Missionarin ohne Heiligenschein
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Autobiografie eines außergewöhnlichen Lebens in Namibia (Teil 26)
Wiebke Schmidt
Europareise

Ich bin froh, jetzt eine längere Zeit Urlaub zu haben, um mich von den Strapazen der Chemotherapie zu erholen, die mich körperlich mitgenommen hat. Ich fliege zuerst nach Wales, wo ich mit meiner Freundin Astrid, die ich aus meiner Gemeinde in Bremen kenne, eine schöne Woche habe. Wir besuchen das Musical „Phantom der Oper” in Liverpool und wandern ein wenig durch die immergrüne Landschaft von Wales. Weiter geht es nach Island, wo Signy und ihr Mann mich bereits am Flughafen erwarten. Von Island bin ich total begeistert. Ich buche einige Ausflüge in die Umgebung. Zum ersten Mal in meinem Leben sehe einen Gletscher und Geysire. Überall gibt es Wasserfälle und Vulkane. Die Schönheit der Landschaft ist einfach überwältigend. Auf den Westmännerinseln, die vor Island liegen, kann man die Folgen eines Vulkanausbruches mit eigenen Augen sehen. Unter den Lavaströmen sieht man verschüttete Häuser und Bäume. Nach zehn Tagen muss ich weiter nach Finnland, wo mich die Frau des ehemaligen Botschafters in Namibia abholt. Sie laden mich zu einem Konzert ein und verwöhnen mich auch sonst nach Strich und Faden. In Finnland hat mich auch eine Spenderorganisation der Blindenschule meines verstorbenen Freundes Paul Heester eingeladen. Der Direktor, der durch eine Fabrikexplosion sein Augenlicht verloren hat, besucht mit mir mehrere Projekte für blinde Menschen. Ein Projekt führt uns auch nach Tallinn, der Hauptstadt von Estland. Wir fahren mit der Fähre in das nördlichste Land des Baltikums. Viel bleibt mir nicht von Estland im Gedächtnis hängen. Ich erinnere mich nur noch an den erstklassigen blutroten Krimsekt, der bis heute zu meinen alkoholischen Lieblingsgetränken gehört. Da ich sehr schnell seekrank werde und damit bereits auf der Hinfahrt erhebliche Probleme hatte, bucht der Direktor netterweise eine Kabine für mich, damit ich mich hinlegen kann und so die Überfahrt heil überstehe. Dass der Direktor dabei anscheinend ein paar Hintergedanken hat, stelle ich erst fest, als er unbedingt eine Dusche in „meiner” Kabine nehmen will. Da er blind ist, mache ich mir darüber erst keine Gedanken. Erst als er immer wieder leise meinen Namen ruft und mich mit „Schatz” anredet, geht mir ein Licht auf. Ich stelle mich schlafend und tu so als höre ich nichts. Glücklicherweise fällt der Direktor auf diesen Trick herein und lässt mich in Ruhe. Mir war nicht bewusst, dass der Direktor ein Auge auf mich geworfen hat. Später beim gemeinsamen Essen tun wir beide so als sei nichts Besonderes geschehen. Die Organisation bittet mich, meinen Urlaub für ein paar Tage zu unterbrechen und in Namibia den Vorsitz eines wichtigen Seminars zu übernehmen. Sie würden mir die Flüge bezahlen. Ich könnte den Wunsch erfüllen, wenn ich meinen Urlaub um einen Monat verkürzen würde. Es scheint ihnen ja enorm wichtig zu sein. Sonst würden sie sich meine Anwesenheit beim Seminar nicht so viel kosten lassen.

Von Finnland aus will ich ins sozialistische Nachbarland fliegen, um „meinen Freund“ und Linda zu besuchen. Passend zum 50. Geburtstag meines Freundes möchte ich da sein. Linda berichtet mir allerdings bei einem Telefongespräch, dass es in der Botschaft zu einem Eklat gekommen sei, als sie bei einem Essen in der vorherigen Woche erwähnt hat, dass ich sie besuchen werde. Die Ehefrau des Botschafters sei daraufhin plötzlich in Tränen ausgebrochen und kaum zu beruhigen gewesen. Sie hätte immer wieder gesagt: „Ich will nicht, dass sie kommt.“ Die Gäste seien von dem hysterischen Gefühlsausbruch sehr betroffen gewesen. Nun bin ich betroffen. Ich begreife zum ersten Mal wirklich wie sehr wir seine Frau verletzt haben. Bisher habe ich die Tatsache, dass mein Freund verheiratet ist, mehr oder weniger erfolgreich verdrängt. Das geht jetzt nicht mehr. Ich kann ihn nicht mehr besuchen. Ich möchte seine Frau auf keinen Fall weiterhin verletzen. Was habe ich da bloß angerichtet? Ich schäme mich sehr. In dem Moment beschließe ich, dass die Beziehung zum Botschafter zukünftig rein freundschaftlicher Natur sein wird.

So fliege ich erst einmal nach Deutschland zurück. Während meines Besuches bei meiner Familie, schiebe ich es immer weiter hinaus zum Friedhof zu gehen. Ich habe Angst. Vor dem Unveränderbaren. Vor dem Schmerz. Am letzten Tag meines Aufenthaltes gehe ich endlich zum Grab meines Bruders. Ich lese meinen Nachnamen und mein Geburtsdatum auf dem schlichten Grabstein. Hier könnte auch ich liegen, denke ich. Bis auf den Vornamen ist alles gleich. Wir haben uns als Kinder öfters gefragt, wer von uns beiden wohl eher sterben wird. Ich hätte nie gedacht, dass ich einmal an Uwes Grab stehen würde. Er war immer der Gesündere von uns beiden gewesen. Meine Mutter macht mich darauf aufmerksam, dass das Grab, das meinem Bruder gegenüber liegt, das meines siebenjährigen Neffen Christian ist. Der Sohn meines Bruders Rainer. Er ist auf den Tag genau fünf Jahre vor Uwe verstorben. Bei einem Autounfall. Ich werde nie wieder dort sein.

Neue Aufgaben, neuer Job

Ich entschließe mich, einen Monat früher nach Namibia zurückzukehren, um die Leitung des Seminars zu übernehmen, bei der es um die Prävention von Sehbehinderungen geht. Nach zwei Monaten Abwesenheit, habe ich auch tatsächlich so etwas wie Heimweh. Außerdem stellt es eine gute Möglichkeit dar, mich in das neue Augenprojekt einzuarbeiten. Bei meiner Rückkehr finde ich mein neues Büro bei Ehafo vor. So richtig wohl fühle ich mich dort allerdings nicht. Es ist weit weg vom Township. Außerdem gefällt mir die Atmosphäre nicht. Auf der Onyose-Weihnachtsfeier werde ich offiziell verabschiedet. Ludwig übernimmt von nun an „mein“ Projekt. Mir ist ganz wehmütig ums Herz. Ich habe meine Arbeit im Township geliebt. Nun heißt es Abschied nehmen von „meinen” Familien und „meinen” Mitarbeitern.

Die Finnen haben angeboten, dass ich die Leitung der Blindenschule in Windhoek übernehmen soll, als Nachfolgerin meines verstorbenen Freund Paul Heesters. Vielleicht lässt sich das ja irgendwie mit dem neuen Augenprogramm verbinden. Zu meiner großen Überraschung stimmen die Dachorganisation Ehafo und auch meine Missionsgesellschaft zu. Ich werde ab dem 1. Januar 2000 für zwei Jahre an die Blindenschule „ausgeliehen”.

Über die Weihnachtsfeiertage bleibe ich in Windhoek, das einer Geisterstadt ähnelt. Fast jeder fährt zu seiner Familie oder reist an die kühlere Küste nach Swakopmund oder nach Kapstadt. Ich bekomme allerdings Besuch von Kordelia und Peter aus Lusaka. Wir haben eine sehr schöne, besinnliche Weihnachtsfeier.

Kommentar

Allgemeine Zeitung 2024-04-20

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