Schlechte Schulbildung hält Südafrikas Mehrheit in Ketten
Für den Anti-Apartheidkämpfer Nelson Mandela war „Bildung die mächtigste Waffe, um die Welt zu verändern“. Doch 27 Jahre nach seiner Freilassung aus dem Gefängnis und dem Beginn der Demokratisierung hat Südafrikas Bildungssystem anscheinend die Waffen gestreckt. Die qualitativ schlechte Schulbildung hält Millionen schwarzer Südafrikaner zurück. Inzwischen entscheidet nicht mehr allein die Hautfarbe über die Bildung und Zukunft eines Kindes – es kommt aufs Geld an. Die Kinder der kleinen weißen Minderheit und der schwarzen Mittelschicht gehen auf teure und gute Privatschulen.
In Südafrikas 25000 öffentlichen Grundschulen drängen sich jeweils bis zu 60 Schüler in einem Klassenzimmer. In adretten Schuluniformen sitzen sie an abgenutzten braunen Tischen. „Ich sehe Dich!“, faucht Lehrerin Nokuthula Musena einen Drittklässler an, als sie versucht, Ruhe in die Klasse zu bringen. Die Xuma-Grundschule gilt als eine der besten im Township Soweto, dem früheren Herz des Kampfes gegen die Apartheid. Musena muss heute in ihrer Klasse nur 41 Schülern die Sprache Zulu beibringen – doch viele Kinder passen nicht auf.
Forschern zufolge können fast ein Drittel der Schüler nach sechs Jahren Unterricht kaum lesen und schreiben. In Naturwissenschaften sieht es nicht besser aus: In einer Studie der OECD belegte Südafrika bei 76 Ländern den vorletzten Platz. In einem afrikanischen Vergleich schnitt Südafrika, das am meisten entwickelte Land des Kontinents, schlechter ab als ärmere Länder wie Tansania und Simbabwe.
Für Südafrika ist das schlechte Bildungssystem Gift. Die Bevölkerung von derzeit rund 55 Millionen Menschen wächst stetig, aber die Wirtschaft stagniert. Die Arbeitslosenquote liegt bei über 27 Prozent. Experten sind sich einig: Signifikant verbessern wird sich die Lage nur, wenn das Bildungsniveau steigt. Die OECD schätzt, dass Südafrika schon bei einer moderaten Verbesserung der Schulresultate seine Wirtschaftsleistung bis 2030 mehr als verdoppeln könnte.
Die schlechte Leistung im Bildungssektor liegt nicht in erster Linie an fehlenden Mitteln: Südafrika investiert mit 6,4 Prozent seiner Wirtschaftsleistung mehr Geld in Bildung als viele EU-Staaten.
Einer der wichtigen Gründe für die Schulmisere ist, dass Lehrer unter dem rassistischen Apartheid-Regime schlecht ausgebildet wurden. Ihre Aufgabe war es nur, die Kinder darauf vorzubereiten, als Hausangestellte oder Minenarbeiter zu arbeiten. „Während der Apartheid wurde Schwarzen nie beigebracht, kritisch zu denken“, sagt Nsizwa Luthuli. Der 51-jährige Lehrer erinnert sich, dass ihm nur ein bisschen Mathe, Erdkunde und Geschichte beigebracht wurde. Aber der Staatssekretär des Bildungsministeriums, Mathanzima Mweli, ist zuversichtlich: Es werde sich verbessern, sobald die älteren Lehrer von Jüngeren, an der Universität ausgebildeten, abgelöst würden.
Ein weiteres Problem ist die extrem hohe Anzahl von Fehltagen der Lehrer, wie der Bildungsexperte Nicholas Spaull von der Universität Stellenbosch erklärt. Dass die Behörden dem nicht beikommen, liegt auch an der mächtigen Lehrer-Gewerkschaft SADTU. Sie beschützt auch unterdurchschnittliche Lehrer, wehrt sich gegen Evaluationen und nicht angemeldete Unterrichtsbesuche. Die Regierungspartei ANC, einst angeführt von Mandela, wagt nicht, SADTU in die Schranken zu weisen. Die Gewerkschaften sind seit der Apartheid ANC-Verbündete.
Viele Schüler scheitern wegen einer Sprachbarriere: Zuhause wachsen sie mit den örtlichen Sprachen auf, etwa Zulu, Xhosa oder Sesotho. In der Schule müssen sie ab der vierten Klasse dann fast alles auf Englisch meistern. „Das ist ein riesiges Problem“, räumt Mweli ein.
Wer Geld hat, kann die Probleme umschiffen. Das Gymnasium Northcliff etwa im gleichnamigen nördlichen Vorort von Johannesburg, punktet mit sehr guten Lehrern, einer Sporthalle, sogar einem großen Schwimmbecken. Dort fallen im Jahr 34000 Rand Schulgebühren (2350 Euro) an - mehr als eine Supermarktkassiererin in sechs Monaten verdient. Die teuersten Privatschulen kosten bis zu 100000 Rand.
Die Ungleichheit setzt sich an der Universität fort: Studiengebühren von bis zu 55000 Rand pro Jahr kann sich nur eine Minderheit leisten. Zudem wird an den Hochschulen in der Regel auf Englisch unterrichtet, was viele schwarze Schüler benachteiligt. Aber wer keinen Abschluss hat, wird sich auf dem Arbeitsmarkt schwertun.
Diese Probleme sind in der Xuma-Grundschule mit rund 900 Schülern weit weg. „Viele der Schüler kommen aus armen Familien, die Eltern sind arbeitslos, manchmal gibt es dort auch Gewalt“, sagt Lehrerin Lerato Motwhakane.
Für den Traum einer Gesellschaft, in der alle die gleichen Rechte haben, saß Mandela fast drei Jahrzehnte hinter Gittern. Doch 27 Jahre nach seiner Freilassung ist klar, dass es noch ein langer Weg sein wird, bis alle die gleichen Chancen haben.
Sinikka Tarvainen und Jürgen Bätz, dpa
In Südafrikas 25000 öffentlichen Grundschulen drängen sich jeweils bis zu 60 Schüler in einem Klassenzimmer. In adretten Schuluniformen sitzen sie an abgenutzten braunen Tischen. „Ich sehe Dich!“, faucht Lehrerin Nokuthula Musena einen Drittklässler an, als sie versucht, Ruhe in die Klasse zu bringen. Die Xuma-Grundschule gilt als eine der besten im Township Soweto, dem früheren Herz des Kampfes gegen die Apartheid. Musena muss heute in ihrer Klasse nur 41 Schülern die Sprache Zulu beibringen – doch viele Kinder passen nicht auf.
Forschern zufolge können fast ein Drittel der Schüler nach sechs Jahren Unterricht kaum lesen und schreiben. In Naturwissenschaften sieht es nicht besser aus: In einer Studie der OECD belegte Südafrika bei 76 Ländern den vorletzten Platz. In einem afrikanischen Vergleich schnitt Südafrika, das am meisten entwickelte Land des Kontinents, schlechter ab als ärmere Länder wie Tansania und Simbabwe.
Für Südafrika ist das schlechte Bildungssystem Gift. Die Bevölkerung von derzeit rund 55 Millionen Menschen wächst stetig, aber die Wirtschaft stagniert. Die Arbeitslosenquote liegt bei über 27 Prozent. Experten sind sich einig: Signifikant verbessern wird sich die Lage nur, wenn das Bildungsniveau steigt. Die OECD schätzt, dass Südafrika schon bei einer moderaten Verbesserung der Schulresultate seine Wirtschaftsleistung bis 2030 mehr als verdoppeln könnte.
Die schlechte Leistung im Bildungssektor liegt nicht in erster Linie an fehlenden Mitteln: Südafrika investiert mit 6,4 Prozent seiner Wirtschaftsleistung mehr Geld in Bildung als viele EU-Staaten.
Einer der wichtigen Gründe für die Schulmisere ist, dass Lehrer unter dem rassistischen Apartheid-Regime schlecht ausgebildet wurden. Ihre Aufgabe war es nur, die Kinder darauf vorzubereiten, als Hausangestellte oder Minenarbeiter zu arbeiten. „Während der Apartheid wurde Schwarzen nie beigebracht, kritisch zu denken“, sagt Nsizwa Luthuli. Der 51-jährige Lehrer erinnert sich, dass ihm nur ein bisschen Mathe, Erdkunde und Geschichte beigebracht wurde. Aber der Staatssekretär des Bildungsministeriums, Mathanzima Mweli, ist zuversichtlich: Es werde sich verbessern, sobald die älteren Lehrer von Jüngeren, an der Universität ausgebildeten, abgelöst würden.
Ein weiteres Problem ist die extrem hohe Anzahl von Fehltagen der Lehrer, wie der Bildungsexperte Nicholas Spaull von der Universität Stellenbosch erklärt. Dass die Behörden dem nicht beikommen, liegt auch an der mächtigen Lehrer-Gewerkschaft SADTU. Sie beschützt auch unterdurchschnittliche Lehrer, wehrt sich gegen Evaluationen und nicht angemeldete Unterrichtsbesuche. Die Regierungspartei ANC, einst angeführt von Mandela, wagt nicht, SADTU in die Schranken zu weisen. Die Gewerkschaften sind seit der Apartheid ANC-Verbündete.
Viele Schüler scheitern wegen einer Sprachbarriere: Zuhause wachsen sie mit den örtlichen Sprachen auf, etwa Zulu, Xhosa oder Sesotho. In der Schule müssen sie ab der vierten Klasse dann fast alles auf Englisch meistern. „Das ist ein riesiges Problem“, räumt Mweli ein.
Wer Geld hat, kann die Probleme umschiffen. Das Gymnasium Northcliff etwa im gleichnamigen nördlichen Vorort von Johannesburg, punktet mit sehr guten Lehrern, einer Sporthalle, sogar einem großen Schwimmbecken. Dort fallen im Jahr 34000 Rand Schulgebühren (2350 Euro) an - mehr als eine Supermarktkassiererin in sechs Monaten verdient. Die teuersten Privatschulen kosten bis zu 100000 Rand.
Die Ungleichheit setzt sich an der Universität fort: Studiengebühren von bis zu 55000 Rand pro Jahr kann sich nur eine Minderheit leisten. Zudem wird an den Hochschulen in der Regel auf Englisch unterrichtet, was viele schwarze Schüler benachteiligt. Aber wer keinen Abschluss hat, wird sich auf dem Arbeitsmarkt schwertun.
Diese Probleme sind in der Xuma-Grundschule mit rund 900 Schülern weit weg. „Viele der Schüler kommen aus armen Familien, die Eltern sind arbeitslos, manchmal gibt es dort auch Gewalt“, sagt Lehrerin Lerato Motwhakane.
Für den Traum einer Gesellschaft, in der alle die gleichen Rechte haben, saß Mandela fast drei Jahrzehnte hinter Gittern. Doch 27 Jahre nach seiner Freilassung ist klar, dass es noch ein langer Weg sein wird, bis alle die gleichen Chancen haben.
Sinikka Tarvainen und Jürgen Bätz, dpa
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Allgemeine Zeitung
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