Nachfrage nach seriösen Grundlagen lässt nicht nach

Wiebke Schmidt
Der 13 Jahre alte Buchtitel „Der Wahrheit eine Gasse“ von Heiner Schneider-Waterberg hat mit dem 14. Druck und nunmehr der zweiten Neuausgabe – im März 2018 erschienen – Untertitel: „Zur Geschichte des Hererokrieges in Deutsch-Südwestafrika 1904 - 1907“, eine vorher ungeahnt tiefere Bedeutung und brisante Relevanz gewonnen. - Obwohl es bei der Erstausgabe im November 2005 schon eine Historiker-Nische gab, die sich durch selektive Auswahl und Weglassung von Fakten auf ihr jeweils selbst-gezimmertes Geschichtsbild versteift hatte, floriert diese Umgangsart der Herabstufung belegter historischer Grundlagen aus politisch-opportunen Gründen mittlerwleile unter dem akademischen Etikett der „post-faktischen Schule“, der „post-faktischen Historiographie“. Diese Beschreibung, im Englischen als „post truth“ bezeichnet – „jenseits der Wahrheit“ also, die auch im Journalismus bewusste und unbewusste Anhänger hat, verleiht dem Buchtitel „Der Wahrheit eine Gasse“ just eine epochale Tragweite. Geschichtsschreibung nach Maßgabe und im Rahmen des sachlichen Hergangs betiteln Verfechter der postfaktischen Schule herablassend als Faktenhuberei, die sie mit „facticity“ ins Englische übersetzen.

Was hat veranlasst, dass das anfangs kleine Geschichtswerk von 2005 unter dem obigen Titel mit 170 Seiten, ein Sammelband verschiedener Beiräge des Autors Schneider-Waterberg, die im Journal der Wissenschftlichen Gesellschaft Swakopmund sowie im Vorfeld des 100-jährigen Gedenkens der Gefechte am Waterberg im August 2004 in der Allgemeinen Zeitung erschienen waren, nunmehr auf einen Band von über 390 Seiten erweitert worden ist? Dabei behandelt Schneider-Waterberg „nur“ den Deutsch-Herero-Krieg und seine Folgen und nicht den Nama-Aufstand, der dem Widerstand der Ovaherero gegen die kaiserliche Kolonialverwaltung folgte. Seit dem Gedenken 1904 - 2004 auf Ohamakari im August 2004 und vor der Kulisse eines zweiten Anlaufs einer Herero-Fraktion auf ein US-amerikanisches Bezirksgericht, um über eine Genozidklage als direkte Verhandlungspartei über Reparationen mit Deutschland nach dem Kriegsgeschehen 1904 - 1907 an den Verhandlungstisch zu treten, sowie im Zuge der deutsch-namibischen Verhandlungen um einen einvernehmlichen Konsens zwischen Windhoek und Berlin herzustellen und schließlich vor dem Hintergrund des Ressentiments und der verbalen Aggression einer Ovaherero-Gruppe unter einem Fraktionsführer gegen Namibier deutscher Herkunft sind nicht nur Interessierte der Geschichte, sondern ist auch der Mann auf der Straße gefordert, sich mit seriösen Quellen und im Austausch mit Mitbürgern über den Hergang der Geschichte auseinanderzusetzen. Ohne überprüfbare Grundlagen werden Namibier leicht durch emotionale Unreife und Verzerrung, Hysterie und „fake news“ verblendet.

Für den Diskurs, der auf Staatsebene derzeit mit den Unterhändlern Dr. Zedekia Ngavirue (Namibia) und Ruprecht Polenz (Deutschland) geführt wird, für den Austausch in politischen Kreisen und auf der polemisch-emotionalen Ebene um das Genozid-Dogma, das bis zur Verbitterung ausgedroschen wird, sind belegbare Quellen unentbehrlich. „Je weiter eine Gesellschaft von der Wahrheit abdriftet, umso mehr wird sie diejenigen hassen, die sie verkünden“, erkärt George Orwell (1903 - 1950), britischer Autor und Kommentator, der unter Anderem die Propaganda zweier Weltkriege kritisch erfahren hat.



Mit Personen- , Orts- und Sachregister

Die erweiterte Neuausgabe „Der Wahrheit eine Gasse“ 2018 enthält die Fakten von 1905 unverändert, weil sie noch von keiner Seite widerlegt wurden, und bietet nach wie vor die zusätzlichen Kapitel der Neuausgabe von 2011, diesmal aber erweitert durch ein dienliches Personen-, Orts- und Sachregister, das den Band zu einem nützlich anwendbaren Nachschlagewerk erhebt. Die Kapitel der Erweiterung erweisen sich bei manchen Themen besonders hilfreich, z. B. in der kritischen Auseinandersetzung mit dem britischen Blaubuch, der ideologischen Geschichtsschreibung der DDR, die bei etlichen konformistischen zeitgenössischen Historikern und Soziologen in Deutschland zur Richtschnur geworden ist, bis zum selbstkritischen Eingeständnis vieler historischer Ungewissheiten als Anregung zu weiterem Quellenstudium und Mahnung zu sorgfältiger Überprüfung so vieler entgleister Behauptungen. Solche Verzerrungen kursieren in den Kampagnen um Reparation, Entschuldigung und in der pauschalen Verteufelung des Kolonialregimes ohne Hinterfragung lustig weiter. Ein herausragendes Beispiel dafür ist die fabulierende Phantasterei mit Totenzahlen des Kolonialkriegs, woran sich auch Kirchenfürsten in Deutschland ohne Beleg, aber scheinbar mit Glauben beteiligen und die auch die dpa (Deutsche Presseagentur) brav kolportiert. Die Kriegsopfer wurden einmal (anfangs) in den Medien mit 35 000 beziffert, danach kam die Ziffer 60 000 als Richtwert in Umlauf, ohne Quellenverweis, versteht sich. Dann steigerten „Historiker“, etliche Medien und Kirchenleute in Deutschland die Zahl auf 80 000. Aktuell reden einfältige namibische Medien von 100 000. Diese Ziffer hat der jetzige Vizepräsident von Namibia, Nangolo Mbumba im vergangenen Jahr, als er noch Generalsekretär der regierenden Partei war, wiederum auf 120000 aufgeblasen. Allein daran ist das klägliche Niveau des öffentlichen Diskurses über die Landesgeschichte schon zu erkennen. Standpunkte und Stellungen zur Genozid-Frage werden auf der politischen Ebene nach aktueller Staatsräson und Fraktionszwang und nicht nach wissenschaftlichen Kriterien entschieden.

Inmitten der vielseitigen Verwendung der Geschichte zur Bildung, zur Forschung, in der Tradition mündlicher Überlieferung, sodann zur politischen Agitation, zur Kultivierung postfaktischer Mythen und sogar zu ethnischer Hetze gibt es noch und wieder überprüfbare Grundlagen. Eine davon ist der jüngste Neudruck „Der Wahrheit eine Gasse“, von dem nun auch eine überfällige englische Version in Bearbeitung ist. Auch das Arbeitspapier von Dr. Christian Zöllner (Deutsch-Herero-Krieg 1904 – Eine Betrachtung unter dem Aspekt Völkermord) gehört dazu. Entkolonisierung bedeutet auch, sich aus chronisch-gestriger Verzerrung zu befreien, um im vollen Bewusstsein versöhnliche Realpolitik der Gegenwart und der Zukunft zu gestalten.

Fundierte Quellen sind dazu geeignet, auch denjenigen ein differenziertes Geschichtsbild zu vermitteln, die sich in ihrer Myopie chronisch rückwärts gewandt ständig an Gräueltaten der Kolonialgeschichte delektieren.



Eberhard Hofmann

Kommentar

Allgemeine Zeitung 2024-04-27

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