Namdeutsch Artikel
Von Benjamin Schaller, Windhoek
Wenn jemand zu einem Termin „pünktlich wie die Maurer“ erscheint, war er dann rechtzeitig vor Ort? Oder hat sich derjenige verspätet? Scheinbar feste sprachliche Instanzen wie Sprichwörter sind offenbar nicht vor Veränderungen gefeit, wenn sie unter veränderten Lebensumständen eingesetzt werden. So erläutert der namibische Schriftsteller Helmut Sydow im Vorwort seines Buches „Umbruchzeiten“ den deutschen Ursprung des Sprichwortes (demzufolge Maurer tatsächlich pünktlich seien) folgendermaßen: „[…] im Mittelalter, als die Redensart entstand, waren Handwerker noch zuverlässig. Das möge heute nicht mehr zutreffend sein, ändere aber nichts am Sinn der Redensart.“ In Namibia allerdings könne dies laut Sydow nicht eins zu eins übernommen werden: „Uns Namibia-Deutschen [bleibe] als Folge der Lebensumstände gar nichts anderes übrig, als uns ab und zu selbst auf den Arm zu nehmen. Außerdem seien hier die Maurer notorisch unpünktlich. Das sei empirisch bewiesen. Deshalb werde die Redensart hier ironisch verwendet.“
Sprache ist kein festgefahrenes Konstrukt. Sie wurde von Menschen für Menschen erschaffen, als nutzbringendes Werkzeug, und deshalb ist es ihr auch erlaubt, sich zu verändern. Inwiefern sich hiesige sprachliche Besonderheiten im „Namdeutsch“ entwickelten und heute bemerkbar machen, war das Thema einer vor etwa einem Jahr gestarteten wissenschaftlichen Studie. Es handelt sich um eine Gemeinschaftsarbeit zweier Universitäten in Potsdam und Berlin sowie der Universität von Namibia. Die Initiative ging von der Potsdamer Professorin Heike Wiese aus. Sie gilt als Expertin für das „Kiezdeutsch“, eine urbane Sprachvarietät, die insbesondere bei Migrantenkindern verbreitet ist. Diesen mehrsprachigen Einfluss sieht Wiese auch in Namibia, weshalb sie interessiert an die UNAM-Professorin Marianne Zappen-Thomson herantrat und das Forschungsprojekt in die Wege leitete.
Auf Anregung von Prof. Horst Simon (Freie Universität Berlin) wurde mittels der sogenannten Wenkersätze geforscht. Diese auf den Sprachwissenschaftler Georg Wenker zurückgehenden Sätze gelten als etabliertes Werkzeug in der Dialektforschung. Die ungefähr 40 hochdeutschen Sätze wurden auf einer Onlineplattform zur Verfügung gestellt und mussten von Probanden in ihre Umgangssprache „übersetzt“ werden. So wurde beispielsweise „Geh nur, der braune Hund tut dir nichts“ in „Geh man, der braune brak is mak“ verwandelt.
Über 200 Freiwillige nahmen an der Onlineuntersuchung teil. Des Weiteren wurde auch mit Schülern geforscht. Schulklassen der DHPS und der DOSW waren aufgefordert, in unterschiedlichen Rollenspielsituationen ihre Sprachfertigkeiten unter Beweis zu stellen. So sollte beispielsweise ein Autounfall zum einen einer Lehrerin und zum anderen einem Freund geschildert werden. Prof. Zappen-Thomsen zeigte sich positiv überrascht von den Ergebnissen der Schüler: „Es gelang ihnen problemlos, zwischen dem sogenannten Standarddeutsch und ihrer Jugendsprache zu wechseln.“ Auch die Übersetzung der Wenkersätze sei den Jugendlichen mühelos gelungen, während ältere Teilnehmer nach eigenen Angaben Probleme mit Sätzen wie „Es hört gleich auf zu schneien“ gehabt hätten, da diese nicht in ihre Lebenswirklichkeit passen würden.
Die Jugendsprache als solche sei generell ein äußerst interessantes, aber zugleich schwer zugängliches Forschungsfeld. „Wir Erwachsenen kommen da ja gar nicht hinterher. Und wenn ein Lehrer besonders cool sein will, und dieses oder jenes angesagte Wort benutzt, ist es unter Garantie der Tod des Wortes“, so Zappen-Thomson.
Einfluss auf die Entwicklung von Sprache, unabhängig vom Alter der Sprechenden, nehmen auch die Medien. Laut Zappen-Thomson sorgen die deutschsprachigen namibischen Medien dafür, dass Deutsch keine isolierte Sprache ist. Im kulturellen Bereich ist die Situation schwieriger, wobei sie unter anderem die Literaturzeitschrift „Felsgrafitti“ und deren Aktivitäten, beispielsweise Schreibwerkstätten, hervorhebt.
Auch am Eingangsbeispiel der Sprichwörter lässt sich der Status einer Sprache messen. Eine vor wenigen Jahren veröffentlichte Studie der Uni Duisburg-Essen untersuchte den Bekanntheitsgrad deutscher Redensarten in Namibia. Als Nebenerkenntnis dieser Untersuchung wurde herausgefunden, dass Deutschnamibier gern auch auf Sprichwörter in Englisch oder Afrikaans zurückgreifen – oder diese gar direkt übersetzen. So beruht „Flüstern ins Ohr ist Teufelssprache“ auf dem afrikaansen „Saggies praat is duiwels taal“. Falls einem Deutschnamibier der Sinn nach einem Schläfchen steht, kann er dies dadurch ankündigen, dass er „eine Eule kneifen“ will. Oder im Original: „Knip ´n uiltjie“. Doch auch Variationen von original deutschen Sprichwörtern sind im Umlauf, beispielsweise „bis dahin wird noch viel Wasser den Oranje runterlaufen“ oder „Zwei Deutsche – fünf Meinungen“ (anstatt „Zwei Ärzte – drei Meinungen“).
Dennoch bedauert Zappen-Thomson, dass die deutschsprachige Gemeinschaft vor etwa einem Jahrhundert nicht kreativer mit ihrer Sprache umgegangen ist. „Man war bestrebt, alles so auszudrücken, wie man das in Deutschland gemacht hat. Der Regen ist ein gutes Beispiel. Als ich das erste Mal nach Deutschland kam und dort Regen erlebte, dachte ich, dass ist doch etwas ganz anderes als das ‚tröpfeln‘ oder ‚nieseln‘, das ich aus Namibia kenne.“ Stattdessen begeistert sich Zappen-Thomson für afrikaanse Ausdrücke wie „dann reen die stoff nat“ („es regnet den Staub nass“).
Laut der Sprachdozentin sollten Deutschsprechende Veränderungen nicht befürchten, sie wären unausweichlicher Teil der Entwicklung einer Sprache. Auch um die Zukunft der deutschen Sprache in Namibia ist ihr nicht bange: „Ich sehe das Glas grundsätzlich halb voll. In 20 Jahren werden wir ein anderes Deutsch sprechen als heute. Aber die Sprache bleibt erhalten, nicht zuletzt aufgrund des Einsatzes vieler Menschen aller Altersklassen.“
Die Ergebnisse der gemeinschaftlichen Forschungsarbeit zum Thema Namdeutsch werden momentan wissenschaftlich geprüft. Mit einer endgültigen Veröffentlichung ist in einigen Monaten zu rechnen, dann werden auch alle Teilnehmer der Studie informiert. Im Anschluss soll weiter geforscht werden.
„Dialekte gehören zu gewissen Regionen einfach dazu. Sie zu pflegen und zu erhalten ist lohnenswert für die Menschen, die dadurch auch ihre Identität ausdrücken“, zeigt sich Marianne Zappen-Thomson von der Bedeutung ihres Forschungsfeldes überzeugt.
Kommentar
Allgemeine Zeitung
Zu diesem Artikel wurden keine Kommentare hinterlassen