Lubango: Die Wahrheit macht Dich frei

Wiebke Schmidt
Wenige Tage vor dem diesjährigen Heldengedenken, das am 26. August in Nkurenkuru in der Region Kavango-West abgehalten wurde, ist das Buch des ehemaligen SWAPO-Strafgefangenen Oiva Alikie Angula erschienen: „SWAPO Captive“. Der politische Häftling der Befreiungsbewegung - einer unter Hunderten - schildert in authentischem Detail seinen Lebenslauf von Jugend auf bis in die Exiljahre in Angola, zuerst als Lehrkraft für Politschulung und danach über viereinhalb Jahre als zweimaliger Insasse der Erdlöcher von Lubango, der unterirdischen Kerker der Befreiungsbewegung SWAPO. Er hat die Folter der Terrorverhöre, die in der Regel erst nach falschen „Geständnissen“ endeten, und die schlechte Versorgung sowie das Ungeziefer des unterirdischen Gefängnisses überlebt. Er durfte schließlich im Übergangsjahr 1989 nach Namibia zurückkehren. In dem Jahr führten die Vereinten Nationen (UNO) zusammen mit der südafrikanischen Verwaltung das Territorium Südwestafrika zur namibischen Souveränität. Am 4. Juli 1989 traf Angula mit über hundert anderen ehemaligen Strafhäftlingen der SWAPO in Windhoek ein, die für einige Zeit in der namibischen Öffentlichkeit große Aufmerksamkeit genossen.

Kehrseiten verdrängt

Präsident Geingob hat es am Heldengedenktag 2018, der hauptsächlich den Gefallenen der SWAPO gilt, deutlich gemacht, dass die regierende Partei und der Staat nicht an die brutale, unmenschliche Kehrseite des Werdegangs der namibischern Souveränität erinnert werden möchten: „Ich warne. Es gibt solche, die sich darauf versteifen, alte Wunden zu öffnen. So machen sie Pandoras Büchse auf, ungeachtet der Tatsache, dass viele Kollaborateure und Täter schrecklicher Verbrechen am Volk von Namibia stets unter uns sind.“ Geingob meint damit ehemalige Soldaten der SWA Territorialstreitkräfte sowie der Guerilla-Abwehr Koevoet. „Ich möchte meine namibischen Mitbürger verwarnen, nicht in das Dunkel der Vergangenheit zurückzuschauen“, so der Präsident. Diese Warnung richtet die Regierung jedoch nur an die Überlebenden der SWAPO-Straflager, von denen einige wie Samson Ndeikwila, Hans Beukes, Keshii Nathaniel und nun auch Oiva Angula sich nacheinander ihr Trauma von der Seele geschrieben haben. „Wahrheit macht Dich frei“, heißt es im Bibelwort. Die Schilderung des Straf- und Terrorsystems gegen angebliche Dissidenten und Spione in eigenen SWAPO-Reihen hatte der lutherische Pastor Siegfried Groth, zeitweilig Seelsorger namibischer Exilanten und Kombattanten, 1995 nach Zeugenaussagen in größerem Umfang unter dem Titel „Namibische Passion“ und später „Namibia: The Wall of Silence“ auf Englisch behandelt. Das brachte dem Pastor, der zuvor eine unerwünschte Person der südafrikanischen Verwaltung in Namibia war, nunmehr den zügellosen Groll etlicher SWAPO-Führer ein. So wurde Groth wiederum bescholtene persona non grata, diesmal von den ehemaligen Gegnern der südafrikanischen Verwaltung.

Schizophrener Umgang

Im Umgang mit der namibischen Kolonialgeschichte einerseits und dem Unabhängigkeitskampf andererseits zeigen die gegenwärtigen machthabenden Politiker ein schizophrenes Gesicht. Die - vor allem die deutsche - Kolonialgeschichte mit dem antikolonialen Widerstand der Herero und Nama wird in einer Mischung von Dichtung und Wahrheit gebetsmühlenartig herangezogen, mit einem Mix aus Grundlagen, Legenden und Verzerrungen samt einseitiger und myopischer Verteufelung der Schutztruppe und des Kolonialregimes zwecks Reparationsforderung und ethnischer Identitätsstiftung. Der Unabhängigkeitskampf unter Führung der SWAPO hingegen gilt in der politisch korrekten Heroisierung der Kombattanten und der dogmatisch abgesegneten Wiedergabe - siehe z. B. das Unabhängigkeitsmuseum neben der Alten Feste - als unbescholten und unantastbar. Authentische Berichte wie die von Oiva Angula stören dieses Bild und werden deshalb vom Staats- und Parteipräsidenten in Personalunion verworfen. Staat und Partei verlangen hier selektive Konformität.

Oiva Angulas mutig-offener Bericht über seine anfängliche Begeisterung für den Befreiungskampf, seine Aussagen über Einkerkerung und Folter und die Heimkehr wirken authentisch und glaubwürdig vor allem aus folgenden Gründen:

-Die Sprache entbehrt der politischen Klischees und Worthülsen, die in ständiger Wiederholung die Erinnerungskultur des „politisch korrekten“, heroischen Lagers kennzeichnen.

-Der Autor scheut sich nicht, die (Mit)Verantwortlichen für die Erdlöcher, die Peiniger und Folterer bei ihren richtigen Namen zu nennen, obwohl sie noch unter den Lebenden, bzw. auch noch staatlich-politische Amtsträger sind, z. B. Frans Kapofi, Philemon Malima, Nahas Angula, Salomon „Jesus“ Awala und andere. Ergreifend schildert Oiva Angula die getäuschte Hoffnung der Folterhäftlinge, dass der Führer, der Oberbefehlshaber der Kombattanten (PLAN: Peoples´ Liberation Army of Namibia), Sam Nujoma, ihre Misshandlung beenden würde, wüsste er davon. Bis sie bei einem Nujoma-Besuch der Erdlöcher 1986 in die Realität zurückgeholt wurden. Die Häftlinge wurden aus den Löchern geholt und ins Tageslicht gestellt, um eine lange Tirade des Führers anzuhören: „Ihr müsst Euch schämen, denn Ihr habt die namibische Revolution verraten“, erinnert sich der Autor.

-Oiva Angula folgert: „Mir war sofort klar, dass Nujoma uns abgeschrieben hatte. Er hatte versagt. Er war der Verräter. Nicht ich.“ Die Häftlinge wollten gern Fragen stellen, aber Hawala und seine Sicherheitsleute verhinderten dies. Nujoma zog weiter zu „wichtigen Verpflichtungen“, wie den Eingekerkerten erklärt wurde. Oiva Angula deutet diese Begegnung als „gute Lehre“, einen realen Boden zu gelangen. „Ich konnte jegliche Illusion ablegen und wurde mündig.“

Der Autor berichtet ferner, wie nach jeder südafrikanischen Offensive in Angola, zum Beispiel Operation Askari im Dezember 1983, die hauptsächlich auf SWAPO-Lager gerichtet waren, Denunzierung, Hatz auf sogenannte Spione/Verräter und „Säuberung“ in den SWAPO-Reihen intensiviert wurden, sozusagen als Ersatz für die militärische Hilflosigkeit der Kombattanten. Oiva Angula ist ein Altschüler der Martin-Luther-Schule in Okombahe. Er stellt namentlich fest, dass auffällig viele Abgänger der Schule, die sich dem Kampf aus dem Exil angeschlossen hatten, in die Straflöcher abgesondert wurden.



In der Aufarbeitung des Unabhängigkeitskampfes muss es weitergehen. Die Generalamnestie, die die souveräne Regierung mit der Unabhängigkeit 1990 den Soldaten und Kombattanten beider Seiten verliehen hat, bleibt solange unzulänglich, wie die regierende Partei die Schattenseiten unter den Teppich kehren will. Gleiches gilt für den sehr unterschiedlich ausgelegten Verfassungsauftrag der Versöhnung, den die Regierung bei den namibischen Altsoldaten und Polizisten, die unter südafrikanischem Befehl standen, so gut wie nicht anwendet. Weil die Opfer des Kolonialkrieges 1904 - 1907 längst alle tot sind, fällt die umstrittene Aufarbeitung der Vergangenheit auf diesem Terrain wahrscheinlich leichter als bei der Behandlung des gewaltsamen Unabhängigkeitskampfes 1966 - 1989, dessen Teilnehmer, Angreifer, Täter und Misshandelte noch zahlreich unter den Lebenden weilen.

Gerade deshalb gehört die Widerrufung alter Spionageanklagen und eine amtliche Entschuldigung gegenüber den Gefolterten zur nationalen Heilung, um friedliche Zukunft zu gestalten. Oiva Angula liefert einen wichtigen Beitrag zu den Grundlagen der Verständigung. Eberhard Hofmann



SWAPO Captive - A comrade´s Experience of Betrayal and Torture, von Oiva Angula. Broschürte Ausgabe in englischer Sprache ohne Illustrationen, 180 Seiten. Herausgeber Zebra Press/Penguin Random House Südafrika. ISBN print: 9781776093618. ISBN ePub: 9781776093625. Unverbindlicher Richtpreis: 240 N$

Kommentar

Allgemeine Zeitung 2024-04-25

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