NUR 24 ZEILEN (51. Folge)
NUR 24 ZEILEN (51. Folge)

NUR 24 ZEILEN (51. Folge)

Eine wahre Geschichte über den Krieg, die Liebe und den langen Weg zurück nach Afrika
Claudia Reiter
DIE KETTE REISST (Kapitel 16, Teil 1/4)

Was jetzt geschieht, habe ich als Kind nicht gewusst. Die Märchenliebe hatte Brüche. Hildegards nächster Brief ist so schockierend, dass ich lange nach Anhaltspunkten gesucht habe, um zu verstehen, was mit ihr damals geschehen ist. Ihre Erzählungen nach Kurts Tod gaben in Bruchstücken, in wenigen Andeutungen einen ersten Einblick, aber wie es ihr wirklich ging, erfahre ich vorwiegend aus den Briefen, die sie viel später an ihn geschrieben hat.

Auch wenn Kurt im Jahr 1947 endlich frei ist – die acht langen Jahre der Trennung stehen auf einmal wie eine tiefe Kluft zwischen den Liebenden. Als Kurt Hildegard verlassen hat, war sie ein Mädchen von siebzehn Jahren und hatte gerade ihre Schule beendet. Jetzt ist sie eine junge Frau von fünfundzwanzig. Sie hat ein Studium absolviert, hat eine Arbeit aufgenommen und hat die Jahre des Zweiten Weltkriegs in einer zunehmend antideutschen Umgebung verbracht. Kurt ist sechsunddreißig, war acht Jahre in Gefangenschaft nur unter Männern, hat die meisten Entwicklungen in Deutschland und Südafrika nicht mitbekommen.

Schon während des Kriegs und besonders seit sie nach dem Studium zu arbeiten begonnen hat, bedeuten ihr das Deutschsein und vor allem Deutschland immer weniger. Sie sieht Deutschland nicht mehr als ihre eigentliche Heimat an, sondern als ein fremdes, fernes Land, das sich während des Kriegs als eine Nation entpuppt hat, die nichts mit ihren Vorstellungen vor dem Krieg zu tun hat. Sie sieht die Deutschen nicht mehr als ein vorbildliches Volk mit hohen Zielen, sondern als Menschen, die unter Adolf Hitler eine grausame Politik verfolgt, grausame Unmenschlichkeit gezeigt und einen grausamen Krieg geführt und verloren haben. Die Werte, die Lehrer, Eltern und auch Kurt mit Deutschland verknüpft und ihr in ihrer Jugend nahegebracht haben, sind ihr abhanden gekommen, sind zum Teil in ihr Gegenteil verkehrt worden.

Schon auf der englischen Schule ist sie in einen neuen Kulturkreis getreten, und während ihres Studiums an einer afrikaansen Universität hat sie Freundschaften mit Afrikaans sprechenden Südafrikanern geschlossen, hat ihre Sprache und Kultur kennen und lieben gelernt, auch wenn ihr einiges fremd geblieben ist, wie die strenge kalvinistische Religiosität. Das Land ihrer Geburt, Südafrika, wird mit der Zeit auch die Heimat ihres Herzens, hier fühlt sie ihre echten Wurzeln, hier will sie bleiben, leben und etwas aufbauen – und nicht mehr in dem fernen Land ihrer Großmutter, das sie nie kennengelernt hat und auch nicht mehr kennenlernen will.

Dazu kommt, dass nach dem Krieg viele deutsche Familien deportiert worden sind, die deutsche Gemeinschaft am Kap immer kleiner wird, während die jungen englisch- und afrikaanssprachigen Männer aus dem Krieg zurückkehren und ein lebendiges gesellschaftliches Leben mit Tänzen, Spieleabenden und Ausflügen ins Leben rufen. Hildegards jüngere Schwester Barbara heiratet 1946 einen Engländer, ihr Bruder verlobt sich mit einer Afrikaanerin, es ist gesellschaftlich nicht mehr wichtig, einen deutschen Ehepartner zu wählen, auch wenn Hildgards Eltern es nach wie vor gern gesehen hätten. Nach seiner Hochzeit spricht ihr Bruder fortan nur noch Afrikaans zu Hause und Englisch im Geschäft und wird ein schnurrbärtiger südafrikanischer Gentleman. Barbaras Mann hat im Krieg als Engländer gegen die Deutschen gekämpft, aber all das spielt nach dem Krieg unter den jungen Südafrikanern aus deutschem Haus keine Rolle mehr. Mutters jüngste Schwester Uschi heiratet später ebenfalls einen Afrikaaner. Man trifft sich als Familie zwar immer noch bei den Eltern Mereis, spricht aber wegen der Schwiegerkinder auch dort vermehrt Englisch.

Selbst die Eltern Mereis wirken zunehmend wie ein vornehmes englisches Ehepaar und haben englische Freunde und Bekannte. Und doch wird in Briefen deutlich, wie sehr sie unter der Entfremdung ihrer Kinder von der deutschen Sprache und Kultur leiden, wie schwer es ihnen fällt, die englischen und afrikaansen Schwiegerkinder zu akzeptieren, wie gern sie es gesehen hätten, wenn ihre Kinder ihnen deutschsprachige Enkelkinder geschenkt hätten. Mutter Mereis schreibt 1947 einmal an Kurt:

Lieber Herr Falk,

Sie ahnen gar nicht, wie groß mein Kummer ist um meine Kinder. Alle haben sich so sehr verändert, ich weiß nicht, ob nur der Krieg daran Schuld hat oder ob sie sich sowieso verändert hätten. Einst waren sie alle gute deutsche Kinder – heute kommen sie mir fast fremd vor. Der gesellschaftliche Verkehr besteht nur noch aus Afrikaanern und Engländern, und alles, was sie früher so schätzten und achteten, ist vorbei. Unsere Barbara hat im August einen Mr. Thomson geheiratet, und obwohl der junge Mann sehr nett und gut zu Barbara ist, kann ich es noch immer nicht fassen, daß er mein Schwiegersohn ist. Kurt hat sich kürzlich mit einer Afrikaanerin verlobt – auch hier stelle ich mir immer wieder die Frage: Wie ist es möglich? Doch ich schweige, denn jeder Mensch sucht seinen eigenen Lebenspartner, und ich hoffe, daß die Kinder glücklich werden. Mein Mann und ich sind aber trotz des Kriegsverlustes deutsch geblieben und empfinden es daher doppelt, daß unsere Kinder ihre eigene Sprache so wenig achten und schätzen.

Kommentar

Allgemeine Zeitung 2024-04-27

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