Konzept für einen Ausweg aus der Sackgasse

Claudia Reiter
Gibt es einen Schulterschluss afrikaanser Gruppen im südlichen Afrika? Wie kommt ein deutscher Völkerkundler und Kulturhistoriker auf die Idee, ein leidenschaftliches, auch hintergründiges Plädoyer für die „Autonomie der afrikaansen Nation“ auszurufen? Umgekehrt scheint es undenkbar, dass ein solches Werk aus einer britischen Feder hätte stammen können. Der Buchumschlag mit dem bekannten Gemälde von Davidson Bell, Jan van Riebeecks Ankunft am Kap, im Hintergrund Devil´s Peak, als Schilderung der ersten Begegnung mit den indigenen Khoi-Khoi könnte auf den ersten Blick irreführend sein, dass es sich um eine nostalgisch-nationalistische Streitschrift für die Buren handelt.

Ist Völkerkunde, Social Anthropology, wie im vorigen Jahrhundert an südafrikanischen Universitäten gelehrt und dosiert, noch ein Bildungsfach, eine aktuelle Disziplin? Es ist still geworden um das Fach, es sei denn frühere Autoren des Fachbereichs werden im Lichte gegenwärtiger Kritik vorgeführt.

Überwölbende Gruppierung

Was auf den über 350 Seiten der Schrift „Autonomie der afrikaansen Nation“ von Christian Böttger folgt, ist einmal eine intensive Auseinandersetzung mit dem Begriff des Superethnos, der bereits als Untertitel auf dem Buchdeckel erscheint und vom russischen Ethnologen und Historiker Lew Gumiljow (1912 – 1992) entlehnt ist. Aufbauend auf Gumiljow schnürt Böttger dann aus allen afrikaans-sprechenden Gruppen eine afrikaanse/afrikanische Nation mit autochthonem, mit bodenständigem Existenzrecht. Superethnos wird hier als eine überwölbende sprachliche Gruppierung bestehend aus verschiedenen Volksgruppen verstanden, die sich dazu eignen, eine Nation zu bilden. Die Gruppierung hat Stufen der Herkunft und Entstehung durchlaufen, was mit dem Begriff Ethnogenese, umschrieben wird, ein Terminus, der vom deutschen Historiker Reinhard Wenskus in Umlauf gebracht wurde.

Der Leser ist gefordert, sich mit mehreren ethnologischen Begriffen der Fachsprache vertraut zu machen. In diesem anthropologischen Rahmen schildert Böttger die Entstehung aller Volksgruppen des südlichen Afrikas, die zur holländisch-afrikaansen Herkunft und Kultur gehören, auch wenn sie mit einem Bein in einer anderen Sprache verwurzelt sind und in verschiedenen Hautfarben erscheinen.

Zur sachlichen Schilderung der Herkunft und der Entstehungsgeschichte (Ethnogenese) dieser Gruppen führt Böttger ebenso in die Geografie, Landschaften der Regionen und Kurzgeschichte ein, die diese Gruppen geprägt, bzw. zur Migration, zum Trek bewogen haben. Die Existenz dieser Gruppen als „afrikaanse Nation“ sieht Böttger im Großen und Ganzen vom Superethnos der Bantu als getrennt, die aus dem Nordosten von Südafrika in Richtung Westkap wandern und die Einheimischen zahlenmäßig zu überfluten drohen.

So fasst der Autor die Khoi-Khoi, die Afrikaner-Buren, Bruinmense vom Kap (Cape Coloureds), Baster und Griqua, Nama und Oorlam, die Korana sowie – an der Peripherie – auch die Kapmalaien in einem überethnischen System zusammen. Um den Begriff zu verfeinern zitiert Böttger noch einen anderen Autoren, Otto Bauer, der die Nation als „die Gesamtheit der durch Schicksalsgemeinschaft zu einer Charaktergemeinschaft verknüpften Menschen“ definiert. Es ist die Sprache, die Kultur vermittelt, nicht die Hautfarbe. Böttger distanziert sich von der Apartheidpolitik: „Den Buren erschien die Apartheid in einer Art Selbstbetrug als konsequenteste Form des Selbstbestimmungsrechtes der Völker. Sie haben in ihrer Geschichte die Schwarzen aber weder ausgerottet noch vor sich hergetrieben wie die Weißen in Nordamerika die Indianer.“

Trennung an der 400-mm-Niederschlagsgrenze

Für die autonome afrikaanse Nation wie oben umrissen, sieht Böttger in Anlehnung an andere Analytiker einen geschlossenen geographischen Raum als Staatsgrund, der sich westlich der (durchschnittlich) 400-Millimeter-Niederschlagsgrenze Südafrikas in zunehmend arider Gebiete des Westkaps hinein erstreckt, von der Westgrenze des Oranje-Freistaats bis zum Süd-Atlantik und damit auch das Kapsche Boesmanland und Namaqualand einschließt. Im System der ANC-Regierung sieht Böttger „die Idiotie des zentralistischen Ansatzes“, wo Hautfarbe im Neo-Rassismus erneut – wie vormals in der Apartheid – ökonomische Relevanz verleiht. Die Autonomie der so definierten afrikaansen Nation könnte die Rettung vor der „Diktatur der Inkompetenz“ sein. Die angesprochene Inkompetenz samt Staat als Beute der regierenden Partei hat just während Böttgers Niederschrift des vorliegenden Buches im korrupten Zuma-Regime, auf das er nicht direkt Bezug nimmt, ihren Höhepunkt gefunden.

Böttger kennt sich in allen afrikaansen Kulturorganisationen und den Interessen-Körperschaften der Bruinmense aus und behandelt die Zielvorgaben – ermüdend für den Leser – detailliert bis in ihre Satzungen hinein. Bei der Niederschrift seines Bandes war vermutlich der aktuelle afrikaanse Band zur ähnlichen ethnisch-kulturellen Existenzfrage Die Pad na selfbestuur noch nicht erschienen. Darin ist exakt und in größerem Detail das Dilemma der Afrikaans-Sprachigen in Südafrika beschrieben, mit Konzepten, wie die Südafrikaner im Rahmen der Staatsverfassung sich vor der „Diktatur der Inkompetenz“ Auswege verschaffen können. Behandelt werden u. A. der Neo-Rassismus, der Mangel an Schutz für die Zivilbevölkerung, darunter Farmer-Morde, der Staatsverfall ...:

Die Pad na selfbestuur – Anderkant die mislukking van staatsbestuur deur Flip Buys. Kraal Uitgewers, Centurion 2019. ISBN: 978-1-990915-00-0. Eine Publikation der Solidariteit Beweging

Aufteilung als Option

Theoretisch sieht Böttger in einer Aufteilung Südafrikas für die „afrikaanse Nation“, keine politische Schwierigkeit, da es zeitgenössische Beispiele gibt, wo neue Länder aus größeren Territorien heraus- und abgetrennt wurden: Tschechien und Slowakei, eine Reihe von Balkan-Staaten aus dem früheren Jugoslawien und der Süd-Sudan. Der Autor erwähnt die kleine, völkische afrikaanse Orania-Enklave als „Rückzugsgebiet einer Gesinnungsgemeinschaft“, die er aber nicht als Antwort auf die Herausforderung des ANC-Einheitsstaates sieht, den er als „hinterhältig und zynisch“ betitelt.

Auf den theoretischen Strecken von Böttgers Buch kann sich der Leser von außerhalb der Völkerkunde die Zähne ausbeißen, aber viele brisante und anregende Passagen helfen weiter, mit Parallelen, die – nicht nur historisch - Namibia ebenfalls berühren. Ansprechend ist ferner, dass der Autor seine Herangehensweise kritisch definiert und sich so vom genannten Konstruktivismus abgrenzt, der in den Geisteswissenschaften wiederum mit der postfaktischen Schule verwandt ist, die vielfach wähnt, das dogmatische Deutungsmonopol zu besitzen, nachdem sie sich von grundlegender Basis abgehoben und in die Schwebe begeben hat. Die ausgesprochene Relevanz des Werkes für die afrikaansen Gruppen macht es unerlässlich, dass die Schrift auch in der autochthonen Sprache Afrikaans erscheinen sollte.

Eberhard Hofmann

Kommentar

Allgemeine Zeitung 2024-04-27

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