Sternstunden in dunklen Momenten
Die Künstlerin Urte Remmert präsentiert ihre Werke in der Galerie The Project Room
Urte Remmert sitzt auf einem Korbstuhl. Die Wände der Galerie sind leer – noch. Morgen werden dort die Bilder hängen, die noch auf den weißen Fliesen des Galeriebodens aufgefächert sind. Während sie ihre Gedanken sammelt, lässt Urte Remmert den Blick über ihre Werke schweifen. Mit ihren dunkelroten Haaren und dem auffälligen goldenen Schmuck hebt sie sich deutlich von der weißen Umgebung ab. Ihr Stuhl steht, wie ein Thron, in der Mitte des Raumes, den Urte Remmert die nächsten Wochen ausfüllen wir – nicht nur mit ihrer Kunst, aber auch mit ihrer Geschichte.
„Stars and Ashes“ wird die Ausstellung heißen. Asche steht für den Tod, die Zerstörung und die dunklen Momente in Urte Remmerts Leben. Ironischerweise begann auch der schwärzeste Tag mit Kunst: „Ich musste Bilder in der Nationalgalerie abgeben“, beginnt sie zu erzählen. „Wir haben Freunde getroffen und zusammen das Wochenende in Windhoek verbracht. Am Sonntagmorgen sind wir Richtung Swakopmund losgefahren.“ Kurz hinter Usakos kommt es zur Katastrophe. Ein Stau auf der Gegenfahrbahn, plötzlich schert ein Fahrzeug aus. Die Fahrer können nicht mehr rechtzeitig bremsen, die Autos prallen zusammen. Danach nur noch Rauch und Flammen.
Urte Remmert wirkt gefasst. Sie spricht ruhig und konzentriert, wenn sie von diesem Schicksalstag erzählt. Die knallrote Brille hat sie abgenommen und lässt sie von einer Hand in die andere wandern, während sie ihre Worte wählt. „Unsere Freunde waren im Auto hinter uns. Sie haben sofort angehalten und nachgeschaut, was noch zu retten ist.“ Sie ziehen Urte Remmert aus dem brennenden Fahrzeug. Für ihren Ehemann kommt jede Hilfe zu spät.
Remmert unterrichtete damals Kunst an einer Schule in Swakopmund. Nach Wochen im Hospital war sie froh, wieder in die Schule zurückzukehren – dankbar für die Ablenkung. „Ich habe getrauert und morgens viel geweint“, erinnert sich Remmert. Und doch gab es auch immer wieder die hellen Moment, die Sternstunden, die der Witwe Hoffnung gaben. „Es war unwahrscheinlich, wie viele Menschen an mich gedacht haben – ehemalige Schüler, Leute von denen ich seit Jahren nichts gehört habe. Das habe ich noch nie erlebt.“ Diesen Menschen widmet Urte Remmert die goldenen Sterne in ihren Bildern, die immer wieder zwischen den dunklen Elementen der Collagen hervorblitzen. Inspiriert hat sie der Autor Antoine de Saint-Exupéry. In seinem Buch „Wind, Sand und Sterne“ spricht er von Sternstunden – den ganz besonderen Momenten im Leben eines Menschen. Auch in den schwersten Zeiten hat Urte Remmert diese Sternstunden erlebt. „Je mehr ich gelitten habe, desto mehr Liebe wurde mir zu teil. Es gibt so viel Mitgefühl in der namibischen Gesellschaft.“ Ihr Mann ist wie ein Stern vom Himmel gefallen, sagt sie. Eine Sternschnuppe. Und dann ist da der Ascheregen, der Moment danach, die Schwere, die Trauer. All diese Elemente finden sich in ihren Collagen.
„Ich war lange in einem Trauma“, sagt Urte Remmert heute. „Das Autounglück, das Feuer, die Explosion, der Airbag im Gesicht und dann der Mann weg – von jetzt auf gleich.“ Aber sie hat nicht resigniert. „Ich wusste, ich muss mich selbst heilen, ich bin kein Mensch, der sich auflöst in Tränen.“ Sie war wie im Rausch, habe alles aufgeschrieben und gesammelt, was sie mit dem Tod verbindet: Skizzen, Artikel, Texte, Wortfetzen: „Wut“, „Rage“, „Narben“. Und Gedichte. Eigene und Geliehene – von Rilke und Mascha Kaléko.
“Man braucht nur eine Insel
Allein im weiten Meer.
Man braucht nur einen Menschen,
den aber braucht man sehr.”
Entstanden ist ein Buch – Urte Remmerts ganz persönliches Logbuch. In der Ausstellung „Stars and Ashes“ wird sie es trotzdem zeigen. Wie mit ihren Bildern möchte sie damit Gespräche über den Tod und die Vergänglichkeit des Lebens anstoßen. Sie selbst kann mittlerweile loslassen. Der Anblick der bildgewordenen Emotionen schmerzt sie nicht mehr. Sogar zum Unfallort ist Urte Remmert zurückgekehrt und hat dort die physischen Reste des Unglücks eingesammelt. Scherben, geschmolzenes Glas, Metallreste und sogar die Schnalle des Sicherheitsgurtes hat sie in ein Kunstwerk verwandelt.
Aus den Skizzen in ihrem Buch wurden später Kohlezeichnungen: schnelle, impulsiv gezeichnete Linien, die einen Frauenkörper nachahmen, nackt und verletzlich. „Erschütterung“, „Trauer“, „Verzweiflung“ heißen die Bilder. Aber dann sind da die roten Hände, die in die Dunkelheit greifen. Die Hände, die sie aus dem Auto gezogen haben, die sie immer wieder aufgefangen haben in ihrer Trauer.
Zu den Kohlezeichnungen kamen später Collagen. Der handwerkliche Prozess, das Zerschneiden, das Zerreisen, habe ihr gutgetan und dabei geholfen das Trauma zu überwinden. Sie verarbeitet alles – von alten Noten über Kalenderseiten bis hin zu selbst bedrucktem Papier. Man muss ganz nah an die Werke herantreten, um die vielen unterschiedlichen Strukturen voneinander zu unterscheiden. Auch einige Seiten aus dem Tagebuch ihres Mannes hat die Künstlerin in ihren Werken untergebracht. Seiten, die das Feuer des Unfalls verschont hat. Ein Arzt übergab ihr die Papiere mit den Worten: „Mach da mal schöne Kunst draus.“ Und das hat Urte Remmert dann auch gemacht. Die Seiten mit den verkohlten Rändern hat sie zu Flügeln verarbeitet: fein und zart und ein bisschen zu zierlich, um den Frauenkörper tatsächlich zu tragen. Wenn Urte Remmerts Mann am Tag des Unfalls als Sternschnuppe vom Himmel gefallen ist, dann hat auch sie an diesem Tag ihre Flügel verloren. Deshalb greift sie das Motiv der Flügel immer wieder auf. Am Waterberg hat sie Termitenflügel gesammelt und in ihren Collagen verarbeitet. Ein Sinnbild für den Schmerz und für das Fallen, wie sie selbst sagt. Aber Urte Remmerts ist nicht auf dem Boden liegen geblieben. Sie hat sich wieder aufgerichtet und sich selbst sowie ihre Flügel geheilt – dank der vielen Menschen, die sie gehalten haben und dank ihrer Arbeit: „Ich bin dankbar, dass ich Kunst machen kann. Das hat mir sehr geholfen.“
Tiefe Einblicke
Die Ausstellung „Stars and Ashes“ mit den Werken der Swakopmunder Künstlerin von Urte Remmert ist noch bis zum 17. August in der Gallerie „The Project Room“ für Besucher geöffnet. Am 17. August um 11 Uhr findet außerdem ein Artist Walk About statt, bei dem die Künstlerin persönlich durch die Ausstellung führt.
„Stars and Ashes“ wird die Ausstellung heißen. Asche steht für den Tod, die Zerstörung und die dunklen Momente in Urte Remmerts Leben. Ironischerweise begann auch der schwärzeste Tag mit Kunst: „Ich musste Bilder in der Nationalgalerie abgeben“, beginnt sie zu erzählen. „Wir haben Freunde getroffen und zusammen das Wochenende in Windhoek verbracht. Am Sonntagmorgen sind wir Richtung Swakopmund losgefahren.“ Kurz hinter Usakos kommt es zur Katastrophe. Ein Stau auf der Gegenfahrbahn, plötzlich schert ein Fahrzeug aus. Die Fahrer können nicht mehr rechtzeitig bremsen, die Autos prallen zusammen. Danach nur noch Rauch und Flammen.
Urte Remmert wirkt gefasst. Sie spricht ruhig und konzentriert, wenn sie von diesem Schicksalstag erzählt. Die knallrote Brille hat sie abgenommen und lässt sie von einer Hand in die andere wandern, während sie ihre Worte wählt. „Unsere Freunde waren im Auto hinter uns. Sie haben sofort angehalten und nachgeschaut, was noch zu retten ist.“ Sie ziehen Urte Remmert aus dem brennenden Fahrzeug. Für ihren Ehemann kommt jede Hilfe zu spät.
Remmert unterrichtete damals Kunst an einer Schule in Swakopmund. Nach Wochen im Hospital war sie froh, wieder in die Schule zurückzukehren – dankbar für die Ablenkung. „Ich habe getrauert und morgens viel geweint“, erinnert sich Remmert. Und doch gab es auch immer wieder die hellen Moment, die Sternstunden, die der Witwe Hoffnung gaben. „Es war unwahrscheinlich, wie viele Menschen an mich gedacht haben – ehemalige Schüler, Leute von denen ich seit Jahren nichts gehört habe. Das habe ich noch nie erlebt.“ Diesen Menschen widmet Urte Remmert die goldenen Sterne in ihren Bildern, die immer wieder zwischen den dunklen Elementen der Collagen hervorblitzen. Inspiriert hat sie der Autor Antoine de Saint-Exupéry. In seinem Buch „Wind, Sand und Sterne“ spricht er von Sternstunden – den ganz besonderen Momenten im Leben eines Menschen. Auch in den schwersten Zeiten hat Urte Remmert diese Sternstunden erlebt. „Je mehr ich gelitten habe, desto mehr Liebe wurde mir zu teil. Es gibt so viel Mitgefühl in der namibischen Gesellschaft.“ Ihr Mann ist wie ein Stern vom Himmel gefallen, sagt sie. Eine Sternschnuppe. Und dann ist da der Ascheregen, der Moment danach, die Schwere, die Trauer. All diese Elemente finden sich in ihren Collagen.
„Ich war lange in einem Trauma“, sagt Urte Remmert heute. „Das Autounglück, das Feuer, die Explosion, der Airbag im Gesicht und dann der Mann weg – von jetzt auf gleich.“ Aber sie hat nicht resigniert. „Ich wusste, ich muss mich selbst heilen, ich bin kein Mensch, der sich auflöst in Tränen.“ Sie war wie im Rausch, habe alles aufgeschrieben und gesammelt, was sie mit dem Tod verbindet: Skizzen, Artikel, Texte, Wortfetzen: „Wut“, „Rage“, „Narben“. Und Gedichte. Eigene und Geliehene – von Rilke und Mascha Kaléko.
“Man braucht nur eine Insel
Allein im weiten Meer.
Man braucht nur einen Menschen,
den aber braucht man sehr.”
Entstanden ist ein Buch – Urte Remmerts ganz persönliches Logbuch. In der Ausstellung „Stars and Ashes“ wird sie es trotzdem zeigen. Wie mit ihren Bildern möchte sie damit Gespräche über den Tod und die Vergänglichkeit des Lebens anstoßen. Sie selbst kann mittlerweile loslassen. Der Anblick der bildgewordenen Emotionen schmerzt sie nicht mehr. Sogar zum Unfallort ist Urte Remmert zurückgekehrt und hat dort die physischen Reste des Unglücks eingesammelt. Scherben, geschmolzenes Glas, Metallreste und sogar die Schnalle des Sicherheitsgurtes hat sie in ein Kunstwerk verwandelt.
Aus den Skizzen in ihrem Buch wurden später Kohlezeichnungen: schnelle, impulsiv gezeichnete Linien, die einen Frauenkörper nachahmen, nackt und verletzlich. „Erschütterung“, „Trauer“, „Verzweiflung“ heißen die Bilder. Aber dann sind da die roten Hände, die in die Dunkelheit greifen. Die Hände, die sie aus dem Auto gezogen haben, die sie immer wieder aufgefangen haben in ihrer Trauer.
Zu den Kohlezeichnungen kamen später Collagen. Der handwerkliche Prozess, das Zerschneiden, das Zerreisen, habe ihr gutgetan und dabei geholfen das Trauma zu überwinden. Sie verarbeitet alles – von alten Noten über Kalenderseiten bis hin zu selbst bedrucktem Papier. Man muss ganz nah an die Werke herantreten, um die vielen unterschiedlichen Strukturen voneinander zu unterscheiden. Auch einige Seiten aus dem Tagebuch ihres Mannes hat die Künstlerin in ihren Werken untergebracht. Seiten, die das Feuer des Unfalls verschont hat. Ein Arzt übergab ihr die Papiere mit den Worten: „Mach da mal schöne Kunst draus.“ Und das hat Urte Remmert dann auch gemacht. Die Seiten mit den verkohlten Rändern hat sie zu Flügeln verarbeitet: fein und zart und ein bisschen zu zierlich, um den Frauenkörper tatsächlich zu tragen. Wenn Urte Remmerts Mann am Tag des Unfalls als Sternschnuppe vom Himmel gefallen ist, dann hat auch sie an diesem Tag ihre Flügel verloren. Deshalb greift sie das Motiv der Flügel immer wieder auf. Am Waterberg hat sie Termitenflügel gesammelt und in ihren Collagen verarbeitet. Ein Sinnbild für den Schmerz und für das Fallen, wie sie selbst sagt. Aber Urte Remmerts ist nicht auf dem Boden liegen geblieben. Sie hat sich wieder aufgerichtet und sich selbst sowie ihre Flügel geheilt – dank der vielen Menschen, die sie gehalten haben und dank ihrer Arbeit: „Ich bin dankbar, dass ich Kunst machen kann. Das hat mir sehr geholfen.“
Tiefe Einblicke
Die Ausstellung „Stars and Ashes“ mit den Werken der Swakopmunder Künstlerin von Urte Remmert ist noch bis zum 17. August in der Gallerie „The Project Room“ für Besucher geöffnet. Am 17. August um 11 Uhr findet außerdem ein Artist Walk About statt, bei dem die Künstlerin persönlich durch die Ausstellung führt.
Kommentar
Allgemeine Zeitung
Zu diesem Artikel wurden keine Kommentare hinterlassen