KATUTURA

Von Marlene J. Solveig


Kennengelernt haben sie sich im Auto. Bei der Filmwoche vor zwei Jahren stieß Florian Schott die Beifahrertür für Obed Emvula auf. Der deutsche Regisseur mit vielen Ideen im Kopf, der Drehbuchautor und Schauspieler mit einem fertigen Script im Gepäck. Es kam, wie es kommen musste: Schott und Emvula erkannten schnell das gemeinsame Potenzial, steckten die Köpfe zusammen und schufen ihre Vision: Einen Film am Puls des quirligsten, facettenreichsten, brutalsten und gleichzeitig lebendigsten Ortes in ganz Namibia: Katutura.


Das Township liegt im Nordosten von Windhoek, saugt Bewohner und Besucher einer bunten Welle gleich zwischen seine farbenfrohen Betonbungalows und Wellblechverschläge. Friseurbuden, Shebeens, Straßenstände tauchen auf, dann der Fleischmarkt, wo dicht an dicht die gesamte namibische Fauna zum Verkauf feilgeboten wird. Kurz dahinter die ersten Verschläge der informellen Siedlungen, sandige Pads, in denen sich mehr und Übleres versteckt als dürre Hunde und kleine Straßenhändler.
Aller guten Dinge sind sieben
Hier spielt „Katutura“, Schotts erster Spielfilm. Der Filmemacher stammt aus dem Ruhrgebiet und kam 2008 mit einer Fernsehproduktion ins Land. Der Liebe wegen blieb er, und machte sich schon 2013 mit seinem mehrfach ausgezeichneten Film „Everything happens for a reason“ einen wohlklingenden Namen. Der Aufwand für „Katurura“ überstieg den des Kurzfilms bei Weitem: „Die zwei Jahre waren nicht immer einfach, doch wir haben den Film auch mit unserer sehr kleinen Crew gestemmt“, erzählt der Regisseur. „Dabei sind teils Profis, teils Laiendarsteller in das Projekt involviert. In Namibia gibt es vielleicht eine Handvoll Schauspieler, die sich ohne weiteren Job finanzieren können. Wir haben daher für das Casting in alle Richtungen geschaut und sind etwa an der Schauspielschule fündig geworden.“


Drehbuchautor und Produzent Obed Emvula spielt gleichzeitig Shivago, einen der Hauptcharaktere und Bad Boy des Films. Der erfahrene Schauspieler hat bereits in südafrikanischen Produktionen mitgewirkt, war es aber irgendwann leid, immer nur als „algerischer Gangster“ besetzt zu werden. „Ich bekam nie die Rollen, die ich wollte! Man sieht in mir wohl nicht den netten Teddybär. Also habe ich begonnen, selbst Drehbücher und mir Rollen auf den Leib zu schreiben. Aber es hilft nichts – in „Katutura“ spiele ich schon wieder den Bösen!“, lacht Emvula. Dieses Drehbuch ist sei siebtes und basiert teils auf wahren Begebenheiten, teils auf Phantasie. „Mir war es wichtig, das echte Katutura-Gefühl zu vermitteln. Katutura ist ein Ort voller verschiedener Menschen mit verschiedenen Träumen und verschiedenen Geschichten – die alle zusammen hier auf engstem Raum leben. Trotz oder gerade wegen der oft widrigen Umstände ist die Gemeinschaft in Katutura unglaublich stark. Man lebt zusammen und stirbt zusammen, isst Capana, trinkt und feiert zusammen, findet Freunde, findet Feinde. Katutura ist die DNA Namibias. Die Essenz daraus haben wir in unseren Film verpackt – auf gelungene Weise, wie ich finde.“


Mörder, Miss und Musikvideo


Die Geschichte des Films wird von den Schicksalen dreier Hauptcharaktere geflochten, auf teils sehr gute und teils sehr brutale Weise. Dangi, gespielt von Chops Tshoopara, wird am selben Tag aus dem Gefängnis entlassen, an dem sein ermordeter Bruder beerdigt wird. Er macht sich auf die Suche nach dem Mörder, den er in den Gangs des Townships vermutet. Gleichzeitig steht er vor der Herausforderung, sein Geld auf ehrliche Weise verdienen zu müssen. Dazu ist er Vater eines unehelichen Sohnes, den er versteckt halten muss – vor seiner Frau Foibe. Diese wird vom jungen Talent Tjuna Kauapirura gespielt. Sie wurde von Florian Schott in einem Musikvideo entdeckt und direkt zum Casting eingeladen.


„Es hat alles sehr turbulent angefangen! Ich hatte mich für eine kleine Rolle vorbereitet,“ gestikuliert Tjuna wild, „doch dann sollte ich für den Part der Ehefrau des Hauptcharakters vorsprechen! Ich musste improvisieren – und habe die Rolle bekommen“. Ihre Filmpartnerin Odile Müller, die nach ihrem Erfolg als Miss Namibia nun ihre Schauspielkarriere aufbaut, kann bereits auf zwei erfolgreiche Kurzfilme stolz sein. Doch der Dreh an einem größeren Set war auch für sie neu. Vor der gestrigen Premiere zeigte sie sich nervös: „Im Film gibt es eine Liebesszene, in der ich jemanden küsse – und mein Ehemann wird das sehen! Hoffentlich trifft es ihn nicht zu hart. Zum Glück unterstützt er meine Karriere sehr. Im Grunde ist er es, der mich zur Schauspielerei gebracht hat!“ Mit Florian Schott arbeitet die junge Schauspielerin nicht zum ersten Mal. Der Regisseur ist voll des Lobes: „Odile ist noch recht unerfahren, doch macht alles mit dem Talent, das sie hat, wieder wett!“


Zweiter Hauptcharakter ist Shivago, der als knallharter Dealer mit blondiertem Bart versucht, seinen Markt zu erweitern und dabei zu jedem Mittel greift, das ihm recht ist. Obed Emvula kennt die Rolle, die er spielt, genau: „Die Charaktere im Film sind zwar erfunden, aber basieren auf wahren Personen. Die Hauptfiguren kenne ich sozusagen alle persönlich. Ich verwende natürlich nicht die richtigen Namen, aber habe besonders die Geschichte von Dangi, dem anderen Hauptcharakter, ganz nah an der Wirklichkeit entlang geschrieben.“


Als dritte Hauptrolle spielt Gift Uzera den Teenager Kondja, der ein riesiges Herz hat, im Rollstuhl sitzt und sich zum ersten Mal verliebt. Für den Schauspielstudenten Uzera ist „Katutura“ sein erster Gehversuch vor der Kamera. Auf seine Rolle hat er sich akribisch vorbereitet. „Etwa einen Monat lang bin ich nur noch im Rollstuhl durch die Gegend gefahren, habe unzählige Runden ums Haus gedreht, um authentische Bewegungen draufzuhaben – es war echt hart. Doch mit dem Rollstuhl lässt es sich auch auf den ungeteerten Straßen von Katutura besser vorankommen als gedacht. Es gibt sogar eine Verfolgungsszene!“


Authentisches Townshipleben


Seit 2008 arbeitete Obed Emvula am Drehbuch zu „Katutura“, suchte nach inspirierenden Geschichten aus dem Township, recherchierte und kümmerte sich um Sponsoren. Gesichert war sein Projekt im Jahr 2012, als zu den Geldgebern – dem Handels- und Industrieministerium, der Offshore Development Company, der Namibia Film Commission und der Stadt Windhoek – die First National Bank Namibia auf den Plan trat und 500000 N$ in den Film investiere. Von dessen gelungener Umsetzung – als Dokumentation wie als Unterhaltungsfilm – ist Florian Schott überzeugt. „Es war uns sehr wichtig, das wahre Katutura in all seinen Bereichen zu reflektieren. „Katutura ist ein Spielfilm, der einerseits einen dokumentarischen Charakter hat und andererseits durch die Geschichten und die enthaltene Action seinen ganz speziellen Drive erhält!“ erzählt Schott. „Hier haben wir zum ersten Mal einen wirklich namibischen Film, der sich um Namibia dreht und der über namibische Themen spricht – und das auf internationalem Qualitätsniveau. Für Nichtnamibier hingegen könnte der Film einen kleinen Einblick in das wirkliche Townshipleben geben. Als wir südafrikanische Townshipdramen studiert haben, ist uns aufgefallen, wie sehr der Fokus auf das Negative gelegt wird. In diesen Filmen geht es viel um Drogen und um Gangs, so dass man das Gefühl hat: Gottseidank wohne ich nicht da! Wir wollten aber auch die positiven Seiten des Townshiplebens zeigen. Eben wie es sich anfühlt, im Township zu leben.“


Gift Uzera stimmt seinem Regisseur zu. Er ergänzt: „Unser Film zeigt genau das, was in Katutura gerade passiert. Wir alle wissen, wie die Geschichte dieses Townships begonnen hat – mit der Zwangsumsiedlung der Bewohner aus anderen Vierteln. Das ist, was dabei herausgekommen ist. Es ist ein namibischer Film, den jeder Namibier sehen sollte.“


Sie sind neugierig geworden? Wer nicht das Glück hatte, der gestrigen Premiere beizuwohnen, kann „Katutura“ demnächst auf der Leinwand sehen – der Film von Florian Schott und Obed Emvula läuft in den nächsten Monaten im normalen Kinoprogramm.