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Odyssee in Psychiatrie - aus dem Tagebuch einer "Buschschülerein"

Als die 16-jährige Ramona (Name geändert) Anfang 1999 im Rahmen des Projekts Buschschule Namibia in dieses Land kam, sollte sie ein "besserer Mensch" werden.

Doch hier erlebte sie quasi die Hölle auf Erden. Rund zehn Monate verbrachte sie auf Staatskosten in der Nervenklinik, während die Buschschule weiter in voller Höhe für ihre Betreuung aus Deutschland kassierte (AZ berichtete). In einem Bericht, der zum großen Teil aus Ramonas Tagebuchaufzeichnungen entstand, rekonstruiert sie ihre Zeit im Hospital (gekürzt).





Am 08.07.1999 bin ich eingeliefert worden. Ich hatte überhaupt keine Ahnung wo ich überhaupt war und habe kein Wort von dem verstanden, was die Schwestern zu mir gesagt haben. Afrikaans konnte ich noch nicht und Englisch nur ganz wenig. Zu meinem Glück war noch eine Deutsche da. Doch die wurde einen Monat später entlassen. Von der Buschschule war nur einmal James da, aber erst nach langer Zeit. Mir wurde gesagt, dass ich ein Gespräch mit Dr. Sieberhagen (der einweisende Arzt, d.Red.) bekomme, doch auch er kam nie. Ich weiß nicht was für mich das schlimmste da war: das Eingesperrtsein zwischen irgendwelchen Irren, die sich da ausziehen und mit Steinen schmeißen, überall hinkotzen, ihre Scheiße an die Wände schmieren, oder die Kakerlaken, die nachts sogar durchs Bett liefen. Oder aber dass ich nichts verstand, mich nicht wehren konnte, einfach hilflos war, um da jemals wieder rauszukommen - dieser ständige gleiche Ablauf Tag ein Tag aus, nichts geschah und niemand kam...


Ich wurde dort mit irgendwelchen Medikamenten vollgepumpt. Ich hatte tierische Schmerzen von dem Kram, ein Krampf im ganzen Körper. Meine Arme und Beine haben die ganze Zeit gezittert, mein Kopf ist immer nach hinten gefallen oder zur Seite und ich hatte Mühe mich überhaupt zu bewegen. Meine Augen haben sich auch ständig nach oben hin verdreht. Wenn es noch ging mit dem Zittern, habe ich eine Pille bekommen und es wurde weniger, aber wenn es zu spät war musste ich Spritzen bekommen.


Es war mal ein Dr. Schubert bei mir, da er Deutsch konnte. Er wollte mich da raus haben und ich hatte auch die Hoffnung dass er es schafft. Doch er war vielleicht zweimal da und kam nicht mehr. Woche für Woche habe ich mir gesagt, nächste Woche komme ich bestimmt raus, doch irgendwann habe ich auch die Hoffnung aufgegeben. Wie gesagt, von der Buschschule war selten jemand da. Oft haben sie gesagt sie kommen und ich wartete und niemand kam. Ich habe auch dort kein Geld bekommen, die ganzen Monate nicht. Wenn ich Glück hatte und jemand kam zu Besuch, dann hat er mir etwas mitgebracht oder mir eine Coke gekauft. Am 15.08.99 wurde mir von James gesagt, das die Buschschule selber ein Hospital aufmacht, wo ich dann hinkomme. Deswegen wäre ich noch immer dort. Weil Herr Scharnowski (zu diesem Zeitpunkt Geschäftsführer der Buschschule, d.Red.) auch meinte, es gäbe keine Gasteltern für mich. Aber zu der Zeit wusste ich nicht einmal, dass es dieses Haus nie geben wird und dass dieses besagte Hospital von der Buschschule erst noch gebaut werden musste.


Es war dort echt schwer auszuhalten. Die meisten anderen Patienten waren alle einfach durch. Ich meine die waren echt verrückt. Meistens waren es auch ältere Leute, wenn die angefangen haben zu husten, fingen die auch meist an zu urinieren. Beim Essen fingen die Patienten öfters an zu kotzen. Das Essen war dort immer dasselbe. Gegessen wurde von Plastik-Tellern und wenn wir Besteck hatten, dann nur Plastiklöffel. Aber meistens haben wir mit den Händen gegessen. Aber wahrscheinlich war es auch besser so.


Morgens ist man aufgestanden, dann gab es Tabletten und Frühstück, man hat gewartet bis 12.00 Uhr, dann gab es Mittag. Dann hat man wieder gewartet bis 15.00 Uhr und es gab Tee. Dann hat man nur noch bis 20.00 Uhr gewartet, da gab es nochmal Abendbrot und Tabletten. Und das jeden Tag. Am 26.08.99 wurde noch jemand von der Buschschule eingeliefert, Doreen (Name geändert). Die war echt krank. Aber das habe ich nicht verstanden, dass sie vorher rausgekommen ist als ich. In den ersten drei Monaten saß ich einfach nur in einer Ecke und habe mir alles angesehen und ausgehalten. Was ich sehr schätze ist, dass die Putzfrauen und ein paar Schwestern sich ständig mit mir unterhalten haben, obwohl sie genau wussten, dass ich nicht ein Wort verstehe. Eine Putzfrau (Renate Modise) hat mich immer aus einer Zeitung vorlesen lassen und irgendwann konnte ich dann Afrikaans.


Mal hat Frau Dr. Hoffmann mit mir geredet, aber Ärzte habe ich auch oft wochenlang nicht gesehen. Dann hat Frau Dr. Hoffmann ihren Bruder zu mir geschickt, der Psychologe ist. Aber mit dem kam ich gar nicht klar und er kam dann auch nicht mehr.


Manchmal wurden die Patienten da echt zu brutal behandelt. Mit dem Schambock geschlagen und einmal war eine Patientin über einen Monat in dieser Einzelzelle. Da wollte ich ja auf gar kein Fall rein. Doch einmal bin ich freiwillig da reingegangen. Ich habe mich geweigert meine Tabletten zu nehmen, da ich davon halt diesen Schmerzen hatte. Die Schwester hat gesagt, entweder nehme ich die Tabletten oder sie lässt mich in die Einzelkammer sperren. Ich dachte mir, bevor sie die Securitys holt gehe ich freiwillig. Dann saß ich da die ganze Nacht drinnen.


Nach einer Zeit haben die Schwestern wohl mitbekommen das ich völlig "normal bin". Die haben mich dann mal mit nach draußen genommen. Die Schwestern haben mir gesagt, dass ich eigentlich schon lange entlassen bin, aber die Buschschule sich querstellt um mich rauszuholen. Nach einer Zeit habe ich den Putzfrauen beim Saubermachen geholfen, in der Küche oder den Schwestern beim Tabletten austeilen. Trotzdem war es dort immer noch ätzend und die Buschschule hatte angeblich auch zu viel zu tun, um mich mal zu besuchen. Wenn ich von jemanden aus der Buschschule Besuch bekam, war ich danach natürlich immer down. Denn ich sollte aufhören zu fragen, wann ich da raus komme, sonst würden sie mich nicht mehr besuchen. Worüber hätte ich mich denn sonst unterhalten sollen?


Das schlimmste fand ich immer, wenn da drinnen die Leute gestorben sind. Sich die Zunge abgebissen haben oder einfach nur da liegen und langsam am Sterben sind.


Am 29.10.99 war Frau Pillmannova (Direktorin und amtierende Geschäftsführerin der Buschschule, d.Red.) zum ersten Mal bei mir. Aber da ist auch nichts bei rausgekommen. Ich hab nur die Hoffnung aufgegeben, zu Weihnachten da noch rauszukommen. Nach einer Zeit habe ich mich damit abgefunden, da drinnen zu sein und vor der ,Außenwelt" hatte ich schon sogar etwas Angst. Aber das änderte nichts an meiner Situation, da raus zu wollen.


Am 1.11.99 hatte ich mein erstes Gespräch mit Herr Scharnowski. Da hat er mich vor die Entscheidung gestellt ob ich leben will (er) oder den Tod (Hospital). Er hat mir dann etwas von einer Gastfamilie in Walvis Bay erzählt, wo ich wohl hin sollte.


Dann wurde ich eine Zeit lang mit Valium vollgepumpt. Meine Tabletten, die ich nehmen musste, haben ständig gewechselt, da sie angeblich alle nicht bei mir geholfen haben. Wie ein Versuchskaninchen kam ich mir vor. Aber dass die Leute nicht verstanden haben, dass man solche Gefühle nicht mit irgendwelchen Tabletten wegbekommt. Dafür bin ich den Schwestern und Pflegern sehr dankbar, denn nicht die Tabletten haben mir geholfen, sondern dass die Schwestern/Pfleger und Securitys immer für mich da waren. Ich war wie ein Kind von allen und das hat mir geholfen. Die Schwestern wollten mich am Wochenende mal mit zu sich nach Hause nehmen und Dr. Hoffmann hielt das auch für eine gute Idee. Doch die Buschschule wollte das absolut nicht.


Im November 99 fiel der Buschschule wohl mal ein, dass ich wohl irgendwann mal Schule machen muss und dann kam die Lehrerin und hat mich unterrichtet. Ich frag" mich wie die Buschschule meine Monatsberichte geschrieben hat. Die waren ja so gut wie nie da. Doreen war echt krank und das war auch wieder ein Ding was ich nicht verstanden habe. Sie kam am 22.11.99 zu Fam. Eder, sie wurde vor mir entlassen! Aber sie hatte noch Eltern, die bei der Buschschule Druck gemacht haben. Nach mir hat ja nie einer gefragt - selbst das Jugendamt nicht.


Ich bekam ein Psychologen, Dr. Joab, doch der konnte nur Englisch. Die Lehrerin hat mich zum Nikolaus zu sich nach Hause geholt. Ich glaube das war der schönste Tag nach langer Zeit. Am 27. Dezember habe ich Dr. Sieberhagen zum ersten Mal wieder gesehen. Ich hab ihn gefragt warum er mich ins Hospital gesteckt hat und dann nie wieder gekommen ist. Er war nur verwundert, dass ich Afrikaans konnte und immer noch im Mentaly bin. Er sagte mir, er würde mal mit Dr. Hoffmann reden.


Am 15.12.99 meinte Frau Pillmannova, dass sie von Frau Schröder (für Ramona zuständige Jugendamt-Mitarbeiterin, die zugleich das Sorgerecht hatte, d.Red.) eine mündliche Zusage hat, mich aus dem Hospital zu holen; sie braucht aber noch das Schrifftliche. Jeder hat versucht die Schuld jemand anderem zu geben, dass ich da noch immer nicht draußen war.


Ich sagte zu Frau Pillmannova, sie soll mich zurück nach Deutschland schicken. Die deutsche Psychiatrie ist gegen die in Namibia echt der wahre Luxus. Ich habe versucht, mit Herrn Scharnowski zu reden, aber er hat das Talent, einen immer hinzuhalten. Angeblich hat er viel zu tun und ich soll ihm doch vertrauen. Aber das Ding ist, dass er sich nur für seinen Fußball interessiert, aber nicht für seine Jugendlichen. Am 22.12.99 bekam ich dann Dr. Japhet als Arzt und er hat mich sofort bis zum 7. Januar entlassen zu Familie Eder, denn eine andere Familie hatte ich ja nicht."


Nach Ärger mit Tätlichkeiten bei der Gastfamilie wurde Ramona Anfang Februar 2000 erneut in die Psychiatrie gebracht. Sie berichtet weiter:


"Die Buschschule ließ mich einfach dort ohne irgendwelche Anziehsachen oder Waschzeug. Noch nicht einmal eine Zahnbürste hatte ich. Die Buschschule hat mich einfach da abgeliefert und hat sich fast zwei Monate nicht gemeldet. Nach ca. zwei Monaten kam dann jemand vorbei und hat mir ein paar Sachen gebracht. Mir wurde gesagt, ich muss warten bis Herr Scharnowski aus Deutschland wieder da ist. Er hätte das Sagen und die anderen Mitarbeiter wüssten nicht wo ich hin soll.


Mit meinem Jugendamt durfte ich auch nicht sprechen. Denn als ich zu Frau Pillmannova sagte, dass ich nach Deutschland will, war das mal wieder nicht möglich, oder mein Jugendamt (Frau Schröder) hatte gerade mal wieder Urlaub. Oder sie dürfte es ohne Herr Scharnowski nicht entscheiden. Dr. Hoffmann sagte mir, sie würde mich ja entlassen, aber so lange die Buschschule keine Gastfamilie für mich hat, könne sie das nicht. Sie wollte mich nicht auf die Straße schicken.


Im Hospital war es manchmal echt schwer das auszuhalten, obwohl sich die Schwestern und alle echt versucht haben, es mir so angenehm wie möglich zu machen. Doch da war mal eine andere Deutsche, mit der ich mich gut verstand. Doch leider hat sie sich im Zimmer 21 erhängt. Das war am 08.04.2000 und da hat es auch niemanden interessiert wie ich damit klar komme, denn bei dem Anblick hatte ich echt einen weg.


Meine Lehrerin konnte es nicht länger mit ansehen wie ich da drinnen leidete. Sie bot sich auch der Buschschule an, doch wieder wollten das Herr Scharnowski und Frau Pillmannova nicht. Doch meine Lehrerin hat mich nicht hängen gelassen. Sie ist persönlich zu Dr. Sieberhagen gegangen und hat mit ihm geredet. Er war einverstanden und hat es angeordnet, dass ich jetzt entlassen werden muss und zu meiner Lehrerin komme. Da hatte ich einfach Glück und diesen Gasteltern verdanke ich einfach viel. So wurde ich dann am 16.06.2000 entlassen.


Ich kann nur nochmal sagen, dass es da im Mentaly für mich die Hölle war. Oft wenn ich heute noch daran denke, ist es einfach ein verdammtes Scheißgefühl und ich versuche es alles zu verdrängen. Denn ich wurde da einfach abgeschoben und ich finde nicht, dass die Buschschule ihren Pflichten nachgekommen ist. Die haben es sich einfach schön einfach gemacht. Haben für mich Geld aus Deutschland kassiert und den Aufenthalt im Hospital hat der namibische Staat zahlen müssen. Mir fehlen die Worte um meine Gefühle dazu zu finden. Ich bin einfach froh, dass es vorbei ist und ich keine Angst mehr haben muss, da jemals wieder rein zu kommen."

Kommentar

Allgemeine Zeitung 2024-04-19

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