NUR 24 ZEILEN (3. Folge)
NUR 24 ZEILEN (3. Folge)

NUR 24 ZEILEN (3. Folge)

Eine wahre Geschichte über den Krieg, die Liebe und den langen Weg zurück nach Afrika
Wiebke Schmidt
PROLOG (Teil 3/3)

Am Schiller-Gymnasium machte er 1930 das Abitur – wie gut, wie schlecht, keine Ahnung. Zur Aufnahme an der Universität Leipzig reichte es. Zuvor absolvierte er jedoch noch seinen einjährigen Militärdienst. An Wehrdienstverweigerung dachte damals niemand, Soldat zu sein war Bürgerpflicht. Auch über sein Jahr beim Militär hat er nicht viel erzählt, außer, dass er der einzige Brillenträger in seiner Kompanie gewesen sei. Es kann ihm nicht sonderlich gefallen haben. Für ihn war das Leben, das hat er mir einmal gesagt, ein Klavierspiel, mit einem Reichtum an Melodien, Tonarten, Rhythmen. Beim Militär gab es nur einen Ton, in gleichmäßiger, abgehackter Wiederholung.

Im Jahr seines Militärdienstes erhielt die NSDAP nach der Reichstagswahl 1930 einen enormen Stimmenzuwachs und die freien Jugendbünde gerieten zunehmend unter Zugzwang, sich in die Hitlerjugend einzugliedern. Dies führte anscheinend zu heftigen Konflikten, denn einige wollten sich nach wie vor klar von parteipolitischen Kampfgruppen abgrenzen, andere dagegen hofften, gerade in der Hitlerjugend ihre Ideale und Träume verwirklichen zu können. Da Kurt nie Mitglied der Hitlerjugend war, nehme ich an, dass er zu der ersten Gruppe gehörte oder nach der Schule aus dem Jugendbund ausgetreten war.

Natürlich würde ich heute als Tochter gerne lesen oder erfahren, dass mein Vater den Nationalsozialismus aus politischen Gründen abgelehnt hat, dass er seine Unmenschlichkeit, seine antidemokratische Komponente erkannt und verworfen und eine politische Haltung des Widerstands eingenommen hat. Aber ich vermute, dass es ihm in seiner Ablehnung am Anfang nicht um den Inhalt der Nazi-Politik ging, er verpönte eher ihre Form, ihre lautstarken Paraden auf den Straßen und die enge, straffe Organisation innerhalb der NSDAP.

1931 begann Kurt mit einem Lehramtsstudium an der Universität Leipzig. Er wäre gern Gymnasiallehrer geworden, aber da die Mutter Mühe hatte, die vier Jungs durch die Ausbildung zu bringen, musste er ein kürzeres Studium wählen, um so bald wie möglich selbst Geld zu verdienen. Andererseits entschied er sich auch gerne für den Beruf des Volks- und Realschullehrers. Die Lehren des großen Schweizer Pädagogen Johann Heinrich Pestalozzi (1746-1827) waren gerade neu entdeckt worden und seine Idee der „Bildung für alle“ für viele junge Studenten ein Anreiz, am Aufbau einer Volksschule in Deutschland mitzuwirken. Vater schrieb auch seine Abschlussarbeit über Pestalozzi, dessen Ansätze er sein Leben lang in seine eigene pädagogische Praxis übernommen hat, vor allem das damals noch ganz neue Konzept, „Kopf, Herz und Hand“ der Kinder ganzheitlich und in Harmonie zueinander zu entfalten.

Als ich 1978 selbst eine Schule für schwarze Farmkinder gründete und meinen Vater bat, mir während der ersten Wochen dabei zu helfen, schenkte er mir seine alten zerlesenen Bücher von Pestalozzi gekauft und studiert hatte. Und auch ich las die Bücher mit Begeisterung – zumal Pestalozzi nicht nur Pädagoge, sondern darüber hinaus ein wichtiger Schul- und Sozialreformer war und auch wir in Namibia eine neue Schule für alle Kinder, schwarze und weiße, aufbauen wollten.



Die Universität Leipzig, die zweitälteste und zeitweilig größte Universität Deutschlands, war in ihrer Einstellung eher rechtskonservativ. Im November 1933 unterschrieben über hundert Professoren einen Aufruf zur Wahl Adolf Hitlers und nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs gehörte sie zu den vier „großdeutschen“ Universitäten, die weiterhin unterrichten durften. Wie sehr der konservative und später nationalsozialistische Geist der Universität Leipzig Kurt geprägt hat, weiß ich nicht, wahrscheinlich blieb er weiterhin eher unpolitisch und zog während der Studienferien mit Jugend- und Wandergruppen durch die Lande, unter anderem auch durch den Balkan. Er liebte die unberührte Schönheit und Wildheit Jugoslawiens und spielte mit dem Gedanken, einmal als Lehrer dort zu arbeiten. Im Juli 1933 schloss er sein Studium am Pädagogischen Institut mit dem Staatsexamen ab und absolvierte anschließend ein damals übliches Probejahr an verschiedenen Schulen des Landes.

Inzwischen marschierten immer mehr Jugendbünde unter der Hakenkreuzfahne auf, und im Jahr 1933 schlossen sich die meisten Jungen und Mädchen des „Großdeutschen Jugendbundes“ der Hitlerjugend an. Auch der Druck auf Lehrer und Staatsbeamte, in die NSDAP einzutreten, wurde immer größer. Dem zunehmenden Zwang, sich den schreienden Nationalsozialisten anschließen zu müssen, entzog sich Kurt nach eigenen Aussagen durch einen folgenreichen Entschluss: Er bewarb sich als Lehrer für den Auslandsdienst. Die Auswärtige Kulturpolitik der Weimarer Republik legte Wert auf die Verbreitung der deutschen Sprache im Ausland, auf die kulturelle Betreuung der Auslandsdeutschen sowie auf den Ausbau eines deutschen Auslandsschulwesens. Warum mein Vater Südafrika gewählt hat, ist unbekannt. War es Zufall, hatte er über dieses Land etwas gelesen, war es Schicksal? Er wäre vermutlich an irgendeine Ecke der Welt gezogen, um der immer enger werdenden Heimat zu entkommen, Neues zu erleben, neue Menschen und Kulturen kennenzulernen.

Auch meinem Vater war es damals ein Anliegen, die deutsche Kultur in der Fremde zu „pflegen“. Er liebte insbesondere die deutsche Literatur und Musik, und mit den Wandervögeln teilte er die Ansicht, dass Menschen der gleichen Kultur eine tiefe geistige und seelische Verbindung miteinander haben (können), denn, so schrieb er in einem Brief, sie schöpfen aus derselben Quelle. Mit dieser Ansicht verband er aber keine Überheblichkeit gegenüber anderen Kulturen. Im Gegenteil, jede Kultur war für ihn faszinierend, einzigartig und eine Bereicherung für die Menschheit.

Das Auswärtige Amt übernahm ihn sofort nach seinem Antrag und entsandte ihn in die damalige „Union of South Africa unter britischer Verwaltung, und zwar an eine kleine deutsche Gemeindeschule in Paarl am Kap. Der Abschied von der Mutter fiel ihm schwer, und auch die Mutter war traurig, als ihr Ältester in die weite Welt ging, zumal Heinz, der Zweitälteste, inzwischen seinen Militärdienst begonnen hatte.

Wie damals üblich ging es per Schiff nach Südafrika – es war das erste von zahlreichen Schiffen, die ihn in den folgenden Jahren, teils freiwillig, teils unfreiwillig, durch die Welt befördern sollten. Er war vierundzwanzig Jahre alt. Voller Abenteuerlust. Voller Ideale. Er konnte nicht ahnen, wie bedeutungsvoll, auch verhängnisvoll dieser Schritt aus Deutschland heraus für den Rest seines Lebens sein würde.

Kommentar

Allgemeine Zeitung 2024-03-29

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