut ist: Die Ente.
Er stellt sich an die Markierung für die Fortgeschrittenen-Klasse und schießt der Attrappe nach nur sekundenbruchteillangem Anvisieren einen Pfeil aus knapp zwanzig Metern direkt ins Gefieder. Der Rest der Gruppe ist mächtig beeindruckt. Franziska, Maren, Steffi und Robina nehmen zum ersten Mal teil. Die jungen deutschen Mädels haben aber schon im Vorfeld ein paar Tage auf das Turnier hin trainiert. Auch die beiden "Buschis", wie sie von den Deutschen freundlich genannt werden, Kxao und !amace, machen große Augen.
Ralf ist ganz offensichtlich ein Fortgeschrittener.
Der 42-Jährige Uelzener, der den europäischen Winter jedes Jahr in Namibia verbringt, erzählt, dass er bereits seit fünf Jahren schießt, genauso lange wie er Bogenbauer ist - traditioneller Bogenbauer. Er verwendet Vollholz oder Bambuslaminate. Im Unterschied zu den modernen Sportbögen haben seine Werkstücke keine Zielvorrichtung. Augenscheinlich braucht er die sowieso nicht.
Die Ente hat letztendlich keine Chance: Auch von den anderen Gruppenmitgliedern, die in der Kategorie Anfänger antreten und somit aus kürzerer Distanz abziehen dürfen, muss sie mehrere Einschüsse hinnehmen.
Nach der Ente geht's zum Fisch. Der kommt zwar auch nicht heil davon, wird aber nur von Ralf getroffen. Die "Buschis", zu Hause in der nördlichen Kalahari, sind es scheinbar nicht gewohnt, auf Fische zu jagen. Auch so manch anderes Ziel mag ihnen zweifelhaft erscheinen. Zum Beispiel die Spinnen. Ohnehin scheint es ungleich schwieriger, mit ihren von daheim mitgebrachten, einfacheren Bögen die Ziele zu treffen - eine Vermutung, die sich bei den darauf folgenden Zielobjekten bestätigt.
Nach mehrstündiger Pseudojagd tritt Werner hervor, irgendwo zwischen Impala und Manguste - er ist mit seiner Gruppe schon durch. Werner kennt die Buschleute. Beim Aufbau des lebenden Museums in ihrer Heimat hat er ihnen zur Seite gestanden, kennt die Probleme im Buschmannland. "Mit der staatlichen Regulierung des Wildbestandes ging den Buschmännern das Jagen verloren", sagt er. "Sie jagen also gar nicht mehr so wie früher. Dabei ist es Teil ihrer Kultur."
Werner glaubt jedoch an im Menschen schlummernde Instinkte beim Bogenschießen. Er schießt bereits seit gut 13 Jahren und will erreichen, dass das "Unterbewusstsein den Pfeil abschießt". Dabei liegt es in der Natur der Sache, dass der Schütze keine Zielvorrichtung braucht - Werner favorisiert das "Primitivbogenschießen". Der 43-Jährige mag das "Ursprüngliche" und lehnt den "hochgezüchteten Sport" ab. "Ich bin ein Primitivling", sagt er über sich selbst.
Und die Veranstaltung ist wahrlich von simpler Art, ein Event ohne viel drum rum, ohne Schiedsrichter, ohne festen Zeitplan, ohne Verpflegungszelt. Nur die Attrappen sind nicht primitiv, nicht einfach und auch nicht urzuständlich. Die 25 Tiere sind die einzigen Aufbauten. Sie schaffen die Inszenierung, den Grund des Zusammenkommens. Auch die Herstellung war anspruchsvoll: Eigens für die Zieltiere ließen Werner und Ralf Polyethylen-Platten aus Deutschland einfliegen, ein besonders gut geeigneter Hartschaum. Daraus bastelten die beiden in akribischer Kleinarbeit Schlangen, Löwen, Vögel und auch einen Pavian - noch einen "Primitivling" also, einen Primaten. Alle größeren Säugetiere wurden mit einem "Kill-Bereich" in der Herz-Lungen-Gegend versehen, für den es zusätzliche Punkte gibt.
Am Ende ist Ralf der Sieger in der Fortgeschrittenen-Klasse. Mit großem Abstand trifft er die meisten Tiere - nicht selten im Kill-Bereich. Auf echte Tiere zu schießen, kommt für ihn nicht in Frage: "Ich schieße keine Tiere tot", sagt er. Auch einen Preis darf er sich aussuchen: Im Angebot sind Pfeile, Bögen und Messer, aber auch Kerzenständer, Aschenbecher und Old Brown Cherry. Alle Teilnehmer haben etwas mitgebracht. Das Hab und Gut wird nach dem Turnier eigentlich nur umverteilt. Ralf entscheidet sich für einen Buschmann-Bogen mitsamt Köcher und Pfeilen.
Bei den Anfängern siegt Kathrin Gebhardt aus Windhoek - nur knapp vor /Gao N!aici aus dem Buschmannland. Erstaunlicherweise konnten die "Buschis" beim Schießen auf das bewegte Ziel - einen Löwen, der hinter einem Pferd durchs Rivier gezogen wird - besonders viele Punkte sammeln. Werner weiß wieso.
Johannes Vetter
Kommentar
Allgemeine Zeitung
Zu diesem Artikel wurden keine Kommentare hinterlassen