Mit NEEEF hängt Harambee am seidenen Faden

Stefan Fischer
„Komm doch rein“, bittet Memory mich in ihre Hütte. Ihr Bretter-Plastik-Plane-Verschlag in der Swakopmunder Siedlung DRC ist nicht größer als ein Autounterstand. Geteilt durch zwei Stück Gardinenstoff ist ein Drittel mit einer alten Couch und einer Kommode zum Wohnbereich erklärt worden. Hinter der Gardine steht Memorys notdürftig zusammengezimmertes Bett, ihre Kinder schlafen auf Decken auf dem Boden.

Wenn im Ozean die Sonne versinkt und die Nacht hereinbricht, ist es binnen Minuten stockduster in dieser Behausung. Kein Lichtstrahl der Straßenlaterne dringt ins Innere. Mehr als zu Bett gehen ist nicht mehr möglich; die Batterien der Taschenlampe sind leer, Kerzen sind Luxus. Für die Flöhe beginnt dann ein Festmahl. Unzählige weiße und rotgekratzte Tupfer auf den Armen und am Bauch der Kinder sind der Beleg dafür.

Schnelle Hilfe

Als ich mich setze, rutscht mein Po durch die Polster bis auf die Erde. Wir müssen beide lachen. „Die Tage der alten Couch sind gezählt“, sagt Memory. Ich breite meine Mitbringsel aus. Schulhefte für ihre Kinder, gespendet von Dagmar und Michael Honcamp aus Mindelheim in Deutschland. Sie hatten in der AZ meinen Bericht „Vergiss den Arzt, werde Fußballer“ über die Bildungsmisere und speziell das Schicksal des 13-jährigen Jahraz gelesen und sofort finanzielle Unterstützung angeboten. Allerdings soll nicht nur Geld fließen, sondern ihre Spende als Hilfe zur Selbsthilfe gesehen werden. „Die Unterstützung soll kein Ruhekissen, sondern eine Chance sein, etwas aus seinem Leben zu machen“, schrieben sie, „wir würden unsere Hilfe daran knüpfen, dass er sich schulisch verbessert“.

Jahraz und seine jüngere Schwester Jasmin sollen zudem nachmittags das DRC Schoolproject und Community Centre von Ivana und Mike Kriner besuchen und dort Nachhilfeunterricht bekommen. Die Schule von Gillians, Memorys Jüngster, beginnt erst am Nachmittag, da die Hanganeni-Schule in der DRC - wie so viele andere Schulen in Namibia - so überfüllt ist, dass sich die 1. Klasse den Klassenraum mit der Fünften teilen muss.

Wissen ist wahrer Reichtum

„Wenn du gute Ergebnisse nach Hause bringst, werde ich dich belohnen, verhaust du allerdings eine Prüfung, musst du etwas für mich tun“, versuche ich Jahraz zusätzlich zu animieren. „Nur Wissen ist wahrer Reichtum.“ Abgemacht! Wir besiegeln unser Versprechen per Handschlag.

Aus der dunklen Ecke lugen plötzlich zwei kleine Augen hervor. „Das ist Thahabadi.“ Nix zu futtern, sich aber einen Hund anschaffen. Verständnisloses Kopfschütteln. Jahraz habe ihn angebracht, versucht Memory die Gegenwart des kleinen Wesens zu rechtfertigen. Das Tier lebt ein wahres Hundeleben: Flöhe, Zecken und ständig auf Futtersuche.

Für die Menschen wird draußen auf dem Feuer gekocht. Ein Schneebesen hängt an der Bretterwand. Der letzte Rest vom Maisbrei trocknet an den Drahtschlaufen, zieht Fliegen an und wird beim nächsten Anrühren wieder untergemischt. „Woher bekommst du Holz?“ Memory blickt zur Decke, als wolle sie damit andeuten, dass zur Not ein Balken herhalten muss. Kein Strom, kein Gas, kein Holz, dafür aber ein Mobiltelefon, das nie aus der Hand gelegt und mit einer handgroßen Solarplatte aufgeladen wird. Kein Wasserhahn, keine Toiletten. „Wenn wir müssen, gehen wir rüber zur Kirche und hoffen, dass dort das Klo nicht verschlossen ist.“

Über die Runden komme sie, indem sie ab und zu von Anliegern Nahrungsmittel erhalte. Sobald sie wieder etwas Vorrat habe, stehen bei ihr die Nachbarn Schlange.

Ein schweres Los

Unterhalt bekommt Memory nicht. Sie hat drei Kinder von drei verschiedenen Männern. Jahraz´ Vater sei in Windhoek und wolle nur dann für Jahraz zahlen, wenn der Junge bei ihm wohne. Der Vater von Jasmin habe fünf Jahre im Knast gesessen und keiner wisse genau wo er ist. Gillians Vater sei Lehrer in Karibib. Doch weil er sich auf dem Geburtszertifikat nicht habe eintragen lassen (sondern dort der Patenonkel des Mädchens steht, der aber auch nicht zahlen möchte), kann nur ein Vaterschaftstest für Klarheit sorgen und der allein kostet 2000 Namibia-Dollar, teilt die Sozialfürsorge mir mit.

Eine Arbeitslosenunterstützung gibt es in Namibia nur bedingt, nachdem vorab ein Beitrag bei der Sozialversicherungskommission (Social Security Commission, SSC) eingegangen war. Memorys letzte Festanstellung hatte ihr Arbeitgeber 2015 aus finanziellen Gründen beendet, alle Beschäftigungen danach waren nur zeitweilig.

Die junge Frau braucht dringend eine Arbeit und so starte ich im sozialen Netzwerk einen Aufruf. Durch das NEEEF-Vorhaben sind viele Arbeitsstellen gestrichen worden. Man harrt der Dinge. Dennoch bietet eine kinderreiche Familie in Swakopmund ihr einen 8-Stunden-Job an fünf Tagen pro Woche an. Die zweite Hürde scheint genommen. Schnell zeigt sich jedoch, wie schwierig es ist, wenn eines der Kinder oder sie selbst sie mal krank wird.

Katastrophale Zustände

Als Jahraz in der Tamariskia-Grundschule über Bauchschmerzen klagt, wird Memory gebeten, den Jungen in die Klinik zu bringen. Ich kann seine Bauchschmerzen gut nachempfinden. Im Gang zu Jahraz´ Klasse stinkt es bestialisch nach Urin. Die Toilettenräume befinden sich in einem erbärmlichen, sogar hygienisch gefährlichen Zustand. Der Boden schwimmt. Die Toiletten laufen über, Vandalen hatten die Waschbecken aus der Verankerung gerissen. Aber die Kinder nutzen diesen Raum! Wo sollen sie sonst auch hin? Zwecks neuer Toiletten wollen die Lehrer nun einen Spendenaufruf starten, denn bei der Regierung stoßen sie auf taube Ohren. Doch mit NEEEF im Nacken hält der Privatsektor seine Geldbörse vorerst lieber verschlossen.

Weil Jahraz krankheitsbedingt vom Unterricht fehlt, verlangt die Schule von der Mutter ein Attest von der Klinik. Es gibt keinen Termin. Memory hockt den Nachmittag geduldig im Wartesaal, um etwas Medizin oder mitgeteilt zu bekommen, dass der Arzt schon im Feierabend sei. Für sie bedeutet das Arbeitsausfall für mehrere Stunden, da ist Kulanz vom Arbeitgeber gefragt.

Bei meinem nächsten Besuch bringe ich Medikamente für den Hund gegen Flöhe und Würmer mit. Doch weil sich inzwischen die Räude zeigt, haben sie dem Vierbeiner kurzerhand die Ohren abgeschnitten. Die Krankheit soll daraus entweichen, heißt es. Ich versuche, meiner Ohnmacht Herr zu werden, denn Jahraz steht neben mir und zeigt mir breit grinsend und stolz seinen jüngsten Test: 15 aus 15 Punkte. Belohnt wird er mit einem Besuch im Meeresaquarium. Er war noch nie dort. Wow! Seine Begeisterung ist nicht in Worte zu fassen. Einfach unbeschreiblich! Er habe nun verstanden, worum es geht, sagt er auf dem Nachhauseweg. „Wissen ist wahrer Reichtum.“

Es fehlt der Ehrgeiz

Memory steht für Harambee. Ihr Leben steht exemplarisch für das Schicksal vieler alleinerziehender namibischer Frauen. Ihr Leben ist bestimmt vom Weg, den die Regierung eingeschlagen hat. Vier Jahre ist sie alt, als Namibia unabhängig wird. Eine rosige Zukunft wurde ihr und ihren Landsleuten versprochen, doch was ist daraus geworden? Mit ständiger Misswirtschaft, Korruption, Drohung und Bedrohung will und wird der Namibier sich nicht die Hand reichen.

Memory steht aber auch für fehlende Ambition, für Antriebslosigkeit. Denn inzwischen ist sie wieder arbeitslos, weil sie es mit der Pflicht nicht so genau nahm. Jetzt sitzt sie erneut vor ihrer Hütte und hofft, dass Manna vom Himmel fällt. Auch Jahraz´ Ehrgeiz hat nicht gehalten. Die 15 aus 15 reichten ihm wohl. Er schwänzt wieder die Schule und den Nachmittagsunterricht. Beide haben ihren Faden reißen lassen. Schade!

Kirsten Kraft, Swakopmund

Kommentar

Allgemeine Zeitung 2024-04-20

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