Don Quichotte, Hägar und das Mode-Statement zum Maharerotag
Mann sein kann ganz schön langweilig sein, wenn es um Mode geht. Bei der formellen westlichen Kleiderordnung - Hemd, Hose, Anzug - lässt fast nur die Krawatte Spielraum für individuelle Mode-Statements. Bei den Herero verhält sich das anders: Wer sich für den traditionellen Gedenktag ordentlich in Schale wirft und dabei um ein möglichst Aufsehen erregendes Erscheinungsbild bemüht ist, sind vor allem die Herren der Schöpfung.
Sonntag, der 28. August. Maharero-Tag in Okahandja. Zivilisten marschieren in Gruppen von den Friedhöfen im Ort zum außerhalb gelegenen Township, wo die Feierlichkeiten im Gedenken an den 1923 beigesetzten Oberhäuptling Samuel Maharero stattfinden. Die Männer sind mehrheitlich in khaki-farbenen Uniformen gekleidet. Ihre Parade ist dem soldatischen Drill der kaiserlich-deutschen Schutztruppen von anno dazumal nachempfunden. Doch das auf den ersten Blick einheitliche Erscheinungsbild der Feiertagssoldaten täuscht. Genaugenommen hat es gar nichts von militärischer Uniformität.
Ein Truppenkommandeur hat um seine Uniformjacke ein Schakalfell gebunden. Über seine Schirmmütze ist ein zweites Fell gestülpt, der buschige Schwanz des toten Schakals hängt zwischen seinen Schulterblättern herunter. Er gibt das Kommando für die Truppe, die den Umzug anführt. "Links, regs, links", befiehlt er mal auf Afrikaans, mal auf Deutsch. Dann wechselt er zwischendurch zur Sprache der Herero, preist in einer Mischung aus Klage- und Loblied die einzelnen Mitglieder seiner Truppe und ihre Vorfahren. Wenn die Männer auf sein Kommando hin vom steifen Marsch in rhythmischen Dauerlauf fallen und das Toyi-Toyi anstimmen - dieses Kriegsgebaren, das zu Zeiten des Freiheitskampfes im südlichen Afrika jedem Betrachter kalte Angstschauer über den Rücken jagte - dann sieht er aus wie ein Medizinmann. Dann gibt er guttarele Laute von sich und seine militärisch-gerade Haltung wechselt über in einen gebückten Derwischtanz; das Schakalfell hüpft im Rhythmus auf seinen Schultern.
In seiner Truppe marschiert ein dickbäuchiger Mittvierziger. Auf seinem Kopf thront ein Helm, der an Hägar, die Karikatur des klassischen Wikingers erinnert. Er habe seine Kopfbedeckung aus einem alten Aluminiumhelm gebastelt, wie sie früher von den ausgebeuteten Vertragsarbeitern in den Untertage-Bergwerken getragen wurden, verrät "Hägar". Die auf den Helm montierten Springbockhörner sind eine Trophäe seines Vaters. Der war ein traditioneller Führer in seiner Gemeinde in Aminuis, und ein großer Jäger.
Neben dem Wikinger aus Aminuis marschiert ein Mann mit Ziegenbart; statt Pistolenhalter und Munitionsgürtel hängen Bogen und ein Köcher mit Pfeilen über seiner Schulter. Ein weiteres Truppenmitglied trägt eine ausrangierte Videokamera um den Hals, in der Hand einen langen Speer. Uniformbrüste sind mit improvisierten "Medaillen" und "Abzeichen" geschmückt. "I'm proud to be Canadian" steht auf einer Anstecknadel, die ein junger Herero an seiner khaki-farbenen Jacke trägt. Daraufhin angesprochen, winkt er verlegen grinsend ab: Er war noch nie in Kanada. Ein anderer junger Mann erwirbt sich am Maharerotag den Spitznamen "Idi Amin". Seine Uniform ist mit Plaketten besetzt, die ihn als Fan des legendären afrikanischen Diktators auszeichnen.
Die phantasievollen Accessoires sind nicht so willkürlich gewählt, wie es scheint. Der Schakal ist ein Raubtier, erklärt Festus Tjikuua, Mitglied des Komitees um Bischof Assaria Cleophas Kamburona, das im Gegensatz zur Fraktion um Oberhäuptling Riruako und dessen Entschädigungsforderungen an die bundesdeutsche Regierung für den vermeintlichen Genozid von 1904 zu den um außergerichtliche Versöhnung bemühten Herero gehört. Wer ein Schakalfell trägt, schmückt sich mit den Attributen eines Kriegers, so Tjikuua. Ähnlich verhalte sich das mit den Uniformen. "Unsere Vorfahren haben damals erkannt, dass Soldaten nun mal solche Kleidung tragen, also haben sie das übernommen." Doch warum Uniformen, wie sie die Schutztruppler getragen haben? "Vielleicht um den Feind zu verwirren", schlägt Tjikuua vor.
Ganz so orthodox dürfe man das mit der Kleiderordnung nicht sehen, meint der historisch bewanderte Herero. Die Uniformen seien zwar quasi Pflicht zu festlichen Anlässen und müssten an Feiern, Beerdigungen, Gedenktagen und auch im eventuellen Kampf getragen werden. Doch, so Tjikuua: "Am Hererotag sind viele Männer einfach darauf aus, die Kameras der Fotografen auf sich zu lenken."
Wichtig sei vor allem eines: Farbe zu bekennen. Die Zeraua-Herero kleiden sich in den Farben Weiß und Schwarz, die Mbanderu tragen Schwarz, Weiß und Grün. Die Frauen halten sich strikt an diese Ordnung. An der Farbe ihrer viktorianischen Bauscheröcke mit Mieder und den kunstvoll gewickelten Kopftüchern, die der Form von Kuhhörnern nachempfunden sind, lässt sich ihre Clanzugehörigkeit erkennen. Zahlenmäßig am stärksten vertreten ist die Maharero-Gruppe: Rote Röcke und Kopfbedeckungen mit schwarzen Miedern.
Rot ist nicht nur die Farbe der Maharerogruppe, sondern, kombiniert mit Schwarz, auch übergreifende Nationalfarbe der Herero. Rot symbolisiert das vergossene Blut während des Krieges von 1904, Schwarz steht für die Trauer um die Gefallenen.
Die meisten der khaki-farbenen Uniformen der Männer sind mit roten Litzen und Schulterstücken besetzt. Die Farbe Rot taucht aber auch in Dutzenden anderer Accessoires auf. Manche Männer tragen rotkarierte Schottenröcke. Andere rote Stiefel. Ein kleiner Junge marschiert in der Truppe der Erwachsenen mit, an seinen Fäusten rote Ski-Handschuhe. Viel Aufmerksamkeit erregt ein kirschroter Filzhut. "Der ist ein Unikat, und made in Germany", verrät Heino Holtz, Inhaber des traditionsreichen Safari-Bekleidungsgeschäftes Ernst Holtz in Windhoek. Ein junger Herero habe diese Spezialanfertigung bei ihm in Auftrag gegeben und dafür knapp 2000 Namibia-Dollar gezahlt. Modell stand dafür ein alter Schutztrupplerhut, der in einer Glasvitrine im Swakopmunder Museum ausgestellt ist. Erst gestern habe das Geschäft eine weitere Bestellung dieses Hutes in Auftrag genommen, freut sich Holtz: Ein Urenkel von Maharero möchte den Filz in Kornblau haben, nur die Krempe soll rot sein.
Der deutsche Bekleidungsladen Ernst Holtz ist die einschlägige Adresse für alle Hereros, die eine Uniform brauchen. Das Geschäft bestellt die Mützen, Hosen und Jacken aus Südafrika, denn die khakifarbenen Uniformen wurden einst speziell für die ehemalige südafrikanische Verkehrspolizei hergestellt. Mancher Herero jedoch hat seine Uniform vom Groß- oder Urgroßvater geerbt, wie etwa Easy Tjikurame. Der hat auch eine interessante Erklärung für das scheinbare Paradoxon parat, dass sich die Herero in Uniformen ihrer ehemaligen Widersacher kleiden. "Das sind Trophäen", sagt Tjikurame. "Wenn unsere Krieger einen Feind getötet hatten, zogen sie seine Uniform an."
Wer keine historischen Erbstücke hat und sich Ernst Holtz nicht leisten kann, muss in der Altkleiderkiste wühlen. Zuweilen nimmt das karnevalistische Formen an. So erscheint ein junger Mann zum Maharerotag regelmäßig in orangefarbenem Overall, der auf dem Rücken den "GRN"-Schriftzug der namibischen Regierung trägt. Mit dem darüber gebundenen weißen Mieder, einem metallenen Kettenhemd vor der Brust und einer seltsamen spitzen Kappe auf dem Kopf erinnert diese Aufmachung an die improvisierte Rüstung eines berühmten Ritters, der eine Reihe von fragwürdigen Heldentaten vollbracht hat: Don Quichotte.
Sonntag, der 28. August. Maharero-Tag in Okahandja. Zivilisten marschieren in Gruppen von den Friedhöfen im Ort zum außerhalb gelegenen Township, wo die Feierlichkeiten im Gedenken an den 1923 beigesetzten Oberhäuptling Samuel Maharero stattfinden. Die Männer sind mehrheitlich in khaki-farbenen Uniformen gekleidet. Ihre Parade ist dem soldatischen Drill der kaiserlich-deutschen Schutztruppen von anno dazumal nachempfunden. Doch das auf den ersten Blick einheitliche Erscheinungsbild der Feiertagssoldaten täuscht. Genaugenommen hat es gar nichts von militärischer Uniformität.
Ein Truppenkommandeur hat um seine Uniformjacke ein Schakalfell gebunden. Über seine Schirmmütze ist ein zweites Fell gestülpt, der buschige Schwanz des toten Schakals hängt zwischen seinen Schulterblättern herunter. Er gibt das Kommando für die Truppe, die den Umzug anführt. "Links, regs, links", befiehlt er mal auf Afrikaans, mal auf Deutsch. Dann wechselt er zwischendurch zur Sprache der Herero, preist in einer Mischung aus Klage- und Loblied die einzelnen Mitglieder seiner Truppe und ihre Vorfahren. Wenn die Männer auf sein Kommando hin vom steifen Marsch in rhythmischen Dauerlauf fallen und das Toyi-Toyi anstimmen - dieses Kriegsgebaren, das zu Zeiten des Freiheitskampfes im südlichen Afrika jedem Betrachter kalte Angstschauer über den Rücken jagte - dann sieht er aus wie ein Medizinmann. Dann gibt er guttarele Laute von sich und seine militärisch-gerade Haltung wechselt über in einen gebückten Derwischtanz; das Schakalfell hüpft im Rhythmus auf seinen Schultern.
In seiner Truppe marschiert ein dickbäuchiger Mittvierziger. Auf seinem Kopf thront ein Helm, der an Hägar, die Karikatur des klassischen Wikingers erinnert. Er habe seine Kopfbedeckung aus einem alten Aluminiumhelm gebastelt, wie sie früher von den ausgebeuteten Vertragsarbeitern in den Untertage-Bergwerken getragen wurden, verrät "Hägar". Die auf den Helm montierten Springbockhörner sind eine Trophäe seines Vaters. Der war ein traditioneller Führer in seiner Gemeinde in Aminuis, und ein großer Jäger.
Neben dem Wikinger aus Aminuis marschiert ein Mann mit Ziegenbart; statt Pistolenhalter und Munitionsgürtel hängen Bogen und ein Köcher mit Pfeilen über seiner Schulter. Ein weiteres Truppenmitglied trägt eine ausrangierte Videokamera um den Hals, in der Hand einen langen Speer. Uniformbrüste sind mit improvisierten "Medaillen" und "Abzeichen" geschmückt. "I'm proud to be Canadian" steht auf einer Anstecknadel, die ein junger Herero an seiner khaki-farbenen Jacke trägt. Daraufhin angesprochen, winkt er verlegen grinsend ab: Er war noch nie in Kanada. Ein anderer junger Mann erwirbt sich am Maharerotag den Spitznamen "Idi Amin". Seine Uniform ist mit Plaketten besetzt, die ihn als Fan des legendären afrikanischen Diktators auszeichnen.
Die phantasievollen Accessoires sind nicht so willkürlich gewählt, wie es scheint. Der Schakal ist ein Raubtier, erklärt Festus Tjikuua, Mitglied des Komitees um Bischof Assaria Cleophas Kamburona, das im Gegensatz zur Fraktion um Oberhäuptling Riruako und dessen Entschädigungsforderungen an die bundesdeutsche Regierung für den vermeintlichen Genozid von 1904 zu den um außergerichtliche Versöhnung bemühten Herero gehört. Wer ein Schakalfell trägt, schmückt sich mit den Attributen eines Kriegers, so Tjikuua. Ähnlich verhalte sich das mit den Uniformen. "Unsere Vorfahren haben damals erkannt, dass Soldaten nun mal solche Kleidung tragen, also haben sie das übernommen." Doch warum Uniformen, wie sie die Schutztruppler getragen haben? "Vielleicht um den Feind zu verwirren", schlägt Tjikuua vor.
Ganz so orthodox dürfe man das mit der Kleiderordnung nicht sehen, meint der historisch bewanderte Herero. Die Uniformen seien zwar quasi Pflicht zu festlichen Anlässen und müssten an Feiern, Beerdigungen, Gedenktagen und auch im eventuellen Kampf getragen werden. Doch, so Tjikuua: "Am Hererotag sind viele Männer einfach darauf aus, die Kameras der Fotografen auf sich zu lenken."
Wichtig sei vor allem eines: Farbe zu bekennen. Die Zeraua-Herero kleiden sich in den Farben Weiß und Schwarz, die Mbanderu tragen Schwarz, Weiß und Grün. Die Frauen halten sich strikt an diese Ordnung. An der Farbe ihrer viktorianischen Bauscheröcke mit Mieder und den kunstvoll gewickelten Kopftüchern, die der Form von Kuhhörnern nachempfunden sind, lässt sich ihre Clanzugehörigkeit erkennen. Zahlenmäßig am stärksten vertreten ist die Maharero-Gruppe: Rote Röcke und Kopfbedeckungen mit schwarzen Miedern.
Rot ist nicht nur die Farbe der Maharerogruppe, sondern, kombiniert mit Schwarz, auch übergreifende Nationalfarbe der Herero. Rot symbolisiert das vergossene Blut während des Krieges von 1904, Schwarz steht für die Trauer um die Gefallenen.
Die meisten der khaki-farbenen Uniformen der Männer sind mit roten Litzen und Schulterstücken besetzt. Die Farbe Rot taucht aber auch in Dutzenden anderer Accessoires auf. Manche Männer tragen rotkarierte Schottenröcke. Andere rote Stiefel. Ein kleiner Junge marschiert in der Truppe der Erwachsenen mit, an seinen Fäusten rote Ski-Handschuhe. Viel Aufmerksamkeit erregt ein kirschroter Filzhut. "Der ist ein Unikat, und made in Germany", verrät Heino Holtz, Inhaber des traditionsreichen Safari-Bekleidungsgeschäftes Ernst Holtz in Windhoek. Ein junger Herero habe diese Spezialanfertigung bei ihm in Auftrag gegeben und dafür knapp 2000 Namibia-Dollar gezahlt. Modell stand dafür ein alter Schutztrupplerhut, der in einer Glasvitrine im Swakopmunder Museum ausgestellt ist. Erst gestern habe das Geschäft eine weitere Bestellung dieses Hutes in Auftrag genommen, freut sich Holtz: Ein Urenkel von Maharero möchte den Filz in Kornblau haben, nur die Krempe soll rot sein.
Der deutsche Bekleidungsladen Ernst Holtz ist die einschlägige Adresse für alle Hereros, die eine Uniform brauchen. Das Geschäft bestellt die Mützen, Hosen und Jacken aus Südafrika, denn die khakifarbenen Uniformen wurden einst speziell für die ehemalige südafrikanische Verkehrspolizei hergestellt. Mancher Herero jedoch hat seine Uniform vom Groß- oder Urgroßvater geerbt, wie etwa Easy Tjikurame. Der hat auch eine interessante Erklärung für das scheinbare Paradoxon parat, dass sich die Herero in Uniformen ihrer ehemaligen Widersacher kleiden. "Das sind Trophäen", sagt Tjikurame. "Wenn unsere Krieger einen Feind getötet hatten, zogen sie seine Uniform an."
Wer keine historischen Erbstücke hat und sich Ernst Holtz nicht leisten kann, muss in der Altkleiderkiste wühlen. Zuweilen nimmt das karnevalistische Formen an. So erscheint ein junger Mann zum Maharerotag regelmäßig in orangefarbenem Overall, der auf dem Rücken den "GRN"-Schriftzug der namibischen Regierung trägt. Mit dem darüber gebundenen weißen Mieder, einem metallenen Kettenhemd vor der Brust und einer seltsamen spitzen Kappe auf dem Kopf erinnert diese Aufmachung an die improvisierte Rüstung eines berühmten Ritters, der eine Reihe von fragwürdigen Heldentaten vollbracht hat: Don Quichotte.
Kommentar
Allgemeine Zeitung
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