Spiel mir das Lied vom Mut

Praktikant WAZon
Von Ina Briest, Windhoek

Wir sehen Schwarzweiß-Fotos aus dem Befreiungskampf. Von Panzern, Hubschraubern und Soldaten mit Maschinengewehren. Von schwarzen Demonstranten und weißen Familien, die unbeteiligt vorbeigehen. Begleitet werden die Bilder von tropfenden Gitarrenklängen, die in das Pfeifen einer Melodie fließen. Sie ist eingängig – unbeschwert und melancholisch zugleich. Dann erscheint ein Text auf dem Bildschirm: „Namibia in den 80-er Jahren. Südafrika regiert seit Jahrzehnten das Land. Apartheid und der Kampf für Unabhängigkeit haben das Volk gespalten.“ So beginnt Tim Huebschles neuester Film „Dead River.“

Der Regisseur wird 1978 in Reutlingen geboren, verbringt aber Kindheit und Jugend in Namibia. Zum Studieren zieht es ihn nach Südafrika. In einem Seminar über Filmtheorie entdeckt er den Film als Instrument für das, was er schon als kleiner Junge machen wollte: Geschichten erzählen. Der Film verbindet dabei alle Medien: Sprache, Bilder und auch Musik. Huebschle macht sich nach Deutschland auf und sammelt Erfahrungen als Produktionsassistent. Ab 2000 beginnt er, Independent-Kurzfilme zu drehen. Drei Jahre später kehrt er nach Namibia zurück und vollendet eine 13-teilige Dokuserie für die NBC. Mit seiner eigenen Produktionsfirma dreht er in der Folgezeit TV-Werbung und Musikvideos, aber auch Kurzfilme.

Nun sitzt er zurückgelehnt in seinem Stuhl im Schatten und plaudert über seine ersten Gehversuche im Kurzfilmgeschäft. Er trägt Jeans und ein graues Hemd, in dessen Ausschnitt die Sonnenbrille steckt. Das lichter werdende Haar ist zur angedeuteten Tolle frisiert. Huebschle erzählt von der namibischen Filmindustrie, die Anfang des Jahrtausends noch sehr klein war und hauptsächlich Dokumentationen produzierte. „Alle waren Anfang Zwanzig, alle am Anfang ihrer Karriere, da hängt man in den gleichen Kreisen ab.“ So kam die kleine Industrie auch relativ schnell zusammen. Trotz der vereinten Kräfte mussten sie das Geld für die ersten Filme selbst sparen. Zum Beispiel für „Orange Juice“, ein filmisches Experiment, das in Richtung des Film Noir gehen sollte. „Die Schauschis und die Crew haben für Umme gearbeitet“, bemerkt Huebschle. Trotzdem hat der Film schon einen kleinen Preis bei einem Festival in Südafrika gewonnen. Und weiter ging es. „Du musst Filme machen, um besser zu werden.“

Er lehnt sich zurück und schlägt die Beine übereinander. Fließende Bewegungen der Hände unterstreichen, was er erklärt. Die hellbraunen Augen werden ernst, als er von „Rider without a horse“, dem Film über das Reiterdenkmal, erzählt. „Ich habe eine schwierige Einstellung zum Reiter“, sagt Huebschle. „Denn es sind viel mehr Damara und Herero gestorben als Deutsche.“ Er war aber nie dafür, das Denkmal abzuschaffen. Es sollte einfach in den richtigen Zusammenhang gesetzt werden: „Der Kolonialkanon soll nicht weiter gepusht werden, vor allem nicht in einem unabhängigen Land.“ Von seinem vorletzten Film „Looking for Iilonga“ aber spricht er gerne. Dafür hatten sie ein echtes Budget, eine große Crew und sogar 17 Trainees. „Das war der erste coole Film. Ich wusste, den kann ich überall einreichen. Und das hab ich auch getan.“ Mit Erfolg: Der Film gewann insgesamt elf Auszeichnungen, darunter in Kamerun, Deutschland und den USA.
Für „Dead River“ konnten Huebschle und seine Crew dann sogar mit dem doppelten Budget arbeiten. Und einen halbstündige Film drehen über die Freundschaft eines weißen Mädchen und eines schwarzen Jungen – vor 1989. In diesem Jahr war Huebschle erst elf Jahre alt, noch ein Kind. Trotzdem erinnert er sich ungerne an die Zeit: „Wir waren ausgegrenzt. Naja, ausgegrenzt ist zu hart. Aber wir waren nicht die Beliebten. Wir waren die Kommunisten.“

Huebschles Eltern, die Politikerin Michaela Hübschle und der Fachtierarzt Otto Hübschle, sind zu der Zeit beide in der SWAPO aktiv. Seine Mutter betreibt seit Anfang der 80-er Jahre Öffentlichkeitsarbeit für verschiedene Projekte in Katutura. Später wird sie Mitglied der Verfassungsgebenden Versammlung und zieht 1990 als Abgeordnete in die Nationalversammlung ein. Huebschle selbst beschränkt sein politisches Handeln auf seine Filme. Mit Anfang Dreißig will er den Filmen, die vorher psychologisch angelegt waren, auch eine soziopolitische Dimension geben. Sie sollten Tragweite haben. Von Urbanisierung handeln, von Rassismus. Aber Huebschle will nicht bloß die Theorie zeigen, sondern den Alltag. Das macht er mit den Worten, den Bilder, der Musik in seinen Filmen.

Musik ist der Schlüssel in seinem neuen Werk. Sie ist die Sprache, in der sich Lisa, die kleine Tochter weißer Farmer, und David, der schwarze Sohn der Angestellten, unterhalten. Lisa sitzt am Grab ihrer Mutter und spielt eine kleine Melodie auf ihrer Blockflöte. David nähert sich vorsichtig und pfeift sie nach. Sie ist komponiert von Alessandro Alessandroni, jenem italienischen Komponisten, der sich mit Filmmusiken wie für „Spiel mir das Lied vom Tod“ unsterblich gemacht hat. Die Begegnung mit ihm war ein Glücksfall für Huebschle, der sich bei der gemeinsamen Arbeit professionell sehr weiterentwickelt hat. „Es ist eine ganz andere Erfahrung, mit jemandem zu arbeiten, der seit Jahrzehnten im Geschäft ist. Er geht den Stoff für einen solchen Film ganz anders an.“

Lisas Treffen mit David sind kurz, aber sie sind Lichtblicke in ihrem kalten Zuhause. Ihr Vater ist durch den Tod der Mutter hart geworden. Er verbietet ihr, mit diesem Jungen zu spielen, denn „die SWAPO-Terroristen wollen uns alle nur umbringen“. Als er die beiden zusammen erwischt, schlägt er seine Tochter und prügelt auf den Jungen ein. Diese Szene geht Lisa auch Jahre später, als Teenager, nicht aus dem Kopf. Sie hat Angst um ihren Freund und trifft eine heikle Entscheidung.

„Dead River“ hat Huebschle mittlerweile in vielen Schulen und Institutionen gezeigt. Dabei hat er viele positive Reaktionen erhalten. Die Zuschauer seien froh, endlich einmal einen namibischen Film über die Apartheid sehen zu können. Es gebe aber auch Weiße, die genervt reagierten. Die die Geschichte als abgeschlossen sehen und keine Lust haben, sich weiter damit zu beschäftigen.

Nach einer langen Zeit in Europa kehrt Lisa als Erwachsene nach Namibia zurück. Auf die Frage, warum sie nicht schon vorher gekommen sei, seufzt sie und sagt: „Es braucht viel Mut, sich der Vergangenheit zu stellen.“

Kommentar

Allgemeine Zeitung 2024-04-20

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