Glanz der alten Zeit
Von Helmut Reuter, dpa
Rio de Janeiro
Die “Engraxataria Cataldo” ist vielleicht 20 Quadratmeter groß. Vor dem Schuhputzladen mit acht hochgesetzten Ledersesseln in Rios quirligem Zentrum schieben sich tagsüber unaufhörlich Menschenmassen vorbei. Autos, Busse, Taxis, Motorräder stehen im Stau, warten an der Ampel an der Avenida Rio Branco Ecke Rua da Assembléia auf Grün. Von ihrem erhöhten Sitz aus beobachten die Kunden das hektisch-bunte Treiben, während die Schuhputzer nach allen Regeln der Kunst das Leder mit Farbe, Fett, Bürsten und Poliertüchern bearbeiten.
“Ich arbeite jetzt schon seit 38 Jahren hier”, sagt Sebastián und geht schwungvoll an den letzten Arbeitsgang: Feinpolieren mit dem Tuch. Mit beiden Händen wippt er gekonnt den länglichen Stoffstreifen über Schuhspitzen, Seiten und Absatz, bis er mit dem Hochglanz zufrieden ist. Die meisten Kunden tragen weiße Hemden, Krawatte und Anzug. In Rios Zentrum haben Banken, Versicherungen, der Öl-Konzern Petrobras, aber auch Gerichte und Anwaltskanzleien ihren Sitz. Wer dort arbeitet, tut das nicht in Turnschuhen oder Freizeitlatschen, sondern im feinen Lederschuh, ob schwarz oder braun.
Der 61-jährige Sebastián kennt viele Kunden seit Jahrzehnten. “Einer kam schon als 14-Jähriger hierher. Heute ist er über 50”, erzählt er. Ihm macht die Arbeit Spaß. Er will weitermachen. “Bis 70 oder noch länger, wenn ich kann.” Das Geschäft läuft, obwohl der Beginn der Turnschuh-Ära vor etwa 20 Jahren nicht spurlos blieb. “Davor habe ich 50 Paar Schuhe am Tag geputzt. Heute sind es vielleicht 30 bis 40”, sagt Sebastián, einer von acht Schuhputzern in der “Engraxataria”. Auf die Frage, wie viele Schuhe er wohl in seinem Leben schon geputzt hat, kann er nur laut lachen. “Keine Ahnung. Ehrlich. Wahrscheinlich Millionen.”
Die Kunden kommen oft vor der Arbeit. “Oder auch in der Mittagspause. Dann ist hier Hochbetrieb”, ruft Odair-Jose (39) rüber, der gerade am Nachbarhochsitz einem Paar eher abgewetzten braunen Schuhen neuen Glanz verleiht. Vor jedem Anfang werden Plastikschützer in die Schuhe gesteckt, damit die Strümpfe nicht von Fett und Farbe bekleckst werden. Dann kommt die Reinigung, wenn gewünscht Farbe mit dem Pinsel, es folgt die Pflegecreme, und dann fliegen die Polierbürsten im Takt. “Zehn Minuten pro Schuhpaar”, rechnet Odair-Jose vor, der seit über acht Jahren in dem Laden arbeitet. “Viele Kunden kommen jeden Tag.”
Wie üblich und typisch in Rio geht kaum ein menschlicher Kontakt ohne leichtes Gespräch und aufmunternde Worte. Wer sich als Deutscher zu erkennen gibt, kommt am Thema Fußball nicht vorbei. “1:7 - was für ein Ergebnis”, lobt der Herr auf dem Nachbarsitz. Und beim Bezahlen an der kleinen Glasvitrine, die voll gestopft ist mit blinkenden Schuhcreme-Dosen, Bürsten, Schuhanziehern und Schnürsenkeln in allen Farben, dann noch ein kurzer Plausch über Reiseziele in Europa und wie schön Rio de Janeiro ist. Auch der Preis ist überschaubar: Neun Reais (drei Euro) fürs Grundprogramm.
In dem 1949 von einem Italiener gegründeten Geschäft herrscht ein ständiges Kommen und Gehen. Wer ausnahmsweise mal gerade nichts zu Putzen hat, der unterhält sich mit Passanten, grüßt Vorübergehende, erklärt den Weg zur nächsten Bank oder raucht eine Zigarette. Pausen müssen sein, denn der Tag fängt früh an für die Engraxadores. Um 07.00 Uhr kommen die ersten Kunden, um 19.00 Uhr die letzten und das von montags bis freitags. Am Wochenende lohnt das Geschäft nicht. Dann ist Rios Zentrum im Gegensatz zum fiebrigen Treiben an Wochentagen fast wie ausgestorben.
Wie eigentlich überall auf der Welt gilt das Schuhputzen als Arme-Leute-Job, und auch in Rio ziehen Kinder und Jugendliche aus ärmsten Verhältnissen mit ihrer Holzkiste durch die Straßen, immer auf der oft verzweifelten Suche nach ungeputzten Schuhen. So verdienten sich selbst Ex-Präsident Luiz Inácio Lula da Silva und Fußball-Legende Pelé einst in ihrer Jugend notgedrungen ihr Geld.
Das ist nicht zu vergleichen mit dem kleinen gediegenen Laden an der Rua da Assembléia, wo Klimaanlagen und ein Deckenventilator leise brummen und auf dem TV-Bildschirm dezent der Nachrichtenkanal “GloboNews” läuft. Wer dort arbeitet, hat es auf der Schuhputzer-Karriereleiter weit gebracht. Denn die Kunden stehen Schlange vor der “Engraxataria Cataldo”, und das schon seit Jahrzehnten.
Rio de Janeiro
Die “Engraxataria Cataldo” ist vielleicht 20 Quadratmeter groß. Vor dem Schuhputzladen mit acht hochgesetzten Ledersesseln in Rios quirligem Zentrum schieben sich tagsüber unaufhörlich Menschenmassen vorbei. Autos, Busse, Taxis, Motorräder stehen im Stau, warten an der Ampel an der Avenida Rio Branco Ecke Rua da Assembléia auf Grün. Von ihrem erhöhten Sitz aus beobachten die Kunden das hektisch-bunte Treiben, während die Schuhputzer nach allen Regeln der Kunst das Leder mit Farbe, Fett, Bürsten und Poliertüchern bearbeiten.
“Ich arbeite jetzt schon seit 38 Jahren hier”, sagt Sebastián und geht schwungvoll an den letzten Arbeitsgang: Feinpolieren mit dem Tuch. Mit beiden Händen wippt er gekonnt den länglichen Stoffstreifen über Schuhspitzen, Seiten und Absatz, bis er mit dem Hochglanz zufrieden ist. Die meisten Kunden tragen weiße Hemden, Krawatte und Anzug. In Rios Zentrum haben Banken, Versicherungen, der Öl-Konzern Petrobras, aber auch Gerichte und Anwaltskanzleien ihren Sitz. Wer dort arbeitet, tut das nicht in Turnschuhen oder Freizeitlatschen, sondern im feinen Lederschuh, ob schwarz oder braun.
Der 61-jährige Sebastián kennt viele Kunden seit Jahrzehnten. “Einer kam schon als 14-Jähriger hierher. Heute ist er über 50”, erzählt er. Ihm macht die Arbeit Spaß. Er will weitermachen. “Bis 70 oder noch länger, wenn ich kann.” Das Geschäft läuft, obwohl der Beginn der Turnschuh-Ära vor etwa 20 Jahren nicht spurlos blieb. “Davor habe ich 50 Paar Schuhe am Tag geputzt. Heute sind es vielleicht 30 bis 40”, sagt Sebastián, einer von acht Schuhputzern in der “Engraxataria”. Auf die Frage, wie viele Schuhe er wohl in seinem Leben schon geputzt hat, kann er nur laut lachen. “Keine Ahnung. Ehrlich. Wahrscheinlich Millionen.”
Die Kunden kommen oft vor der Arbeit. “Oder auch in der Mittagspause. Dann ist hier Hochbetrieb”, ruft Odair-Jose (39) rüber, der gerade am Nachbarhochsitz einem Paar eher abgewetzten braunen Schuhen neuen Glanz verleiht. Vor jedem Anfang werden Plastikschützer in die Schuhe gesteckt, damit die Strümpfe nicht von Fett und Farbe bekleckst werden. Dann kommt die Reinigung, wenn gewünscht Farbe mit dem Pinsel, es folgt die Pflegecreme, und dann fliegen die Polierbürsten im Takt. “Zehn Minuten pro Schuhpaar”, rechnet Odair-Jose vor, der seit über acht Jahren in dem Laden arbeitet. “Viele Kunden kommen jeden Tag.”
Wie üblich und typisch in Rio geht kaum ein menschlicher Kontakt ohne leichtes Gespräch und aufmunternde Worte. Wer sich als Deutscher zu erkennen gibt, kommt am Thema Fußball nicht vorbei. “1:7 - was für ein Ergebnis”, lobt der Herr auf dem Nachbarsitz. Und beim Bezahlen an der kleinen Glasvitrine, die voll gestopft ist mit blinkenden Schuhcreme-Dosen, Bürsten, Schuhanziehern und Schnürsenkeln in allen Farben, dann noch ein kurzer Plausch über Reiseziele in Europa und wie schön Rio de Janeiro ist. Auch der Preis ist überschaubar: Neun Reais (drei Euro) fürs Grundprogramm.
In dem 1949 von einem Italiener gegründeten Geschäft herrscht ein ständiges Kommen und Gehen. Wer ausnahmsweise mal gerade nichts zu Putzen hat, der unterhält sich mit Passanten, grüßt Vorübergehende, erklärt den Weg zur nächsten Bank oder raucht eine Zigarette. Pausen müssen sein, denn der Tag fängt früh an für die Engraxadores. Um 07.00 Uhr kommen die ersten Kunden, um 19.00 Uhr die letzten und das von montags bis freitags. Am Wochenende lohnt das Geschäft nicht. Dann ist Rios Zentrum im Gegensatz zum fiebrigen Treiben an Wochentagen fast wie ausgestorben.
Wie eigentlich überall auf der Welt gilt das Schuhputzen als Arme-Leute-Job, und auch in Rio ziehen Kinder und Jugendliche aus ärmsten Verhältnissen mit ihrer Holzkiste durch die Straßen, immer auf der oft verzweifelten Suche nach ungeputzten Schuhen. So verdienten sich selbst Ex-Präsident Luiz Inácio Lula da Silva und Fußball-Legende Pelé einst in ihrer Jugend notgedrungen ihr Geld.
Das ist nicht zu vergleichen mit dem kleinen gediegenen Laden an der Rua da Assembléia, wo Klimaanlagen und ein Deckenventilator leise brummen und auf dem TV-Bildschirm dezent der Nachrichtenkanal “GloboNews” läuft. Wer dort arbeitet, hat es auf der Schuhputzer-Karriereleiter weit gebracht. Denn die Kunden stehen Schlange vor der “Engraxataria Cataldo”, und das schon seit Jahrzehnten.
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Allgemeine Zeitung
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