Nicht kalt, sondern cool

Wer Stars sehen will, braucht mehr Durchhaltevermögen als ich es hatte. Eineinhalb Stunden immerhin hatten wir uns die Beine in den Bauch gestanden, um bei der Eröffnung der Berlinale am 7. Februar einen Blick auf die Rolling Stones zu erhaschen. Natürlich hätten wir über die Köpfe der anderen Hundert Zaungäste hinweg sowieso nichts gesehen. Aber wir brauchten uns nur um 180 Grad zu drehen, weg vom eigentlichen Geschehen, dann aber mit Blickrichtung auf die große Leinwand, die mitten ins Zentrum des Berlinale-Universums zoomt: auf den Roten Teppich. Dort immerhin entdeckten wir Goldie Hawn, von der man sagt, dass sie - uneingeladen, ganz der Groupie-Effekt - nur wegen Mick Jagger und Konsorten nach Berlin gereist war. Und Daniel Brühl, der seit "Goodbye Lenin" als Hollywood-Shooting-Star gehandelt wird. Und Heike Makatsch, deren Anblick ich persönlich ausgesprochen süß finde, die aber von allen Umstehenden irgendwie völlig ignoriert wurde. Shame, nur weil sie gerade Babypause hatte?

Jedenfalls reichten mir eineinhalb Stunden für Goldie, Heike und Daniel sowie zahllose mir unbekannte Berliner Filmgrößen. Wir machten unseren Abgang bevor Mick Jagger seine Aufwartung machte. Und "Shine a Light" habe ich mir auch später nicht angesehen. Zum Glück hat die Berliner Zeitung mein vorgefasstes Urteil bestätigt: "Zwei Stunden lang spielte in 'Shine a Light' ein Quartett komisch aussehender älterer Herren routiniert ein paar Honkytonk-Nummern herunter, alles im gleichen Tempo." Musikdokus zählten noch nie zu meinen Lieblingsgenres.

Wenn Berlin gerockt hat, dann hatte das auch nicht so viel mit Madonna zu tun, die mit "Filth and Wisdom" ihr Regiedebüt präsentierte. Genausowenig mit Patti Smith, die im Filmhaus Berlin Christoph Schlingensiefs "African Twin Towers" vorstellte - jene endlosen, improvisierten Filmszenen, die der umstrittene Theater- und Filmregisseur vor zwei Jahren in Lüderitzbucht und Umgebung drehte. Die Musikfilme, so will es scheinen, sollten der Berlinale noch mehr Glanz und Aufsehen verleihen als sie sowieso schon hat. Immerhin schien die Rechnung aufzugehen, da einer der Streifen Goldie Hawn angelockt hat.

Spannender aber waren andere Wettbewerbsbeiträge. Etwa der erste Spielfilm des Brasilianers José Padilha, dessen viel beachtete Dokumentation "Bus 174" vor zwei Jahren beim Wild Cinema Windhoek International Film Festival gezeigt wurde. Padilha stellte jetzt bei der Berlinale mit "Tropa de Elite" (Elite-Einheit) sein Spielfilmdebüt vor: Es erzählt vom Kampf einer Spezial-Einheit der Militärpolizei gegen die Drogenmafia in den Elendsvierteln von Rio de Janeiro. Dass er dafür den Goldenen Bären erhielt, den wichtigsten Filmpreis der Berlinale, kam für viele Festivalbesucher überraschend. Denn als Favorit wurde bis zur Preisverleihung Thomas Paul Andersons Öl-Epos "There Will Be Blood" gehandelt, der stattdessen mit zwei Silbernen Bären Vorlieb nehmen musste: Für den besten Regisseur und die beste künstlerische Leistung.

Auch andere Filmemacher, deren Werke man zuvor schon bei Wild Cinema hatte sehen können, warteten in Berlin mit neuen Arbeiten auf: Der israelische Regisseur und Produzent Eran Riklis etwa, dessen Film "Syrian Bride" 2007 in Windhoek lief. Nun präsentierte er mit "Lemon Tree" einen neuen Streifen, in dem es wieder um eine persönliche Geschichte im Grenzstreit zwischen Israelis und Palästinensern geht. Der Film erzählt von der Witwerin Salma Zidane (Hiam Abbas), deren Zitronenhain in einem Palästinenserdorf in der Westbank ins Visier der Sicherheitsbehörden rückt, als genau jenseits der Grenze der israelische Verteidigunsminister einzieht. Selma kämpft einen scheinbar vergeblichen Kampf gegen den mächtigen Minister, der ihre Zitronenbäume als Sicherheitsrisiko betrachtet.

Auch Südafrika wartete bei der Berlinale mit einem starken Film auf, der nach dem Oscar-Erfolg von "Tsotsi" bald als der neuste Exportschlager aus dem Süden Afrikas gelten könnte: "Jerusalema". Dieser Streifen unter der Regie von Ralph Ziman erzählt eine etwas andere Tsotsi-Geschichte - der Held ist nämlich ein schwarzer Gangster in Schlips und Kragen, der weiße Immobilienbesitzer im Johannesburger Township Hillbrow auf clevere und halbwegs legale Art und Weise um ihren Besitz bringt.

Oft sind es die kleinen und von der Presse gar nicht weiter beachteten Filme, die sich zu Höhepunkten eines Berlinalebesuches entwickeln können. Mein ganz persönlicher Favorit: "Rusalka, die Meerjungfrau". Es ist der zweite Spielfilm der in Aserbaidschan gebürtigen Regisseurin Anna Melikian. Er erzählt die wunderbar poetischen Abenteuer der "Meerjungfrau" Alisa, die in einem kleinen Dorf am Meer aufwächst, davon träumt, Ballettänzerin zu werden, und die es schließlich in den Großstadtdschungel von Moskau verschlägt. Alisa hatte nach einem Erlebnis mit sechs Jahren aufgehört zu sprechen, aber sie besitzt eine bemerkenswerte Eigenschaft: Sie kann Wünsche in Erfüllung gehen lassen. Anna Melikians Film ist ein charmantes modernes Märchen, in dem sich alte Mythen und jugendliche Imagination zu einer surrealen Großstadtromanze verbinden. Ein absolut geeigneter Kandidat für "Wild Cinema" 2009.

Wer am Tag drei bis vier Filme konsumiert und dazwischen noch Treffen mit Festivalpartnern bewältigen will, hat praktisch keine Zeit mehr für die berühmten Berlinale-Partys. Die sollen die bundesdeutsche Hauptstadt vom 7. bis 17. Februar wieder zum Kochen gebracht haben. Aber auch zu diesem Thema darf wieder die Berliner Zeitung zitiert werden, die nach vielen durchfeierten Nächten ein ernüchterndes Resümee zieht: "Wild und ausschweifend war auf diesen Berlinale-Partys nur eines: die konsequente Missachtung des Rauchverbots." Nichtsdestotrotz: Berlinale-Chef Dieter Kosslik hat es auf den Punkt gebracht, als er in seiner Abschlussrede zu den diesjährigen Filmfestspielen bemerkte: "Berlin war dieses Jahr nicht kalt, sondern cool."

Kommentar

Allgemeine Zeitung 2024-04-20

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